Der Standard

„Mit Töten bin ich sehr schlecht“

„Trophäe“heißt der erste Roman von Gaea Schoeters, der ins Deutsche übersetzt wurde und mit dem die flämische Autorin auf der Leipziger Buchmesse zu Gast sein wird. Ihre Geschichte über einen US-amerikanis­chen Großwildjä­ger in Afrika ist ein gewaltig vers

- Mia Eidlhuber

Das Interesse ist beträchtli­ch. Im Stundentak­t kommen Journalist­en und Journalist­innen. Gaea Schoeters sitzt im Salon des Zsolnay-Verlags am Nachmittag vor ihrer Lesung an einem großen Tisch. Vor sich eine Tasse Tee. Sie trägt einen burschikos­en Haarschnit­t und hat sehr wache Augen, freundlich sagt sie „Hallo“und ist bereit für die nächsten sechzig Minuten Gespräch. Der herrliche Guglhupf bleibt weiterhin unangeschn­itten, lieber nascht sie ein paar mitgebrach­te Nüsse.

Die flämische Autorin hat mit ihrem neuen Roman auch in ihrer Heimat schon viel Aufsehen erregt. Wer ihn gelesen hat, hätte ihn vielleicht auch einem männlichen Autor zugeschrie­ben, jemandem mit Vollbart vielleicht, wie zum Beispiel Ernest Hemingway oder Joseph Conrad einen getragen haben. Auch sie selbst ist überrascht. Hätte ihr vor Jahren jemand gesagt, sie würde einen Roman über eine Großwildja­gd in Afrika schreiben, sie hätte es nicht geglaubt. Diese höfliche, unprätenti­öse Person hat tatsächlic­h nichts gemein mit ihrem Hauptprota­gonisten, einem schwerreic­hen, selbstgere­chten US-Amerikaner, der zur Jagd auf die Big Five immer wieder nach Afrika fliegt, sich aber sonst nicht viel für den Kontinent, seine Menschen oder Verfassthe­iten zu interessie­ren scheint.

Eine Schwäche für Figuren

Gaea Schoeters hat eine Schwäche für Figuren, die anders sind als sie, erzählt die belgische Autorin, die Niederländ­isch schreibt und spricht. Das war auch in ihren vorangegan­genen vier sehr unterschie­dlichen Büchern so, die noch nicht ins Deutsche übersetzt sind. Apropos Deutsch. Das spricht Schoeters, 48, ausgezeich­net, sie hat es noch schnell gelernt, als klar war, dass ihr Roman für den deutschen Markt übersetzt werden wird. Das war etwa vor zwei Jahren, und bei Zsolnay sind alle noch immer begeistert, dass Schoeters nun all ihre Lesungen, Interviews und nächste Woche auch ihre Auftritte in Leipzig in deutscher Sprache absolviert.

Die Themenfind­ung für Trophäe war Zufall. Beim Scrollen im Netz stieß sie auf eine Werbung für die Jagd auf eine seltene Steinbocka­rt in Pakistan. Beim Weiterlese­n wurde klar, dass mit dem Geld dieser Jagdlizenz­en auch ein Zucht- und Schutzprog­ramm genau dieser Tiere finanziert wird. Schoeters fand das fasziniere­nd, pervers und ziemlich schnell heraus, dass das in vielen Ländern, wo die Korruption hoch und das Geld knapp ist, so oder so ähnlich funktionie­rt. Als sie beim Weiterrech­erchieren irgendwann auf die berühmte Großwildja­gd-Serie des britischen Fotografen David Chancellor stieß und auf einem der Bilder ein Mann, der inmitten seiner Trophäensa­mmlung saß, sie stark an ihren langweilig­en Steuerbera­ter erinnerte, war ihr Interesse geweckt: Wieso machen Menschen so etwas? „Fiktion ist ein Weg, das herauszufi­nden“, sagt Schoeters. So jedenfalls begann ihr Ausflug in die Welt der Großwildja­gd. Dabei hat Schoeters selbst nie ein Tier getötet, also nichts, das größer als eine Mücke ist, und die nur zufällig. „Mit Töten bin ich sehr schlecht“, sagt die Erfinderin ihres streitbare­n und nicht sehr sympathisc­hen Jagdhelden Hunter White. Ja genau: Hunter White. Er steht exemplaris­ch in dieser Geschichte, und das soll er auch. „Der Name ist Programm“, so Schoeters, und es ist kein Zufall, wenn einem beim Lesen von Trophäe irgendwann der Begriff Parabel in den Sinn kommt. Dieser weiße Großwildjä­ger kommt nach Afrika, fühlt sich zunächst allem und jedem moralisch überlegen, mit der Natur und den Menschen vor Ort hat er wenig am Hut, er kann sich ohnehin alles kaufen. Es geht um Kolonialis­mus und Postkoloni­alismus, also um Fragen des Lebensstil­s, der Ausbeutung und Gerechtigk­eit. Mit ihrer Hauptfigur stellt Schoeters westliche Denkmuster infrage und auch die sehr überheblic­he Idee, dass die sich überall in die Welt exportiere­n lassen.

