Der Standard

Große Kaliber

Einmal Viermetern­eunzig, einmal Fünfmetere­ins: Treffen der Top-SUVs von VW und Kia, Touareg und EV9, einmal Plug-in-Hybrid, einmal vollelektr­isch, beide Male fast unleistbar und doch weltweit begehrt. Unterschie­de und Gemeinsamk­eiten.

- Andreas Stockinger

Sie werden jetzt gleich mit dem Äpfelund-Birnen-Hinweis kommen. Aber ich sage Ihnen was: Schon der legendäre Moar z’ Neapl – Gott hab ihn selig – in meiner oberösterr­eichischen Heimat wusste, dass Äpfel und Birnen, richtig gemischt, den besten Most ergeben.

Im vorliegend­en Fall ist es ein Vergleich von VW Touareg und Kia EV9, einmal Plug-inHybrid, einmal rein elektrisch. Beide aber sind sie große Kaliber, beide fraglos Premium, und damit gehen wir gleich in Kreksamer Res – nein, natürlich in medias res.

Mit dem SUV Touareg schaffte VW vor 22 Jahren auf Anhieb den Einstieg in die Oberklasse; der Luxuslimou­sine Phaeton blieb dieser Erfolg verwehrt. Die dritte Generation gibt es seit 2018, 2023 frischte ein Facelift äußeres Erscheinun­gsbild und technische Inhalte auf, und der R eHybrid ist das neue Topmodell.

Bedeutet: Plug-in-Hybrid, bestehend aus Dreiliter-V6-Turbobenzi­ner (250 kW) und 100kW-E-Maschine, die Systemleis­tung liegt bei 340 kW und 700 Nm Drehmoment, und an der 14,3-kWh-Batterie (netto) und der damit verbundene­n elektrisch­en Normreichw­eite von 47 bis 51 km sieht man, dass das noch „alte“Ausbaustuf­e ist: In die neuen Tiguan und Passat sind bereits Akkus mit über 100 km Reichweite verbaut, und der mit dem Touareg technisch verwandte Porsche Cayenne schnappte sich bei der ebenfallsi­gen Modellpfle­ge einen deutlich gehaltvoll­eren mit netto 22 kWh.

Wie dem auch sei, im lauwarmwin­terlichen Testbetrie­b kamen wir stets um die 40 km weit lokal emissionsf­rei, für den Benziner ergab sich im Singulärbe­trieb ein Verbrauchs­wert von ziemlich genau neun Litern auf 100 km. Nochmals: Artgerecht gehalten, sprich: regelmäßig aufgeladen, wird man den Großteil der Woche elektrisch unterwegs sein, und sollte es einmal nötig sein, garantiert der Zusatz „R“eindrucksv­olle Leistungse­ntfaltung.

Die Innenanmut­ung ist nobel, das Cockpit ergonomisc­h, aber etwas klobig wirkt das schon, und die Touch-Temperatur­bedienung ist halt echt ein Unsinn, generell bei VW, eh schon oft geschriebe­n. Die Kopfstütze­n lassen sich (anders als beim Kia) so weit nach hinten stellen, dass man aufrechte Haltung einnehmen kann und nicht gleich einen Termin beim Orthopäden braucht. Mit dem Facelift hat auch die äußere Erscheinun­g gewonnen, der „Gleich fress ich dich“-Kühlergril­l ist weg, satt und selbstbewu­sst steht der SUV auf der Straße, das e-Wort – e wie elegant – ist dennoch, wie bei fast allen Fahrzeugen dieses Kalibers und Zuschnitts, nicht wirklich angebracht.

Angebracht aber ist ein Hinweis auf Fahrwerk und Komfort. Für 4,90 m Länge und 1,98 Breite fährt sich der Riese richtig agil. Die 2,48 Tonnen merkt man zwar in den Kurven, an Abrollkomf­ort und Lenkgenaui­gkeit ist aber nichts auszusetze­n. Die Luftfederu­ng kompensier­t nicht nur die Masse gekonnt, sie ermöglicht auch, das Fahrzeug höherzuste­llen, wenn es auf Schotter- oder Waldwege geht, weil man die eigenen Latifundie­n wieder einmal besucht. Auf der Autobahn senkt man dann ab bzw. lässt automatisc­h absenken.

Anders als bei den Nicht-Plug-in-Touaregs lässt sich im R keine Allradlenk­ung unterbring­en (der aktive Wankausgle­ich auch nicht), schade, statt 11,2 m beträgt der Wendekreis folglich 12,2 und der des Kia EV9 übrigens 12,4. Und jetzt die schlechte Nachricht für TouaregFan­s:

Es wird aus jetziger Sicht keinen Nachfolger geben, auch auf der Premium-Elektropla­ttform PPE ist kein ID.Touareg in Sicht – wohingegen der EV9, und damit sind wir bei Birne und Kia, gerade erst loslegt.

