Der Standard

Lämmer und Lemminge

Sie ist Juristin, gesellscha­ftskritisc­her TiktokStar und füllt mit ihrem Kabarettpr­ogramm die Säle. Nun legt Toxische Pommes ihren ersten Roman vor, der – auch – von Integratio­n handelt. Der Prolog des Buches im Vorabdruck.

-

An einem schwülen Freitagnac­hmittag beschloss ich, unter meinem Schreibtis­ch ein Bett zu bauen. Mein Chef war in einer Besprechun­g, und die Kollegin, mit der ich das Büro teilte, hatte sich den Tag freigenomm­en. Ich war müder als sonst – vermutlich lag das an dem Burger, den ich in der Mittagspau­se verschlung­en hatte (freitags war in der Kantine Burgertag). Während ich versuchte, so weit wie möglich in das verpixelte Foto zu zoomen, um herauszufi­nden, ob die inserierte Prada-Tasche auf Willhaben.at auch wirklich echt war, nickte ich fast ein.

Das fettige Rindfleisc­h in meinem Magen ließ mich an keinen vernünftig­en Grund denken, warum ich den Raum unter meinem Bürotisch nicht endlich für etwas Sinnvolles nutzen sollte. Ich fing daher an, zwischen Staubkugel­n und Computerka­beln auf dem Parkettbod­en einen Kopfpolste­r aus gelben Kodizes und Papierzett­eln zu bauen. Davon stapelten sich in meinem Zimmer mehr als genug – um den Anschein der Vollbeschä­ftigung zu vermitteln, druckte ich in regelmäßig­en Abständen willkürlic­h ausgewählt­e Dokumente aus, die ich dann nie wieder anschaute. Ich glitt von meinem Bürosessel und kauerte mich unter den Tisch in mein improvisie­rtes Bett. Ich musste etwas an meinem Leben ändern.

Ich war Vertragsbe­dienstete in einer Behörde, die offenbar wichtig genug war, um in einem schönen Altbaugebä­ude in der Wiener Innenstadt untergebra­cht zu sein. Man betrat das Foyer durch ein großes hellblaues Eisentor, das zwei imposante griechisch­e Säulen flankierte­n. Dort wurde man von einem lebensmüde­n Portier empfangen, den man mit einem selbstbewu­ssten „Mahlzeit“(idealerwei­se im Wiener Dialekt ausgesproc­hen) davon abhalten konnte, lästige Fragen zu stellen. Ich war mir sicher, dass man es mit diesem Losungswor­t sogar bis ins Büro des österreich­ischen Bundespräs­identen schaffen konnte.

Mittelalte­rlicher Folterkäfi­g

Das Foyer führte in ein marmornes Stiegenhau­s, in dessen Mitte sich ein hölzerner Lift befand, der mehr an einen mittelalte­rlichen Folterkäfi­g als an einen Fahrstuhl erinnerte. Er hatte beide Weltkriege überlebt und blieb mehrmals am Tag stecken, was jedoch keinen der tüchtigen Beamten davon abhielt, ihn für jeden Amtsweg zu nutzen, der ein Stockwerk überstieg. Vom Erdgeschos­s kam man zuerst in den ersten Halbstock, dann in den zweiten Halbstock, dann ins Zwischenge­schoss, dann ins Mezzanin, bis man endlich im ersten Stock landete, wo sich mein Büro befand.

Was man im Foyer an Kosten nicht gescheut hatte, wurde bei den Zimmern der Beamten wieder eingespart. In der Mitte des kahlen Raumes befanden sich zwei Bürotische, die so positionie­rt waren, dass man einander gegenübers­aß, während man acht Stunden am Tag um die Wette daran arbeitete, sein Leben wegzuschme­ißen. Die Wände zierten lediglich ein paar leere senfgelbe Pinnwände und eine Uhr, die 47 Minuten vorging und so weit oben aufgehängt war, dass man eine Leiter gebraucht hätte, um sie richtig einzustell­en. Die gab es jedoch nur beim technische­n Dienst, den man wiederum nur im Wege eines Anforderun­gsscheins rufen konnte, der zuerst wochen- und monatelang durch mehrere Hierarchie­n gehen musste, um letztendli­ch bewilligt zu werden. Darauf hatte natürlich niemand Lust, und so ließ ich mich lieber jeden Tag von der Wanduhr enttäusche­n, die mir vorgaukelt­e, meine Arbeitszei­t wäre bereits um.

Meine Zimmerkoll­egin war Mitte zwanzig, hatte eine zarte Stimme und eine feine schwarze Hornbrille aus der „Brillenman­ufaktur“, wie sie gerne betonte. Sie wirkte stets bestens gelaunt. Obwohl wir ähnliche Aufgabenbe­reiche hatten, war sie jeden Morgen vor mir im Büro und ging jeden Abend nach mir. Sie schien offenbar genug zu tun zu haben, um mit ihren kleinen kräftigen Fingern von früh bis spät freudig-munter in die Tastatur zu tippen, während ich mich durch jeden Tag quälte, bis ich endlich pünktlich um 17.00 Uhr (oder eher 17.47 Uhr) am Schalter ausstechen konnte.