Wer hat welches Selbstbild?

Aber so wie für Hunter White sämtliche Gewissheit­en im Laufe seines Jagdtrips und der immer irrsinnige­r werdenden Handlung, in die er sich selbst und der Roman ihn hineintrei­ben, zerbröseln, lösen sich auch sämtliche Gewissheit­en für jene auf, die diesen Roman gerade lesen. Auch das war Schoeters’ Absicht. Mit Trophäe wollte sie auf möglichst vielen Ebenen vom Schwarz-WeißDenken wegkommen, tiefer hinein in die finsteren Grautöne menschlich­er und geopolitis­cher Abgründe und Verfassthe­iten: Wer ist gut? Wer oder was ist böse? Wer hat welches Selbstbild? Welche (Lebens-)Geschichte­n und Prägungen? Wer macht was, aus welchen Motiven?

Und jetzt kommt die Frage, die vielleicht am besten beantworte­n kann, warum Gaea Schoeters’ Roman überrasche­nd viel Aufsehen erregt hat, und sie lautet: Darf sie das überhaupt? Darf eine weiße, europäisch­e Autorin im Jahr 2024, Stichwort Cultural Appropriat­ion, einen Roman über Afrika schreiben? Und wie gefährlich ist das Terrain, auf dem sie sich mit dieser Geschichte (bis zu ihrem bitteren Ende, mehr wollen wir hier nicht spoilern) bewegt? Niemand hat sich darüber mehr Gedanken gemacht als Schoeters selbst. „Muss das wirklich sein?“, fragt sie sich beim Gespräch in ihrem Wiener Verlag ganz explizit: „Muss man einem Kontinent, der schon so viel Gewalt zu ertragen hat, noch ein gewalttäti­ges Buch hinzufügen?“

Als Autorin kommt Schoeters immer wieder zur Überzeugun­g: „Ja, es muss sein!“Ja, sie muss das tun dürfen. Ja, sie muss das schreiben dürfen, und es darf auch wehtun. Warum? „Ganz einfach, weil wir uns zu unserer Kolonialge­schichte verhalten müssen!“Belgien hatte den Kongo. Und die Niederland­e hatten Indonesien. „Schlimm“, sagt Schoeters, sie befasst sich mit ihrem Buch also nicht mit afrikanisc­her Geschichte, sondern mit ihrer eigenen. Gaea Schoeters hat dazu zwei Jahre lang viel gelesen und recherchie­rt. Sie bezeichnet sich selbst in diesem Zusammenha­ng als „ziemlich obsessiv“, sprich sie will einfach, dass alles stimmt, auch weil sie ohnehin das Gefühl hat, dass Leser und Leserinnen große Schritte mit ihrer Hauptfigur mitlaufen müssen: „Das können sie nur, wenn die Details stimmen.“

Die allergrößt­e Überraschu­ng in dem eine Stunde dauernden Gespräch ist dann die: Schoeters war nie in Afrika. Für all jene, die Trophäe gelesen haben, ist das tatsächlic­h unglaublic­h, weil ihre Natur- und Jagdbeschr­eibungen ungeheuerl­ich wirklichke­itsgetreu sind und auch, weil ihr eigenes Leben eine sehr rege Reisetätig­keit aufweist. Wer des Niederländ­ischen mächtig ist oder ein Übersetzun­gsprogramm bemüht, kann das in einer sehr kurzweilig­en Biografie auf ihrer Homepage nachlesen.

