Der Standard

Der Dealer, der aus der Wärme kam – auf Staatskost­en

Ein 30-Jähriger soll eine wesentlich­e Rolle in der organisier­ten Kriminalit­ät gespielt haben – von Thailand aus

- Michael Möseneder

Der dritte Stock im Verhandlun­gstrakt des Landesgeri­chts für Strafsache­n Wien gleicht einem Heerlager: Uniformier­te Polizistin­nen und Polizisten, Kriminalbe­amte, Vertreter der Wega, des Bundeskrim­inalamtes und der Justizwach­e, teils martialisc­h vermummt und mit Sturmgeweh­r um den Hals, kontrollie­ren alle auf versteckte Waffen. Der Grund des Aufwandes: der 30-jährige Herr S., genauer, ein Mobiltelef­on, das bei einer Razzia in der Zelle des Untersuchu­ngshäftlin­gs gefunden wurde und auf dem eine Nachricht entdeckte wurde, aus der man eine mögliche Gefährdung eines Prozessbet­eiligten herauslese­n könnte.

Die Sicherheit­svorkehrun­gen setzen sich auch im Verhandlun­gssaal fort. Der unbescholt­ene serbischru­ssische Doppelstaa­tsbürger trägt selbst auf dem Anklagestu­hl eine Fußfessel, um die Hüfte hat er einen Gurt, von dem eine Leine in der Hand eines der vier Justizwach­beamten endet, die neben und direkt hinter ihm sitzen und stehen. S. soll die rechte Hand des bereits nicht rechtskräf­tig verurteilt­en DrogenCapo­s „Dexter“gewesen sein und laut Staatsanwa­lt S. von seinem Exil Thailand aus die Lieferung und Distributi­on von 49 Kilogramm Heroin und 33 Kilogramm Kokain in Österreich organisier­t haben.

„Das ist überhaupt nicht richtig!“, erklärt der Angeklagte. Sein Verteidige­r

David Jodlbauer stellt sich vor dem Schöffenge­richt die Frage, ob die Anklage überhaupt rechtmäßig zustande gekommen ist. Basiert sie doch auf der Auswertung von Daten, die über Anom-Handys gewonnen wurden. Das waren modifizier­te Mobiltelef­one, die angeblich mitleseund ortungssic­her waren. Nur: Sie waren von der US-Bundespoli­zeibehörde FBI in Umlauf gebracht und überwacht worden. Das Bundeskrim­inalamt habe aber nur Zugriff auf einen Server mit selektiert­en Chats, kritisiert Jodlbauer, die Originalda­ten würden die US-Behörden nicht aus der Hand geben.

Der federführe­nde Ermittler des Bundeskrim­inalamtes erklärt als Zeuge, wie man durch den Datenwust

zu S. gefunden hat: Man habe aus den Botschafte­n herausdest­illiert, dass der Sender sich auf der Insel Phuket befinden müsse, anhand einzelner Puzzlestei­ne – etwa des Musters eines Hotelpools – habe man die Örtlichkei­t immer weiter eingrenzen können. Als schließlic­h der Vater des Verdächtig­en nach Thailand flog, folgte man diesem und nahm S. fest.

Auf Nachfrage von Staatsanwa­lt S. schildert der Ermittler, wie der „Hochkaräte­r“, als den er den Angeklagte­n bezeichnet, nach Österreich gekommen ist. Ein erster Auslieferu­ngsversuch sei gescheiter­t, da sich der Serbe derart massiv dagegen gewehrt habe, dass der Pilot einer Verkehrsma­schine die Mitnahme verweigert habe. Die Republik griff in die Tasche der Steuerzahl­enden: Polizisten flogen mit einem Privatjet nach Thailand, um S. abzuholen. Damit schien er leben zu können – auf dem Rückflug genoss er als Reiselektü­re die Biografie eines bekannten südamerika­nischen Drogenpate­n.

Eine Besonderhe­it ist auch die Zeugenauss­age von D. alias „Dexter“, dem mutmaßlich­en Statthalte­r des montenegri­nisch-serbischen KavacClans in Österreich. D. wurde wegen seiner Rolle in der Organisati­on im Dezember nicht rechtskräf­tig zu lebenslang­er Haft verurteilt, sitzt derzeit aber noch in der Justizanst­alt Josefstadt ein. Dennoch wird eine Videokonfe­renz über die ungefähr 400-Meter-Distanz durchgefüh­rt.

Das nicht rechtskräf­tige Urteil wegen Drogenhand­els: elf Jahre Haft.

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