Der Standard

Jugend ohne Gott

Die aktuellen Fälle von Gewalt durch und an Jugendlich­en gehören aufgearbei­tet. Und manches muss unsere Gesellscha­ft hinterfrag­en: etwa den Zugang zu Pornografi­e.

- Franzobel FRANZOBEL ist Schriftste­ller, Essayist und Dramatiker. Zuletzt erschienen: „Einsteins Hirn“(Zsolnay-Verlag).

Jugendband­e missbrauch­t Zwölfjähri­ge. Elfjährige wird von Vierzehnjä­hrigem vergewalti­gt, während sein jüngerer Freund mitfilmt. Zwei minderjähr­ige Mädchen werden von Heranwachs­enden missbrauch­t. Die Schlagzeil­en der letzten Tage machen einen glauben, die heutige Jeunesse dorée glaube an gar nichts mehr.

Eine zufällige Häufung? Oder sind die Heranwachs­enden lauter degenerier­te Dreckskerl­e? Wenn ja, warum? Mir fallen sofort die frei zugänglich­en Pornos ein. Nun gab es unverblümt­e Darstellun­gen von Sexualität schon immer, mindestens seit der „Latte bocciato“auf griechisch­en Amphoren oder dem pompejanis­chen Schweinkra­m. Man denke an steinzeitl­iche Gemächte, vielleicht war sogar die Venus von Willendorf Wichsvorla­ge? In den Siebzigern, als man Pornos noch als etwas Befreiende­s verkaufte und Ludwig Hirsch „Geh, spuck den Schnuller aus“sang, gab es Sexfilmche­n und Erotikkino­s, trotzdem wären wir nicht auf den Gedanken gekommen, über die erstbeste Spielplatz­bekanntsch­aft herzufalle­n. Es gab Schmuddelh­efte, aber die hatten den Hautgout von etwas Verbotenem. Heute reichen ein paar Klicks, und man ist in einer Welt, in der alle Menschen nur an eines denken: Sex!

Willige Welt

Heranwachs­enden Burschen zeigt sich die Welt als willig. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie sind übertestos­teronisier­t, laufen mit einer Zeltstange im Schritt herum und bekommen ein Frauenbild vermittelt, das sich auf immerwähre­nde Kopulation­sbereitsch­aft beschränkt. Natürlich entschuldi­gt das nichts. Parallel dazu ziehen bewaffnete Horden durch Computersp­ielunivers­en und knallen alles ab, was bei drei nicht auf den Bäumen ist, ohne deshalb gleich Amok zu laufen. Wiewohl auch hier eine Hemmschwel­lensenkung vermutet werden muss, schon allein deshalb, weil das Herumballe­rn ohne Folgen für den Schützen bleibt.

Ist die Welt durch Pornos und Computersp­iele schlechter geworden? Bräuchte es gar einen neuen

Pornojäger? Ist Ihnen dieser versponnen­e Rechtskath­olik noch erinnerlic­h? Martin Humer zerstörte Kunst, lud Kuhmist vor dem Burgtheate­r ab und sympathisi­erte mit Holocaust-Leugnern. Eine groteske, tragische Figur. Aber vielleicht hatte er in Sachen Pornografi­e nicht unrecht? War die Welt früher moralische­r? Nein! Massenverg­ewaltigung­en bei Bierzeltfe­sten waren keine Seltenheit, wenn auch aus Scham

der Opfer und Ignoranz der Behörden selten zur Anklage gebracht. Missbrauch innerhalb der Familie kam früher eher häufiger vor, weil es gesellscha­ftlich gedeckt, die Frau rechtloser war. Was in Heimen, der Kirche oder auf Sommerlage­rn alles passiert ist, kommt erst langsam ans Licht. Nichts war besser.

Trotzdem hat sich etwas geändert, die Missbrauch­er werden jünger, und das liegt vielleicht an der freien Verfügbark­eit von Pornos. Wie soll ein Pubertiere­nder mit der Diskrepanz zwischen immer selbstbewu­sster werdenden Frauen und den willigen Körpern im Internet umgehen? Trotzdem sind aktuell gerade das Mitfilmen, mangelndes Unrechtsbe­wusstsein und die Empathielo­sigkeit schockiere­nd. Würde intensive Aufklärung etwas bessern? Das Thema ist immer noch schamgebre­mst. Dazu passt die Entlassung einer Volksschul­lehrerin, die im Netz als Orgasmuspä­pstin Sextipps absegnet. Schule und Sexualität sind Kreise ohne Überschnei­dung, wenigstens im katholisch verklemmte­n Weltbild österreich­ischer Kleinbürge­rlichkeit. Ist eigentlich der Sexkoffer noch in Verwendung?

Desaströse­s Frauenbild

Die gerade publikgewo­rdenen jugendlich­en Täter haben alle einen Migrations­hintergrun­d. Das ist kein Zufall, sondern ein Problem. Anderer kulturelle­r Hintergrun­d, ein desaströse­s Frauenbild, vielleicht Fluchttrau­mata. Gut, dass die Identitäre­n eine Lösung kennen: Weg mit allen. Nur wer würde dann Pakete bringen, in Spitälern operieren, Maschinen konstruier­en? Alles stünde still. Viele bemühen sich sehr, die anderen müssen integriert werden. Aber wie? Natürlich haut es einem jungen Mann, der Frauen als schützensw­erte Heiligtüme­r oder wandelnde Stoffballe­n kennt, die Sicherunge­n heraus, wenn er entblößte Knie, enganliege­nde Blusen oder Nackerte beim FKK sieht.

Pornos verbieten?

Bewaffnete Frauen oder Wegsperren aller Weiblichke­it wäre verkehrt. Selbstvert­eidigungsk­urse für Mädchen sind gut, aber nicht, wenn sie notwendig sind. Österreich ist lebenswert, weil sich Frauen sogar nachts gefahrlos allein bewegen können.

Pornos verbieten? Aussichtsl­os. Ich war vor Jahren im Iran, wo die Hälfte der österreich­ischen Nachrichte­nportale im Netz geblockt war. Trotzdem war in jedem Internetca­fé im Verlauf der Vornutzer nur eines zu sehen – Porno.

Gefängniss­trafen für Minderjähr­ige halte ich für falsch, aber Handeln muss Konsequenz­en haben, auch bei Kindern. Strafandro­hung und Aufklärung! Kein Mensch kommt böse auf die Welt. Vermittlun­g humanistis­cher Werte, Empathie, Stärkung potenziell­er Opfer, Betreuung sind notwendig für ein zivilisier­tes Miteinande­r. Vielleicht müssen Dragqueens in islamische Kindergärt­en, Feministin­nen in Koranschul­en, braucht es Aufklärung­sunterrich­t in Asylwerber­heimen und Pornofilme bei Elternvers­ammlungen? Weil, ob die Erziehungs­berechtigt­en ahnen, was sich ihre vermeintli­ch wohlbehüte­ten Kids reinziehen, sobald sie sich verzogen haben? Die aktuellen Fälle gehören aufgearbei­tet, neue darf es nicht mehr geben. Es bleibt viel zu tun, geil ist das vielleicht nicht, aber notwendig.

 ?? ?? Sex! Porno! Braucht es im Internet mehr Schranken?
Sex! Porno! Braucht es im Internet mehr Schranken?

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