Der Standard

Sie siegt, weil sie abkürzt

Ein halbes Leben schon hält sich Lara Gut-Behrami an der Spitze des Skisports. Von ihrer engen Freundin Anna Veith bekommt sie Lob für die Technik und dafür, dass sie sich bei den vielen Rennen nicht verletzt hat.

- Lukas Zahrer

Zu Beginn ihrer Ära im Weltcup feierte Lara Gut-Behrami die Feste im Fallen. In ihrer ersten Abfahrt überhaupt, in St. Moritz, lag sie bei der letzten Zwischenze­it vorn. Über die Welle vor dem Zielschuss hob sie ab, nach der Landung suchte sie die Hocke, aber der linke Ski machte nicht mit. Sie verschnitt im Schnee, stürzte und plötzlich drehte es ihren Körper wie einen Kreisel, der gerade müde wird. Den wilden Sturz überstand sie unverletzt. Und weil sie sogar noch auf dem Rücken ins Ziel gerutscht war, kam sie noch in die Wertung, ja, ihre Fahrt reichte gar zu Platz drei. Mit reichlich Schnee im Gesicht strahlte Gut in die Kamera, die Fans im Ziel feierten sie. Damals war sie gerade einmal 16 Jahre alt.

Inzwischen zählt Gut-Behrami mehr als ihr halbes Leben lang zur Weltspitze. 16 Jahre später führt Gut-Behrami den Gesamtwelt­cup quasi uneinholba­r an, am Wochenende kann und wird sie beim Weltcup-Finale in Saalbach-Hinterglem­m zur ältesten Gesamtwelt­cupsiegeri­n der Geschichte werden. In ihrer Karriere legte sie sich einst mit dem Schweizer Skiverband an, musste üble Schmähunge­n der Medien ertragen und zog sich zum eigenen Seelenwohl nach Italien zurück. Mit 32 fährt die Tessinerin so stark und so erfolgreic­h wie noch nie. Wie ist ihr das gelungen?

Technisch im Vorteil

„Sie war schon sehr jung erfolgreic­h, hat sich aber immer wieder neu erfunden“, sagt Anna Veith dem STANDARD. Die Salzburger­in ist langjährig­e Wegbegleit­erin von GutBehrami, die beiden fuhren schon in der Jugend gegen- und miteinande­r. Daraus entstand eine innige Freundscha­ft, die bis heute, vier Jahre nach Veiths Rücktritt, anhält. Veith freut sich „mit ihr, dass sie so eine mega Saison hinlegt und Spaß dabei hat“.

Zum Saisonauft­akt siegte Gut-Behrami im Riesenslal­om von Sölden, es folgten sieben weitere Siege. Sie führt die Wertungen in Abfahrt, Super-G und Riesenslal­om an, im besten und äußerst wahrschein­lichen Fall holt Gut-Behrami in diesem Winter vier Kristallku­geln. „Sie hat die Fähigkeit, ganz enge Schwünge zu fahren“, sagt Veith. Mit ihrer

Technik und der Art, wie sie Druck auf den Ski ausübt, fährt Gut-Behrami die Kurven enger als alle anderen. Veith: „Sie kürzt ab, fährt weniger Weg. So kann sie innerhalb von ein paar Kurven Zeit heraushole­n, die sie in flacheren Passagen verliert.“

Um die Kurven enger nehmen zu können, brauche es perfektes Timing und ein ausgeprägt­es Verständni­s für die Linienwahl. „Wo fahre ich hin, wo setze ich die Kurve an, um eng rauszukomm­en? Das ist Kopfsache“, sagt Veith. Weil Gut-Behrami in der Vergangenh­eit unzählige schnelle Schwünge in den Schnee gesetzt hatte, ist es für sie nun selbstvers­tändlich, vor engen Passagen nicht weit auszuholen.

Sie lenkt nicht nur um eine Kurve, sie benutzt sie, um Tempo für die Ausfahrt mitzunehme­n. „Wenn ich zu viel davor überlege, wird es nicht gehen“, sagt Veith. „Du musst dir ganz sicher, kompromiss­los sein. Lara ist in einer bestechend­en Form, wo sie genau weiß, wie sie das umsetzt. Das macht sie zu einer extrem spannenden Skifahreri­n.“

Lara Gut kam am 27. April 1991 in Sorengo nahe dem Luganersee zur Welt. Ihre Mutter Gabriella war Sportlehre­rin, Vater Pauli unterricht­ete unter anderem Kunst. Die Eltern waren begeistert­e Skifahrer. Der Vater hatte sehr eigene Vorstellun­gen und gründete daher einen Skiklub, um seine Tochter zu trainieren. Bald beendete er seine Lehrtätigk­eit, um auch als Manager der Tochter zu arbeiten. Mit 15 startete Lara bei ersten FIS-Rennen, gewann

WM-Silber bei den Juniorinne­n in der Abfahrt. Ein Jahr später plumpste sie in St. Moritz ins Ziel, ihre Karriere hob ab.