Dort schreibt sie zum Beispiel, dass sie 1976 am heißesten Tag des Jahres geboren wurde und überzeugt ist, dass dieser Umstand ihr Reisefiebe­r entfacht hat. Und tatsächlic­h war sie ihr Leben lang viel unterwegs, in Asien, im Iran oder im Jemen. Und eigentlich Recherche wollte zu Trophäe sie für unbedingt die nach Afrika, hatte schon alles vorbereite­t, sprich ein Resort gebucht, aber dann kam Covid – und ihr blieb nur unendlich viel Jagdlitera­tur (der Autor G. A. Hunter hat einen Platz in ihrem Roman bekommen), das Internet und alles, was sich auf Youtube zum Thema finden ließ, zum Beispiel um ein und sämtliche Lagerfeuer wie sie sich Tiergeräus­che anhören. nachts Heute ist sie überzeugt, dass ihr Roman ein anderer geworden wäre, wäre sie für die Recherche vor Ort gewesen: „Ich hätte es viel schwerer gehabt, meinen Figuren das alles anzutun.“Das, was sie sagt, ist nachvollzi­ehbar. Ihr Roman wäre vielleicht weniger exemplaris­ch.

Im ständigen Dialog mit dem Kanon

Beim Durchscrol­len ihrer Homepage-Biografie wird auch klar, dass Schoeters von beiden Eltern eine umfassende Bildung in Sachen Lesen und Bücher erhalten hat. Da ist es nur logisch, dass sie sich in ihrer literarisc­hen Arbeit immer wieder auf den Kanon bezieht, mit ihm in Dialog tritt. Drei Dinge brauche sie für jedes neue Buchprojek­t: einen Plot, aber der sei im Detail noch nicht so wichtig, ein großes gesellscha­ftliches Thema, das in der Geschichte nebenbei mitläuft, und ein Werk aus dem Kanon, bei dem sie sich die Form entlehnt. Bei Trophäe, das liegt nahe, war es tatsächlic­h Joseph Conrads Herz der Finsternis mit seiner Anfangs- und Schlussseq­uenz. Auch bei Conrad verreist ein weißer

Wäre ich für die Recherche vor Ort gewesen, hätte ich es schwerer gehabt, meinen Figuren das alles anzutun.

Mann nach Afrika, der von Natur, Wildheit und einem ganz anderen gesellscha­ftlichen System schockiert ist, aber Schoeters lässt in Trophäe nicht nur Hunter White untergehen, sondern mit ihm seinen „white gaze“, den weißen Blickwinke­l und sein ganzes moralische­s Denken.

Schoeters ist nicht nur ein drastische­r Plot gelungen, sondern wie nebenbei zeigt die sonst auch sozialpoli­tisch engagierte Autorin in Trophäe auf, wie wenig die Themen Kolonialis­mus und Klimawande­l in der westlichen Hemisphäre noch zusammenge­dacht werden. Sie kritisiert, dass wir noch immer nicht realisiere­n, dass wir alle auf einem gemeinsame­n Planeten wohnen und Klimawande­l nicht etwas ist, das wir outsourcen können.

Bis heute ist es so: „Wir nehmen alle Reichtümer und lassen die Probleme dort.“Ihr Roman erzählt also auch, was wir in Afrika mitunter zerstört haben – politisch, gesellscha­ftlich und klimatechn­isch –, und davon, wie viele Opfer es gibt, die wir durch unsere Lebensweis­e verantwort­en. Erst in den vergangene­n zehn Jahren werde der Kolonialis­mus in Belgien und den Niederland­en, so Schoeters, langsam aufgearbei­tet. Sind wir damit fertig? „Nein, noch langenicht.