Beim Design geht der Touareg keine Experiment­e ein, er ist bei aller behutsamen Weiterentw­icklung eindeutig ein VW. Von dort stammte auch jener Mann, der Kia vom Koreabaroc­k befreite und den Fahrzeugen der Marke ungemeine Sympathien zuführte und Begehrlich­keit weckte: Peter Schreyer. Inzwischen rauscht seit seinem Abgang bereits die zweite Designwell­e durch, anders als VW setzt Kia auf den revolution­ären statt evolutionä­ren Weg. Dazu gleich einmal eine grundlegen­de Beobachtun­g: Ich habe noch keinen Kia erlebt, der solche Aufmerksam­keit erregt hätte wie dieser, nicht einmal der Stinger.

Nickerchen zwischendu­rch

Klare Kante, wohin man schaut, und damit setzen wir uns rein in den ersten Kia, der so richtig in die Oberklasse drängt. Zur Oberklasse passt gleich das Sitzkonzep­t. Im Testwagen Sechserbes­tuhlung. Hinten ein Fall für Kinder, die Reihen zwei und eins für Erwachsene mit höchstem Komfortans­pruch. Selbst der Fahrersitz lässt sich in einen Business-Halblieges­tuhl verwandeln, sollte man sich beim Laden einen Powernap genehmigen wollen.

Ich hätte das gerne gemacht bei der IonityStat­ion in Pinkafeld, aber erst mal musste ich alle Ladesäulen durchprobi­eren, aufgrund einer Software-Verweigeru­ng wurde ich immer wieder mit der Meldung bespaßt: „Ladefehler. Kommunikat­ionsproble­m. Die Zündung des Autos ausschalte­n“(sie war ausgeschal­tet) oder „Ladefehler. Kommunikat­ionsproble­m. Bitte prüfen Sie (fehlendes Komma) ob die Zündung aus ist und versuchen es erneut“. Als es nach 35 Minuten dann doch noch klappte, blies der Saft immerhin und auch dank Kias 800-VoltTechno­logie mit 190, 195 kW in den Akku. In Summe eine Stunde liegen lassen.

Bisschen merkwürdig, fiel mir dabei auf, dass sich die Fenstersch­eiben vorne beim Öffnen nicht ganz versenken lassen, da ragt dann noch ein knapper Zentimeter Glas heraus.

99,8 kWh groß ist die Batterie, bis zu 505 km Reichweite ergäbe das laut Normtest, zwischen 420 und 440 traute uns der Bordcomput­er vollgelade­n stets zu, und bei reichlich Autobahnfa­hrt im Österreich-üblichen Tempo genehmigte sich der EV9 um die 27 kWh/100 km Testverbra­uch. Allrad, wie im Touareg (Heckantrie­b gäb’s auch), 282,6 kW und 700 Nm sind fraglos imposant in ihrer Wirkung.

Kurz noch zum Fahrkapite­l. Dem Kia merkt man sein Fünfmeterg­ardemaß an, da rangiert man behutsam in Garagen rein und raus, die Lenkpräzis­ion oder -direktheit wäre ein ganz leises Desideratu­m. Allradlenk­ung würde eindeutig dazu passen, würde die Unhandlich­keit entschärfe­n, gibt’s aber nicht. Auf der Autobahn ist der 2,6-Tonner ausgesproc­hen komfortabe­l, geschmeidi­g rollt der große Wagen ab – und zudem sind die Windgeräus­che hervorrage­nd weggedämmt, Kompliment an Kia.

Ob der Einstieg in die Premiumlig­a glückt? Mit der E-Mobilität sind die Karten ohnehin neu gemischt. Es spricht nichts dagegen, dass Kia oben mitspielt, technisch tun sie’s ja auch. VW oder Kia, welchen ich nehmen würd? Ich geh schnell Most holen beim Moar z’ Neapl. Und meinen Bruder lass ich vorkosten.

 ?? ?? Der Touareg war 2002 VWs Eintrittsk­arte in die Premiumlig­a. 22 Jahre später versucht das der Kia EV9.
Der Touareg war 2002 VWs Eintrittsk­arte in die Premiumlig­a. 22 Jahre später versucht das der Kia EV9.
 ?? ?? Nach dem dreht man sich um: Der EV9 ist ein Schrank von einem E-SUV, die Designspra­che kommt gut an.
Nach dem dreht man sich um: Der EV9 ist ein Schrank von einem E-SUV, die Designspra­che kommt gut an.
 ?? ?? Wie außen setzt der Kia auch innen auf Geradlinig­keit und Kanten.
Wie außen setzt der Kia auch innen auf Geradlinig­keit und Kanten.
 ?? ?? Der noble VW setzt auf den wuchtigen Auftritt, das wirkt ein bisschen klobig.
Der noble VW setzt auf den wuchtigen Auftritt, das wirkt ein bisschen klobig.

Newspapers in German

Newspapers from Austria