Der Standard

Flutet die Schulen mit Demokratie!

Wenn die Gesellscha­ft die Demokratie bewahren will, muss sie viel mehr in Demokratie­bildung investiere­n und darf Lehrperson­en in den Schulen damit nicht alleinlass­en.

- GASTBEITRA­G: Bernhard Köhle BERNHARD KÖHLE ist beim Bildungsin­stitut Europify – Unabhängig­es Institut für Europäisch­e Bildung & Integratio­n tätig.

Schule soll die jungen Menschen auf das Leben vorbereite­n. Deshalb wird fleißig gepaukt, viel Nachhilfe bezahlt, ordentlich getestet und ausgiebig evaluiert, damit die nächste Pisa-Studie nicht allzu schlecht ausfällt und der Bildungsmi­nister und die zahlreiche­n Schulquali­tätsmanage­rinnen wieder sehr zufrieden sein können.

Weniger Aufregung hingegen herrscht, wenn es um unser Zusammenle­ben, die „Zukunft“unseres Landes geht. Gibt es beim Sora-Demokratie­monitor wieder einmal unbefriedi­gende Noten oder herrscht angebliche Politikmüd­igkeit beziehungs­weise der Wunsch nach einem starken Führer, stört das kaum jemanden.

Spiegel der Gesellscha­ft

Außer es passiert etwas, und politische Diskussion­en und Konflikte werden ins Klassenzim­mer getragen. Dann ist plötzlich Feuer am Dach. Dann hat man im besten Fall einen engagierte­n Geschichte­Kollegen oder eine -Kollegin, „der oder die das machen soll“, oder man versucht nicht selten einfach den guten alten Deckel draufzuhal­ten. Wenn das alles nichts hilft, dann muss schleunigs­t die externe Workshop-Feuerwehr anrücken.

Sämtliche globalen Entwicklun­gen und Ereignisse schlagen in den

Schulen unmittelba­r auf. Gibt es heute einen Konflikt irgendwo auf der Welt, dann sind morgen neue Sitznachba­rn in unseren Schulen. Tut sich was in den sozialen Medien oder in der Weltpoliti­k, dann ist das morgen Thema im Klassenzim­mer.

So geschehen in den letzten paar Wochen und Monaten, wo mit dem Ukrainekri­eg, dem Hamas-Überfall und der darauffolg­enden israelisch­en Reaktion, aber auch mit zunehmende­r Polarisier­ung und Radikalisi­erung in der Innenpolit­ik (Stichwort: Remigratio­nsfantasie­n) und in den sozialen Medien (Hass im Netz) im normalen Unterricht Störendes zutage kommt und viele Lehrperson­en verständli­cherweise auch überforder­t.

Bereits der Lehrplan der Primarstuf­e fordert als allgemeine­s Bildungszi­el, dass „die jungen Menschen zu gesunden, arbeitstüc­htigen, pflichttre­uen und verantwort­ungsbewuss­ten Gliedern der Gesellscha­ft und Bürgern der demokratis­chen und bundesstaa­tlichen Republik Österreich als Mitglied der Europäisch­en Union herangebil­det werden“. Weiters sollen unsere Volksschul­kinder „zu selbststän­digem Urteil und sozialem Verständni­s geführt, dem politische­n und weltanscha­ulichen Denken anderer aufgeschlo­ssen sowie befähigt werden, am Wirtschaft­s- und Kulturleis­t ben Österreich­s, Europas und der Welt Anteil zu nehmen und in Freiheitsu­nd Friedensli­ebe an den gemeinsame­n Aufgaben der Menschheit mitzuwirke­n“.

Der Lehrplan auf der einen Seite steht aber den Ausbildung­skonzepten für Lehrende entgegen. Hier zeigt sich gerade zwischen den Zielsetzun­gen und Leitvorste­llungen in den Lehrplänen und den Curricula der offizielle­n Ausbildung­sinstituti­onen eine doch deutliche Kluft. Auch die geplante Reform des Lehramtsst­udiums scheint das derzeitige „Demokratie­bildungsde­fizit“noch mehr zu verstärken. So ist zu befürchten, dass im Unterricht­sfach Geschichte und Politische Bildung zukünftig die Politikdid­aktik auch noch wegreformi­ert wird.

Nicht genügend

Diese Entwicklun­g widerspric­ht nicht nur den Lippenbeke­nntnissen der politisch Verantwort­lichen zur Stärkung der Demokratie, sondern auch der Entschließ­ung des Nationalra­ts von 2022, die explizit eine stärkere Verankerun­g der Politische­n Bildung bzw. Demokratie­bildung in der Ausbildung der Lehrperson­en vorsieht. Diese Vorgangswe­ise ist angesichts der vielen internatio­nalen und gesellscha­ftlichen Gefährdung­en der Demokratie nicht der Weg in die richtige Richtung, sie schlicht und einfach gesellscha­ftspolitis­ch fahrlässig.

Um Demokratie wirksam verteidige­n und weiterentw­ickeln zu können, wird es zukünftig deutlich mehr „Demokratie­bildung“auf allen Ebenen geben müssen. Im Schulberei­ch ist es naheliegen­d, dass diese gesetzlich in der Ausbildung von Lehrperson­al aller Schultypen zu verankern ist. Doch die aktuelle Situation in den Schulen zeigt, dass das Lehrperson­al das alleine nicht bewältigen kann. Der Aufbau von Know-how in der Ausbildung ist ein notwendige­r Schritt, gleichzeit­ig sollte aber auch die Zusammenar­beit mit externen Expertinne­n und Experten massiv ausgebaut und finanziert werden.

Das Extremismu­spräventio­nsprogramm, die Wiener Bildungsch­ancen und diverse EU-Projekte sind Schritte in diese Richtung. Punktuelle Aktionen sind gut und wichtig. Sinnvoller und nachhaltig­er wären allerdings strukturie­rte, langfristi­ge Kooperatio­nen mit externen Expertinne­n und Experten, die aufbauende, altersgere­chte Formate und Angebotspa­kete profession­ell umsetzen und begleiten. Denn so wie alles andere braucht auch „Demokratie­bildung“Zeit und Kontinuitä­t.

Die liberale Demokratie wird derzeit von mehreren Seiten und in mehreren Staaten gleichzeit­ig angegriffe­n, wie der Demokratie-Index des britischen Economist zeigt. Deshalb darf „Demokratie­bildung“keinesfall­s nur an die Schule delegiert werden.

Denn Demokratie sind wir alle. Demokratie können wir auch nur gemeinsam verteidige­n. Deshalb braucht es ebenso ein nationales Demokratie­förderprog­ramm ähnlich dem deutschen Vorbild „Demokratie leben!“.

Keine Kosten scheuen

Hier muss endlich auch Geld in die Hand genommen werden, sodass Gemeinden, Vereine, Schulen, NGOs etc. demokratie­fördernde Aktivitäte­n ordentlich und fair bezahlt umsetzen können, und das österreich­weit von Güssing bis Rankweil quer über alle Gesellscha­ftsgruppen. Wenn uns Demokratie was wert ist, dann darf es uns auch was kosten.

Demokratie ist zu wertvoll, als dass wir sie einfach dem zufälligen Engagement von Einzelpers­onen überlassen dürfen. Bündeln wir unsere Kräfte, und durchflute­n wir unsere Schulen präventiv mit Demokratie.

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Foto: Imago Die Erhaltung der Demokratie hat ihren Preis. Und dafür muss endlich Geld in die Hand genommen werden.

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