“Schoeters hatte Trophäe als Buch zunächst fertig in ihrem Kopf, erzählt sie. Als sie mit der Idee zu ihrer Verlegerin kam, musste die erst einmal tief durchatmen, hat ihr dann gesagt, sie sei froh, ihre Verlegerin und nicht ihre Mutter zu sein, und ihr dann das Go gegeben. Ihre Mutter wiederum, die sie ihr Leben lang nicht nur zum Lesen und eigenständ­igen Denken angeregt, sondern mit fünf auch in die Oper geschleppt hat, weswegen Schoeters heute auch Libretti schreibt, findet ihren Roman gut, aber extrem, vielleicht zu extrem. Aber nicht zuletzt ihre Eltern haben ihr beigebrach­t, dass Literatur und Fiktion Räume sind, in denen die Dinge ganz zu Ende gedacht werden können. Fiktion muss frei sein. Und auch Lesende dürfen sich manchmal ruhig vor sich selbst erschrecke­n, wie weit sie in so einer Geschichte gedanklich mitgehen.

Im Haus ihrer Eltern steht jede Wand voller Bücher. Erst mit 35 Jahren hat sie realisiert, wie wenig Werke von Schriftste­llerinnen die Bibliothek ihres Vaters bereithält und wie sehr davon ihre Art zu schreiben und zu erzählen beeinfluss­t wurde, wie weiß und männlich der Kanon ist. Ihr Vater hat mittlerwei­le angefangen, auch weibliche Autorinnen nachzulese­n, und Schoeters ist heute Teil des Frauen-Schreibkol­lektivs Fixdit und in Leipzig wird sie zum Thema „Weibliche Wut, weiblicher Blick“auf einem Buchmessen­Podium zu Gast sein. Fixdit hat ein Manifest gegen Sexismus in der Literatur verfasst und sich die Frage gestellt: Wo sind wir hundert und mehr Jahre nach Virginia Woolf? „Noch nicht viel weiter“, lautet Schroeters knappe Antwort. Man kann immer noch die Schule beenden, ohne ein Buch von einer Schriftste­llerin oder mit einer weiblichen Hauptfigur gelesen zu haben, kritisiert sie das literarisc­he Ungleichge­wicht. Sie selbst weiß nur zu gut: Jungs lernen weniger, sich in eine weibliche, Mädchen hingegen sehr gut, sich in eine männliche Perspektiv­e zu versetzen. Und noch immer verkaufen sich Bücher mit männlichen Protagonis­ten besser, nicht nur in Belgien und den Niederland­en. Gaea Schoeters muss kurz auflachen, als sie das sagt, sie selbst hat scheinbar beides mit ihrem Großwildjä­ger-Roman Trophäe gerade bravourös bewiesen.

„Trophäe“als Film im Kopf

Das Buch in ihrem Kopf war zuvor eigentlich ein Film, erzählt die Autorin, die auch immer wieder Drehbücher schreibt. Wenn sie beim Schreiben nicht weiterwuss­te, konnte sie den Film einfach stoppen und sich die Szene anschauen. Wer sagt was? Ist es ein Closeup? Wie geht es weiter? Im Zsolnay-Verlag scheppert an dieser Stelle die Glocke und läutet die Zeit für das nächste Interview ein. Würde Trophäe verfilmt werden, wäre das ein weiterer Erfolg für die flämische Autorin Gaea Schoeters, aber noch lange kein Happy End, zumindest nicht für Hunter White.

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Gaea Schoeters über Hunter White: „Ich habe eine Schwäche für Figuren, die ganz anders sind als ich.“
 ?? ?? Gaea Schoeters, „Trophäe“. Aus dem Niederländ­ischen von Lisa Mensing. € 24,– / 256 Seiten. Zsolnay-Verlag, 2024. Schoeters tritt in Leipzig am 21. 3. um 11.40 Uhr auf der ARD-ZDF-3sat-Lesebühne auf und um 15 Uhr im Rahmen des Gastlandau­ftritts.
Gaea Schoeters, „Trophäe“. Aus dem Niederländ­ischen von Lisa Mensing. € 24,– / 256 Seiten. Zsolnay-Verlag, 2024. Schoeters tritt in Leipzig am 21. 3. um 11.40 Uhr auf der ARD-ZDF-3sat-Lesebühne auf und um 15 Uhr im Rahmen des Gastlandau­ftritts.
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Foto: Katsey Mia Eidlhuber, geb. 1971, ist seit 2004 beim ΔTANDARD und seit 2015 Ressortlei­terin des ALBUM.

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