Große Kaliber
Einmal Viermeterneunzig, einmal Fünfmetereins: Treffen der Top-SUVs von VW und Kia, Touareg und EV9, einmal Plug-in-Hybrid, einmal vollelektrisch, beide Male fast unleistbar und doch weltweit begehrt. Unterschiede und Gemeinsamkeiten.
Sie werden jetzt gleich mit dem Äpfelund-Birnen-Hinweis kommen. Aber ich sage Ihnen was: Schon der legendäre Moar z’ Neapl – Gott hab ihn selig – in meiner oberösterreichischen Heimat wusste, dass Äpfel und Birnen, richtig gemischt, den besten Most ergeben.
Im vorliegenden Fall ist es ein Vergleich von VW Touareg und Kia EV9, einmal Plug-inHybrid, einmal rein elektrisch. Beide aber sind sie große Kaliber, beide fraglos Premium, und damit gehen wir gleich in Kreksamer Res – nein, natürlich in medias res.
Mit dem SUV Touareg schaffte VW vor 22 Jahren auf Anhieb den Einstieg in die Oberklasse; der Luxuslimousine Phaeton blieb dieser Erfolg verwehrt. Die dritte Generation gibt es seit 2018, 2023 frischte ein Facelift äußeres Erscheinungsbild und technische Inhalte auf, und der R eHybrid ist das neue Topmodell.
Bedeutet: Plug-in-Hybrid, bestehend aus Dreiliter-V6-Turbobenziner (250 kW) und 100kW-E-Maschine, die Systemleistung liegt bei 340 kW und 700 Nm Drehmoment, und an der 14,3-kWh-Batterie (netto) und der damit verbundenen elektrischen Normreichweite von 47 bis 51 km sieht man, dass das noch „alte“Ausbaustufe ist: In die neuen Tiguan und Passat sind bereits Akkus mit über 100 km Reichweite verbaut, und der mit dem Touareg technisch verwandte Porsche Cayenne schnappte sich bei der ebenfallsigen Modellpflege einen deutlich gehaltvolleren mit netto 22 kWh.
Wie dem auch sei, im lauwarmwinterlichen Testbetrieb kamen wir stets um die 40 km weit lokal emissionsfrei, für den Benziner ergab sich im Singulärbetrieb ein Verbrauchswert von ziemlich genau neun Litern auf 100 km. Nochmals: Artgerecht gehalten, sprich: regelmäßig aufgeladen, wird man den Großteil der Woche elektrisch unterwegs sein, und sollte es einmal nötig sein, garantiert der Zusatz „R“eindrucksvolle Leistungsentfaltung.
Die Innenanmutung ist nobel, das Cockpit ergonomisch, aber etwas klobig wirkt das schon, und die Touch-Temperaturbedienung ist halt echt ein Unsinn, generell bei VW, eh schon oft geschrieben. Die Kopfstützen lassen sich (anders als beim Kia) so weit nach hinten stellen, dass man aufrechte Haltung einnehmen kann und nicht gleich einen Termin beim Orthopäden braucht. Mit dem Facelift hat auch die äußere Erscheinung gewonnen, der „Gleich fress ich dich“-Kühlergrill ist weg, satt und selbstbewusst steht der SUV auf der Straße, das e-Wort – e wie elegant – ist dennoch, wie bei fast allen Fahrzeugen dieses Kalibers und Zuschnitts, nicht wirklich angebracht.
Angebracht aber ist ein Hinweis auf Fahrwerk und Komfort. Für 4,90 m Länge und 1,98 Breite fährt sich der Riese richtig agil. Die 2,48 Tonnen merkt man zwar in den Kurven, an Abrollkomfort und Lenkgenauigkeit ist aber nichts auszusetzen. Die Luftfederung kompensiert nicht nur die Masse gekonnt, sie ermöglicht auch, das Fahrzeug höherzustellen, wenn es auf Schotter- oder Waldwege geht, weil man die eigenen Latifundien wieder einmal besucht. Auf der Autobahn senkt man dann ab bzw. lässt automatisch absenken.