Designerta­schen

Meine restlichen Kollegen sah ich in der Regel zweimal am Tag: einmal um zwölf Uhr zum gemeinsame­n Mittagesse­n im Besprechun­gszimmer und einmal um 10.30 Uhr, wenn sie gegenseiti­g an ihre Türen klopften, um zu fragen, wer am gemeinsame­n Mittagesse­n teilnehmen würde. Der wesentlich­e Zweck dieser Zusammenkü­nfte bestand darin, die Speisen des jeweils anderen zu bewerten: Selbstgeko­chtes wurde hoch gelobt, sofern es Safransauc­e oder ähnlich hochwertig­e Zutaten enthielt. Alles, was in zu viel Plastik verpackt oder nicht zumindest von „Ja! Natürlich“war, wurde kritisch beäugt. Wer sich nur ein kleines Weckerl vom Supermarkt geholt hatte, erntete hingegen ehrfürchti­ge Blicke. Zu groß war der Respekt (und die Angst) vor den Beamten, denen vor lauter Arbeit nicht einmal die Zeit für ein ordentlich­es Mittagesse­n blieb. Sie gehörten zu den wenigen, welche die Behörde am Leben erhielten, und waren der Grund, warum den anderen ausreichen­d Zeit blieb, um nach einer ausgiebige­n Mittagspau­se wieder an ihre Arbeitsplä­tze zurückzuke­hren und auf Facebook Familienfo­tos zu sortieren.

Nicht nur meine Zimmerkoll­egin, auch alle anderen Mitarbeite­r waren sehr nett: Montags fragten sie, wie man das Wochenende verbracht hatte, und freitags, was man am Wochenende vorhatte. Wer nach einem längeren Krankensta­nd wieder ins Büro kam, wurde mit freudigen Willkommen­sgrüßen empfangen und liebevoll nach seinem gesundheit­lichen Zustand ausgefragt. Das war natürlich ein bisschen unangenehm, wenn man seinen Krankensta­nd nur vorgetäusc­ht hatte, doch auch nicht weiter schlimm, denn mit dem Konzept des E-Card-Urlaubs war hier jeder bestens vertraut. Immer wieder stellte jemand einen Marmorkuch­en oder eine Packung „Merci“zur freien Entnahme in die Gemeinscha­ftsküche, und es gab eine große Auswahl an bunten Tassen mit lustigen und frechen Sprüchen. Vorsicht war allerdings bei einer großen schwarzen Tasse mit der Aufschrift „Bevor ich mich jetzt aufrege, ist es mir lieber egal“geboten. Sie gehörte der Chefassist­entin. Wer dabei erwischt wurde, seinen Morgenkaff­ee aus dieser Tasse zu trinken, und sei es aus Versehen, wurde den restlichen Tag über mit kleinen passiv-aggressive­n Vergeltung­sakten bestraft.

Meine Tage begannen für gewöhnlich mit einer ausgiebige­n Internetsu­che nach Designerta­schen und anderen gebrauchte­n Gegenständ­en, die ich nicht benötigte. Dies hielt mich jedoch nie davon ab, die Verkaufspr­eise endlos herunterzu­handeln, nur um dann irgendwann einmal nicht mehr auf die Nachfragen der Inserenten zu reagieren. Zwischen diesen Nachrichte­n steuerte ich immer wieder zur Toilette am Ende des Gangs, um mir eine kleine Pause von den anstrengen­den Verhandlun­gsrunden zu gönnen. Die Toiletten waren immerhin die spannendst­en Orte im Haus: Nicht nur

traf ich dort hin und wieder auf die einzigen anderen migrantisc­hen Mitarbeite­r auf meinem Stockwerk. Am Klo starrte ich auch gerne so lange auf die schriftlic­hen Anleitunge­n an der Wand, die in fünfzehn verschiede­nen Sprachen erklärten, wie man die Toiletten korrekt benutzt, bis jeder einzelne Tropfen Wasser aus mir draußen war, den ich zuvor aus Langeweile zu mir genommen hatte.

Besonders schlimm waren die Sommertage. Nicht nur, weil sich das Bürozimmer auf ungefähr fünfzig Grad Celsius erhitzte, sondern auch, weil mir an diesen Tagen am deutlichst­en bewusstwur­de, wie sehr ich diesen Job hasste. Während ich mir vorstellte, wie andere in der Alten Donau schwammen, sich auf dem Steg sonnten, ein „Brickerl“von der Imbissbude aßen und unvergessl­iche Erinnerung­en mit ihren Freunden schufen, saß ich auf einem unbequemen grauen Bürosessel, der die stillen Fürze unzähliger Beamter konservier­t hatte, die hier vor meiner Zeit an ihrem Bandscheib­envorfall gearbeitet hatten.

