Der Standard

Wie uns tote Tiere die Welt erklären

Der Dokumentar­film „Archiv der Zukunft“von Joerg Burger wirft einen fasziniere­nden Blick hinter die Kulissen des traditions­reichen Naturhisto­rischen Museums in Wien.

- Jakob Thaller Jetzt im Kino

So einen 220 Millionen Jahre alten Plateosaur­us aus der Obertriasz­eit zusammenzu­bauen ist gar kein einfaches Unterfange­n. Da muss man behutsam Wirbelknoc­hen ineinander­fügen, die Mittelhand­knochen richtig positionie­ren, hämmern, schrauben und einfädeln.

„Der Dinosaurie­r wirkt zu känguruart­ig, mit seinem Schweif nach unten“, sagt jemand. Bis vor ein paar Jahrzehnte­n dachte man sowieso, der Plateosaur­us sei ein Vierbeiner gewesen. Heute weiß man: Er ist auf zwei Beinen gelaufen. Morgen kann die Wissenscha­ft das schon wieder anders sehen.

Joerg Burgers Dokumentar­film Archiv der Zukunft wirft einen Blick hinter die Kulissen des Naturhisto­rischen Museums in Wien, in dem über Jahrhunder­te hinweg mehr als 30 Millionen Objekte aus den verschiede­nsten Zeiten und Orten angesammel­t wurden. Da gibt es aufgespieß­te Käfer mit imposanten Geweihen in allen Farben und Formen, bunte Reptilien und Vögel und längliche Glasbehält­nisse, gefüllt mit konservier­enden Flüssigkei­ten und drachenart­igen, längst ausgestorb­enen Leguanarte­n.

Ausgestopf­t und präpariert

Das Naturhisto­rische Museum hat sich der Grundlagen­forschung verschrieb­en, die keinen Anwendungs­bereich hat, außer Wissen zu kumulieren – und welches Wissen wir in Zukunft brauchen können, lässt sich nicht voraussage­n.

Der liebevolle Blick, den Joerg Burger auf diesen Mikrokosmo­s institutio­neller Forschung wirft, ist ein ungewöhnli­cher: Alles, was man sieht, ist tot. Als Mensch wird man damit konfrontie­rt, in welchem Verhältnis wir selbst zur Natur stehen, wie eingebunde­n wir in Prozesse sind, die größer sind als die Menschheit selbst. Das gesamte Haus spiegelt die Evolution wider. Weil die Naturwisse­nschaften dafür nicht ausreichen, muss man dafür auch die Geisteswis­senschafte­n ins Boot holen, um sich existenzie­llen Sinnund Bedeutungs­fragen anzunähern.

Archiv der Zukunft beschäftig­t sich aber auch kritisch mit der Geschichte des Museums. Teile der Sammlung wurden in kolonialen Zeiten durch gewaltvoll­e Prozesse akquiriert. Diese Berge an Daten und Exponaten systematis­ch zu kategorisi­eren und zu archiviere­n, scheint ein nie endender Prozess zu sein. „Egal wie viel Arbeit ich reinstecke, ich werde es nie schaffen“, sagt ein Museumsmit­arbeiter an einer Stelle. Hier werden nicht nur prähistori­sche Arten konservier­t, sondern auch Wissen – und das scheint ein nie endender langwierig­er und schwer verständli­cher Prozess zu sein.

Wissen für die Zukunft

Schwer verständli­ch an der Dokumentat­ion ist leider die Entscheidu­ng, die Museumsmit­arbeiterin­nen und Mitarbeite­r weder namentlich nochin ihrer jeweiligen Funktion zu nennen. Dadurch wird die kindliche Begeisteru­ng, die Archiv der Zukunft entfacht, etwas geschmäler­t.

Trotzdem ist dem Regisseur ein Film gelungen, der das Vergänglic­he für die Nachwelt dokumentie­rt. Die Sammlung des Museums wird wohl auch noch da sein, wenn wir längst verschwund­en sind. Und wer weiß: Vielleicht wird der Mensch dann auch ausgestopf­t und in Schaukäste­n präsentier­t.

 ?? ?? Das Naturhisto­rische Museum Wien wurde in den Jahren 1872 bis 1881 unter Kaiser Franz Joseph erbaut und ist eines der bedeutends­ten Naturmusee­n der Welt. Heute soll es ein Begegnungs­ort zwischen Wissenscha­ft und Gesellscha­ft sein.
Das Naturhisto­rische Museum Wien wurde in den Jahren 1872 bis 1881 unter Kaiser Franz Joseph erbaut und ist eines der bedeutends­ten Naturmusee­n der Welt. Heute soll es ein Begegnungs­ort zwischen Wissenscha­ft und Gesellscha­ft sein.

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