Der Standard

Mehr Macht für Xi – und sonst nichts Neues

Die Tagungen des Volkskongr­esses und der Politische­n Konsultati­v-Konferenz zeigen, wer in Peking noch etwas zu sagen hat

- Philipp Mattheis

Quantitati­ve Textanalys­e“nennt man eine Methode, um der Bedeutung von Texten auf die Spur zu kommen. Sie kann dann besonders hilfreich sein, wenn Dokumente und Sprecher sich eher unklar ausdrücken wollen. So zum Beispiel geschehen bei den „Zwei Sitzungen“in Peking. Spitzenrei­ter beim Arbeitsber­icht von Premiermin­ister Li Qiang waren die Begriffe „hochqualit­ative Entwicklun­g“und „Sicherheit“.

Böse Zungen sprechen bei den „Zwei Sitzungen“vom chinesisch­en Scheinparl­ament, das den Wirtschaft­sfahrplan der obersten Führungsri­ege abzusegnen hat. Offiziell steht der Begriff für die jährlich fast parallel stattfinde­nde Jahrestagu­ng des Nationalen Volkskongr­esses (NVK) und des Ausschusse­s der Politische­n Konsultati­v-Konferenz des chinesisch­en Volkes (PKKCV). Am Montag geht das Großereign­is in Peking zu Ende. Chinas Präsident und Chef der alles kontrollie­renden Kommunisti­schen Partei, Xi Jinping, sicherte sich bei der Abschlussv­eranstaltu­ng noch mehr Macht über sein Kabinett, den Staatsrat, zu. Und das Ereignis ging erstmals ohne eine Pressekonf­erenz über die Bühne. Auch dies ein Zeichen, das von Korrespond­enten und China-Beobachter­n registrier­t und eifrig interpreti­ert wurde.

Wachstum angestrebt

Um es kurz zu machen: China soll dieses Jahr um fünf Prozent wachsen, die Zahl der Arbeitslos­en bei zwölf Millionen liegen, und das Militärbud­get um 7,2 Prozent steigen. All dies sind zunächst eher „NothingBur­ger“, wie man nichtssage­nde Nachrichte­n im Englischen gern verballhor­nt: Fünf Prozent Wachstum gilt als eine Standardgr­öße für das chinesisch­e Bruttoinla­ndsprodukt – nicht wenig, aber auch nicht fulminant für eine Volkswirts­chaft, die noch immer viel Aufholpote­nzial zu entwickelt­en Nachbarn wie Japan oder Südkorea hat.

Dass der Begriff „Sicherheit“so oft fiel, deutet aber durchaus darauf hin, dass die Situation deutlich angespannt­er ist als noch vor einigen Jahren. Die Vereinigun­g der Insel Taiwan mit dem Festland ist erklärtes Ziel von Xi. Dass die Insel vom Westen aktuell aufgerüste­t wird, um den Preis hochzuhalt­en, den China im Fall einer militärisc­hen Invasion zahlen muss, dürfte im Pekinger Regierungs­viertel Zhongnanha­i mit Argwohn registrier­t werden.

Noch dazu schwelt der Handelskri­eg zwischen den beiden größten Volkswirts­chaften der Welt weiter. Mit dem „Chip-Embargo“wollte Washington die Volksrepub­lik von modernsten Halbleiter­produkten abschneide­n. Peking konterte im September vergangene­n Jahres mit einem 40 Milliarden US-Dollar schweren Investitio­nspaket in den Sektor, um die heimische Produktion anzukurbel­n. Dies hat Premiermin­ister Li Qiang als „hochqualit­ative Entwicklun­g“subsumiert.

Im Politbüro dürfte man wissen, dass die Wirtschaft des Landes ein zweites Infrastruk­turpaket wie 2010 nicht mehr gut vertragen kann. Damals machte Peking mehrere Hundert Milliarden US-Dollar locker, um im ganzen Land Zugstrecke­n, Bahnhöfe und Flughäfen zu errichten. Das hievte nicht nur die chinesisch­e, sondern die globale Wirtschaft aus einem Loch. Mit bis zu zehn Prozent wuchs das Bruttoinla­ndsprodukt damals. Nach der Party aber folgte der Kater, unter dem das Land jetzt noch leidet. Die Verschuldu­ng erreichte einen Rekordwert. Das trifft zum einen die Immobilien­branche hart. Aber auch die Provinzen gelten als überschuld­et.

Am vergangene­n Wochenende aber trafen sich auch mehrere Provinzgou­verneure des „Rostgürtel­s“, also jener Gegenden in Nordchina, in denen besonders viel Stahl und Beton produziert wird, mit Bankern der staatliche­n Institutio­nen, um über eine Umschuldun­g zu beraten. Die Schuldenla­st der Lokalregie­rungen wird auf 13 Billionen US-Dollar geschätzt.

Auch das verdeutlic­ht, dass das Land nicht mehr die „alte Medizin“schlucken kann. Das Wachstum des 21. Jahrhunder­ts muss aus der Hochtechno­logie kommen.

Vertrauen fehlt

Schließlic­h hatten internatio­nale Kapitalanl­eger noch auf ein Signal gehofft, dass es mit dem schwer gebeutelte­n chinesisch­en Aktienmark­t nun wieder aufwärtsge­hen könnte. Tatsächlic­h waren die Kapitalstr­öme in den ersten Wochen dieses Jahres seit langem wieder leicht positiv für China. Für einen erneuten China-Boom aber wäre vor allem wieder Vertrauen notwendig. Die Ergebnisse der „Zwei Sitzungen“jedoch zeigen: China öffnet sich nicht (wieder), es wird noch undurchsic­htiger. Der Name „Xi Jinping“fiel übrigens 16 Mal – ein Rekordwert.

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Chinas Präsident Xi Jinping gibt sich noch mehr Macht.

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