UN-Bericht sieht Folter mit „klarer Systematik“in der Ukraine
Kommission erkennt „fortgesetzte Verstöße gegen Menschenrechtsnormen“durch russische Besatzungstruppen
Erik Møse ist ein Mann, der Worte mit Bedacht wählt. Seit zwei Jahren untersucht der Jurist im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates die Lage in der Ukraine. Am Freitag stellte der norwegische Richter zusammen mit der aus Indien stammenden Expertin Vrinda Grover erneut einen Bericht der Unabhängigen internationalen Untersuchungskommission zur Ukraine vor. Der Bericht liest sich wie eine Ideensammlung für einen Horrorfilm.
Viel ist da die Rede von Mustern in der russischen Vorgehensweise. Einem Muster der Sorglosigkeit gegenüber Zivilisten; einem Muster von Folter; einem Muster sexueller Gewalt gegen Zivilisten wie Kriegsgefangene; einem Muster der Verschleppung von Kindern; und der Plünderung oder Zerstörung von Kulturschätzen. Und vor allem einem Muster bei der Vorgehensweise und bei der Durchführung all dieser Handlungen. Und da ist noch ein Muster in der Arbeit der UN-Untersuchungskommission: der Unwille Russlands zur Kooperation. Alle Anfragen an russische Stellen seien im abgelaufenen Untersuchungszeitraum unbeantwortet geblieben.
Dabei hat die Kommission laut Mandat nicht nur Russland im Visier. Auch ukrainische Vergehen werden geschildert. Dabei geht es vor allem um Personen, die der Kollaboration mit Russland verdächtigt und zunächst ohne Angabe von Gründen verhaftet wurden. Aber auch der nicht aufgeklärte Beschuss eines Marktes in Donezk (April 2023) wird erwähnt. Näheres habe man dazu aber nicht ermitteln können. Weil: kein Zugang aufgrund der Verweigerung Russlands.
Opfermaximierung
Die Beweise sind erdrückend. Zusammenfassend ist in dem Bericht von „wahllosen Angriffen der russischen Streitkräfte“zu lesen. Die „Vielzahl solcher Angriffe zeigt, dass die russischen Streitkräfte mögliche Schäden für die Zivilbevölkerung außer Acht lassen“. Das bezieht sich nicht nur auf Kampfgebiete. Erwähnt wird etwa der Beschuss ziviler Ziele durch Russland zu Zeitpunkten, die auf eine bewusste Maximierung der Opfer schließen lassen. Etwa ein Restaurant in den Abendstunden.
Die Rede ist weiter von „Beweisen für fortgesetzte Verstöße gegen die internationalen Menschenrechtsnormen und das humanitäre Völkerrecht sowie für entsprechende Verbrechen, die von den russischen Behörden in der Ukraine begangen werden“. Hier kommt der Umgang mit Gefangenen in Spiel. Erik Møse hat dafür ein Wort: „schrecklich“.
Zusammengetragen hat die UNKommission zahlreiche Berichte über Gefangenschaftserfahrungen. Ein roter Faden: Folter und Vergewaltigungen ungeachtet des Geschlechts des Opfers – und auch des Alters. Hinzu kommen Berichte über Folter mit Strom, Scheinerschießungen, willkürliche Tötungen, systematische Erniedrigungen, Unterversorgung, Schläge. All das sei „verbreitet und systematisch“, so Møse. Er nennt ein Beispiel: eine schwangere Mutter, die mit der 17-jährigen Freundin des Sohnes vor ebendiesem vergewaltigt wurde. Das Ziel solcher Misshandlungen laut Møse, egal ob es sich um Kriegsgefangene oder Zivilisten handelt: „Informationsgewinnung und Erniedrigung“.
Resultiert all das in einem Genozid oder trägt genozidale Züge? Møse nennt dazu vor allem die russische Medienberichterstattung, die „enthumanisierende Sprache“verwende und wo „zur Tötung einer großen Anzahl von Personen“aufgerufen werde. Zu einem Ergebnis, was diese Frage angehe, sei man aber noch nicht gekommen.