Der Dealer, der aus der Wärme kam – auf Staatskosten
Ein 30-Jähriger soll eine wesentliche Rolle in der organisierten Kriminalität gespielt haben – von Thailand aus
Der dritte Stock im Verhandlungstrakt des Landesgerichts für Strafsachen Wien gleicht einem Heerlager: Uniformierte Polizistinnen und Polizisten, Kriminalbeamte, Vertreter der Wega, des Bundeskriminalamtes und der Justizwache, teils martialisch vermummt und mit Sturmgewehr um den Hals, kontrollieren alle auf versteckte Waffen. Der Grund des Aufwandes: der 30-jährige Herr S., genauer, ein Mobiltelefon, das bei einer Razzia in der Zelle des Untersuchungshäftlings gefunden wurde und auf dem eine Nachricht entdeckte wurde, aus der man eine mögliche Gefährdung eines Prozessbeteiligten herauslesen könnte.
Die Sicherheitsvorkehrungen setzen sich auch im Verhandlungssaal fort. Der unbescholtene serbischrussische Doppelstaatsbürger trägt selbst auf dem Anklagestuhl eine Fußfessel, um die Hüfte hat er einen Gurt, von dem eine Leine in der Hand eines der vier Justizwachbeamten endet, die neben und direkt hinter ihm sitzen und stehen. S. soll die rechte Hand des bereits nicht rechtskräftig verurteilten DrogenCapos „Dexter“gewesen sein und laut Staatsanwalt S. von seinem Exil Thailand aus die Lieferung und Distribution von 49 Kilogramm Heroin und 33 Kilogramm Kokain in Österreich organisiert haben.
„Das ist überhaupt nicht richtig!“, erklärt der Angeklagte. Sein Verteidiger
David Jodlbauer stellt sich vor dem Schöffengericht die Frage, ob die Anklage überhaupt rechtmäßig zustande gekommen ist. Basiert sie doch auf der Auswertung von Daten, die über Anom-Handys gewonnen wurden. Das waren modifizierte Mobiltelefone, die angeblich mitleseund ortungssicher waren. Nur: Sie waren von der US-Bundespolizeibehörde FBI in Umlauf gebracht und überwacht worden. Das Bundeskriminalamt habe aber nur Zugriff auf einen Server mit selektierten Chats, kritisiert Jodlbauer, die Originaldaten würden die US-Behörden nicht aus der Hand geben.
Der federführende Ermittler des Bundeskriminalamtes erklärt als Zeuge, wie man durch den Datenwust
zu S. gefunden hat: Man habe aus den Botschaften herausdestilliert, dass der Sender sich auf der Insel Phuket befinden müsse, anhand einzelner Puzzlesteine – etwa des Musters eines Hotelpools – habe man die Örtlichkeit immer weiter eingrenzen können. Als schließlich der Vater des Verdächtigen nach Thailand flog, folgte man diesem und nahm S. fest.
Auf Nachfrage von Staatsanwalt S. schildert der Ermittler, wie der „Hochkaräter“, als den er den Angeklagten bezeichnet, nach Österreich gekommen ist. Ein erster Auslieferungsversuch sei gescheitert, da sich der Serbe derart massiv dagegen gewehrt habe, dass der Pilot einer Verkehrsmaschine die Mitnahme verweigert habe. Die Republik griff in die Tasche der Steuerzahlenden: Polizisten flogen mit einem Privatjet nach Thailand, um S. abzuholen. Damit schien er leben zu können – auf dem Rückflug genoss er als Reiselektüre die Biografie eines bekannten südamerikanischen Drogenpaten.
Eine Besonderheit ist auch die Zeugenaussage von D. alias „Dexter“, dem mutmaßlichen Statthalter des montenegrinisch-serbischen KavacClans in Österreich. D. wurde wegen seiner Rolle in der Organisation im Dezember nicht rechtskräftig zu lebenslanger Haft verurteilt, sitzt derzeit aber noch in der Justizanstalt Josefstadt ein. Dennoch wird eine Videokonferenz über die ungefähr 400-Meter-Distanz durchgeführt.
Das nicht rechtskräftige Urteil wegen Drogenhandels: elf Jahre Haft.