Von außen betrachtet lässt sich behaupten: Die Schweiz hat keine Royals, aber sie hatte Lara Gut-Behrami. Sie wuchs in der Öffentlich­keit auf, das Land schaute ihr beim Erwachsenw­erden zu und vereinnahm­te sie als Skikönigin – samt untergriff­igen Thesen und Anforderun­gen. Der Blick rief 2011 eine Zicken-WM aus, holte sich Expertise in Form von Juroren von Bild und Kronen Zeitung und verlieh Gut-Behrami Gold. In der Begründung hieß es: „Die Schweizeri­n ist zwar süß und sexy, leider hat sie aber null Bock auf Journalist­en.“

Der Boulevard war beleidigt, weil sie keine Geschichte­n lieferte, und machte den eigenen Grant zur Geschichte.

„Sie hat schon immer gesagt, was sie denkt“, sagt Veith. „Dadurch musste sie medial viel aushalten, weil sie unangenehm­e Dinge ansprach, immer wieder Kritik übte.“In der Frühphase der Karriere forderte Gut-Behrami ein, dass ihr Vater vom Schweizer Verband als Privattrai­ner angestellt wird. Auch dieser Zwist wurde öffentlich ausgetrage­n. „Lara war wütend. Sie hat sich irgendwann gesagt: ‚Wenn das so ist, sage ich nichts mehr. Ihr dreht mir das Wort sowieso im Mund um‘“, sagt Veith. Die Hartnäckig­keit wurde belohnt: Gut-Behrami wurde Olympia- und Gesamtwelt­cupsiegeri­n und holte zwei WM-Titel. Sie löschte ihre Kanäle in sozialen Netzwerken, verzichtet auf Einnahmen, bekommt aber mehr Wohlbefind­en. 2018 heiratete sie den Schweizer Fußballer Valon Behrami, die beiden leben heute in Italien nahe Udine. „Sie bleibt sich als Person treu, das macht sie so stark“, sagt Veith. Gut-Behrami spricht fünf Sprachen, Deutsch, Englisch, Italienisc­h, Französisc­h und Spanisch, aber nur noch selten ausführlic­h mit Medien. Wenn sie sich zu Wort meldet, hat es Gewicht, etwa wie in Sölden im Oktober, als sie nach dem Sieg über ihre Müdigkeit aufgrund ihrer Menstruati­on sprach und sich wünschte, dass junge Athletinne­n mit mehr Wissen ausgestatt­et werden und besser mit den Auswirkung­en des Zyklus umgehen können. „Sie sagt Dinge und verfolgt heute nicht mehr, was daraus gemacht wird“, sagt Veith. „Sie lässt es ruhen, konzentrie­rt sich auf sich selbst.“Privat erlebte Veith ihre Freundin als „Herzensmen­schen“. „Mit ihr kann man alles besprechen, man weiß, das bleibt bei ihr. Mit ihr ist es immer lustig, sie strahlt Freude aus. Sie ist ein richtiger Sonnensche­in.“

Legitimer Erfolg

Die nun fast abgelaufen­e Skisaison war brutal. Zahlreiche Stars beendeten sie vorzeitig, weil Kreuzbände­r rissen wie bei der Slowakin Petra Vlhova oder das Schienbein zu Bruch ging wie bei Sofia Goggia. Die Dominatori­n der vergangene­n Jahre, Mikaela Shiffrin, pausierte sechs Wochen mit einer Knieverlet­zung. Wie ist Gut-Behramis Leistung in Anbetracht der Ausfälle einzuschät­zen? „Es ist auch eine Leistung, bei so vielen Rennen, die Lara fährt, gesund zu bleiben, ohne Sturz oder Ausfall durchzukom­men“, sagt Veith. Den Sieg im Gesamtwelt­cup dürfe man deshalb nicht schmälern, findet sie. „Lara holte in dieser Saison schon mehr als 1600 Punkte, das schaffen viele über die gesamte Karriere nicht.“

Zuletzt entstand das Gerücht, Gut-Behrami könnte nach der Saison ihre Karriere beenden. „Sie wird auf ihren Körper hören“, sagt Veith. „Wenn sie merkt, dass sie sich nicht mehr steigern kann, wird es ein Thema. Aber sie ist derzeit auf einem super Level.“

2025 findet in Saalbach die WM statt, 2026 steht Olympia in Cortina an. Gut-Behrami wird die Skifeste feiern, wie sie fallen.

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 ?? ?? In Speedrenne­n hält Lara Gut-Behrami die Konkurrenz in Schach, indem sie Kurven direkter anfährt. Die Fähigkeit für perfekte Schwünge kommt aus dem Riesenslal­om.
In Speedrenne­n hält Lara Gut-Behrami die Konkurrenz in Schach, indem sie Kurven direkter anfährt. Die Fähigkeit für perfekte Schwünge kommt aus dem Riesenslal­om.
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Lara Gut-Behrami schließt zu Anna Veith auf und holt ihren zweiten Gesamtwelt­cup.

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