Anders als bei den Nicht-Plug-in-Touaregs lässt sich im R keine Allradlenkung unterbringen (der aktive Wankausgleich auch nicht), schade, statt 11,2 m beträgt der Wendekreis folglich 12,2 und der des Kia EV9 übrigens 12,4. Und jetzt die schlechte Nachricht für TouaregFans:
Es wird aus jetziger Sicht keinen Nachfolger geben, auch auf der Premium-Elektroplattform PPE ist kein ID.Touareg in Sicht – wohingegen der EV9, und damit sind wir bei Birne und Kia, gerade erst loslegt.
Beim Design geht der Touareg keine Experimente ein, er ist bei aller behutsamen Weiterentwicklung eindeutig ein VW. Von dort stammte auch jener Mann, der Kia vom Koreabarock befreite und den Fahrzeugen der Marke ungemeine Sympathien zuführte und Begehrlichkeit weckte: Peter Schreyer. Inzwischen rauscht seit seinem Abgang bereits die zweite Designwelle durch, anders als VW setzt Kia auf den revolutionären statt evolutionären Weg. Dazu gleich einmal eine grundlegende Beobachtung: Ich habe noch keinen Kia erlebt, der solche Aufmerksamkeit erregt hätte wie dieser, nicht einmal der Stinger.
Nickerchen zwischendurch
Klare Kante, wohin man schaut, und damit setzen wir uns rein in den ersten Kia, der so richtig in die Oberklasse drängt. Zur Oberklasse passt gleich das Sitzkonzept. Im Testwagen Sechserbestuhlung. Hinten ein Fall für Kinder, die Reihen zwei und eins für Erwachsene mit höchstem Komfortanspruch. Selbst der Fahrersitz lässt sich in einen Business-Halbliegestuhl verwandeln, sollte man sich beim Laden einen Powernap genehmigen wollen.
Ich hätte das gerne gemacht bei der IonityStation in Pinkafeld, aber erst mal musste ich alle Ladesäulen durchprobieren, aufgrund einer Software-Verweigerung wurde ich immer wieder mit der Meldung bespaßt: „Ladefehler. Kommunikationsproblem. Die Zündung des Autos ausschalten“(sie war ausgeschaltet) oder „Ladefehler. Kommunikationsproblem. Bitte prüfen Sie (fehlendes Komma) ob die Zündung aus ist und versuchen es erneut“. Als es nach 35 Minuten dann doch noch klappte, blies der Saft immerhin und auch dank Kias 800-VoltTechnologie mit 190, 195 kW in den Akku. In Summe eine Stunde liegen lassen.
Bisschen merkwürdig, fiel mir dabei auf, dass sich die Fensterscheiben vorne beim Öffnen nicht ganz versenken lassen, da ragt dann noch ein knapper Zentimeter Glas heraus.
99,8 kWh groß ist die Batterie, bis zu 505 km Reichweite ergäbe das laut Normtest, zwischen 420 und 440 traute uns der Bordcomputer vollgeladen stets zu, und bei reichlich Autobahnfahrt im Österreich-üblichen Tempo genehmigte sich der EV9 um die 27 kWh/100 km Testverbrauch. Allrad, wie im Touareg (Heckantrieb gäb’s auch), 282,6 kW und 700 Nm sind fraglos imposant in ihrer Wirkung.
Kurz noch zum Fahrkapitel. Dem Kia merkt man sein Fünfmetergardemaß an, da rangiert man behutsam in Garagen rein und raus, die Lenkpräzision oder -direktheit wäre ein ganz leises Desideratum. Allradlenkung würde eindeutig dazu passen, würde die Unhandlichkeit entschärfen, gibt’s aber nicht. Auf der Autobahn ist der 2,6-Tonner ausgesprochen komfortabel, geschmeidig rollt der große Wagen ab – und zudem sind die Windgeräusche hervorragend weggedämmt, Kompliment an Kia.
Ob der Einstieg in die Premiumliga glückt? Mit der E-Mobilität sind die Karten ohnehin neu gemischt. Es spricht nichts dagegen, dass Kia oben mitspielt, technisch tun sie’s ja auch. VW oder Kia, welchen ich nehmen würd? Ich geh schnell Most holen beim Moar z’ Neapl. Und meinen Bruder lass ich vorkosten.