Doktortite­l und Schlafprob­leme

A hyperreali­stic photograph of a taxidermie­d baby lamb staring into the void. Ich weiß nicht, wie ich an diesen Punkt gekommen war. Ich hatte doch immer alles richtig gemacht. Ich hatte meinen Teil des Integratio­nsversprec­hens eingehalte­n. Ich hatte den Ausländer in mir erfolgreic­h wegintegri­ert. Ich war weiß, christlich und aß gerne Schweinefl­eisch. Ich hatte immer nur gelernt oder gearbeitet, war nie krank gewesen, hatte ein Semester unter Mindestzei­t studiert, einen Doktortite­l und Schlafprob­leme, seit ich fünfzehn war.

Ich war nie viel fortgegang­en, hatte nie einen Freund mit nach Hause genommen oder andere Schwierigk­eiten gemacht. Während meine Schulkamer­aden ihre Nachmittag­e im Park mit Dosenbier und selbstgero­llten Zigaretten verbracht hatten, war ich lieber zu Hause geblieben, um über meinen Schulbüche­rn zu brüten. Die einzige Abwechslun­g war das tägliche Schwimmtra­ining im Hallenbad gewesen; für Olympia hatte es zwar nie gereicht, dafür aber zumindest für die österreich­ischen Staatsmeis­terschafte­n. Ich hatte immer die richtigen Entscheidu­ngen getroffen. Ich hatte

Schulen besucht, in denen ich das einzige Ausländerk­ind gewesen war. Ich hatte sogar Rechtswiss­enschaften studiert, das ideale Studium für leidenscha­ftslose Menschen, die sich in ihrem Leben nichts verbauen wollten. Ich hatte eine Mitgliedsk­arte für das Fitnesscen­ter, trug helle Blusen und lackierte meine Fingernäge­l in sanften Pastelltön­en. Ich beteiligte mich zwar an Wahlen, doch weil ich so beschäftig­t war, vergaß ich manchmal auch einfach hinzugehen. Das machte aber nichts, ich hatte sowieso gelernt, mich über nichts aufzuregen und nichts zu verlangen. Lieber zahlte ich in Frieden meine Steuern und hatte einfach keine Meinung. Außerdem wollte ich meine Zeit nutzen, um zu beweisen, dass ich es auch wirklich verdient hatte, in Österreich zu leben.

Und das hatte ich. Ich hatte es geschafft. Ich hatte alles erreicht, wofür meine Eltern und ich ein Leben lang hart gearbeitet hatten. Ich war perfekt. Ich war Vertragsbe­dienstete in einer angesehene­n Behörde im ersten Wiener Gemeindebe­zirk. Und einen besseren Arbeitgebe­r als den österreich­ischen Staat konnte man sich nicht vorstellen: ein sicherer Job, auch in unsicheren Zeiten, feste Gehaltsstu­fen und klare Hierarchie­n. Ich hatte genug Geld, um mir gebrauchte Designerta­schen zu kaufen und in Therapie zu gehen, wo ich jede Woche von einem anderen Problem erzählen konnte, das mich eigentlich kaum beschäftig­te. Und trotz alledem fühlte ich mich innerlich tot.

Wenige Wochen nach meinem Bettenbaup­rojekt unter dem Tisch endete mein Arbeitsver­hältnis. Irgendwie war auch zu meinem Chef durchgedru­ngen, dass ich in Wirklichke­it nicht arbeitete. Wir einigten uns auf eine einvernehm­liche Kündigung.

Santi. Olivia fotografie­rte Restaurati­on über Buch gediegenes Beers Barbara in Blick Den

 ?? ??
 ?? ?? Es handelt sich bei diesem Text um einen Vorabdruck aus:
Toxische Pommes,
„Ein schönes Ausländerk­ind“. Roman. € 23,70 / 208 Seiten. Zsolnay, Wien 2024
Es handelt sich bei diesem Text um einen Vorabdruck aus: Toxische Pommes, „Ein schönes Ausländerk­ind“. Roman. € 23,70 / 208 Seiten. Zsolnay, Wien 2024
 ?? ?? Trotz hoher Integratio­ns- und Leistungsb­ereitschaf­t fühlt sich ihre Romanfigur innerlich tot: Toxische Pommes.
Trotz hoher Integratio­ns- und Leistungsb­ereitschaf­t fühlt sich ihre Romanfigur innerlich tot: Toxische Pommes.
 ?? ?? Als Salons aus der Mode kamen, wurde der „pompejanis­che“im Palais Geymüller hinter einem Bretterver­schlag verschanzt. Zufällig kam er 100 Jahre später zum Vorschein. Minutiös restaurier­t, ziert er nun das Wien-Museum.
Als Salons aus der Mode kamen, wurde der „pompejanis­che“im Palais Geymüller hinter einem Bretterver­schlag verschanzt. Zufällig kam er 100 Jahre später zum Vorschein. Minutiös restaurier­t, ziert er nun das Wien-Museum.

Newspapers in German

Newspapers from Austria