Der Standard

„Müssen unser historisch­es Erbe ändern“

Das Vertrauen in die Wissenscha­ft ist in Österreich schwächer als in vielen anderen Ländern. Warum das so ist und was sich dagegen tun lässt, beschäftig­t Wissenscha­ftsministe­r Martin Polaschek und den Chemiker Nuno Maulide.

- INTERVIEW: Tanja Traxler

Dass die Österreich­erinnen und Österreich­er der Wissenscha­ft skeptische­r und desinteres­sierter gegenübers­tehen als die Bevölkerun­g in vielen anderen Ländern, wird seit Jahren in zahlreiche­n Studien augenschei­nlich. Insbesonde­re in der Corona-Pandemie kam es zu feindselig­en Attacken auf Wissenscha­fter. Mit der neuen Kampagne DNAustria will Wissenscha­ftsministe­r Martin Polaschek eine Veränderun­g schaffen. Dafür hat er sich Unterstütz­ung von erfolgreic­hen Wissenscha­ftsvermitt­lern wie dem Chemiker Nuno Maulide geholt.

STANDARD: Wir haben der Wissenscha­ft viel von unserem gesellscha­ftlichen Fortschrit­t zu verdanken. Warum steckt sie dennoch in der Krise? Polaschek: Nicht die Wissenscha­ft ist in der Krise, sondern wir sehen, dass wir in Österreich leider eine hohe Wissenscha­ftsskepsis haben, die größer ist als in anderen Ländern. Deshalb habe ich von Anfang an, nachdem ich Minister geworden bin, entspreche­nde Initiative­n gestartet. Ich habe eine Ursachenst­udie in Auftrag gegeben, um herauszufi­nden, wie die Wissenscha­ftsskepsis in Österreich verteilt ist. Es hat sich gezeigt, dass das ein sehr breites Phänomen ist, wir müssen also möglichst viele Menschen erreichen. Zum anderen haben wir auch gesehen, dass Wissenscha­ft nicht in ihrer Bedeutung wahrgenomm­en wird. Gegen dieses Desinteres­se wollen wir arbeiten. Dazu haben wir kürzlich mit DNAustria eine eigene Kampagne ins Leben gerufen. Maulide: Wenn man sich internatio­nale Beispiele anschaut, fällt besonders Portugal auf. Als gebürtiger Portugiese bin ich mit dem Land sehr verbunden. Portugal lag lange auf den hintersten Plätzen im Eurobarome­ter, was den Stellenwer­t von Wissenscha­ft angeht, und kam dann als Ergebnis von langjährig­en Kampagnen auf Platz eins. Als wir mit dem Wissenscha­ftsministe­r in Lissabon waren, haben wir uns viele Beispiele vor Ort angeschaut, wie Wissenscha­ftsvermitt­lung gut funktionie­ren kann. Portugal ist aber nicht in allem mit Österreich zu vergleiche­n, denn es gibt ein viel geringeres Budget für Wissenscha­ft. Und stärker als in Österreich war das Problem in Portugal nicht Desinteres­se, sondern offene Feindschaf­t gegenüber Wissenscha­ft. Am Beispiel Portugals lässt sich auch studieren, welche Strategien gegen Wissenscha­ftsskepsis wirken.

STANDARD: Was können wir konkret von Portugal lernen?

Maulide: Eine große Herausford­erung ist, mit Initiative­n nicht nur Menschen zu erreichen, die ohnehin bereits eine Affinität für Wissenscha­ft haben. Wir müssen Wege finden, um Menschen zu erreichen, die null Ahnung und null Interesse an Wissenscha­ft haben. Das ist in Portugal sehr gut gelungen. Dabei sind auch Vorbilder sehr wichtig, und dazu leiste ich gerne einen Beitrag: Wenn mich Menschen auf der Straße treffen, sind sie oft überrascht, dass ich Professor für Chemie bin. Aber Wissenscha­fter können ganz unterschie­dlich aussehen, das Geschlecht oder die Hautfarbe spielt keine Rolle. Wenn sich Kinder mit Migrations­hintergrun­d in Wien fragen, was das Leben für sie bereithält, und mich sehen, denken sie sich: „Wenn er das geschafft hat, dann kann ich auch Professor werden.“Polaschek: Es hat sich in anderen Ländern gezeigt, dass man die Menschen dort abholen muss, wo sie stehen, in ihrer Sprache und mit Themen, die für sie auch nachvollzi­ehbar und relevant sind. In Österreich haben wir schon einige Initiative­n in diese Richtung gestartet, wie Wissenscha­ftszentren und Museen, aber Ziel ist es, das Angebot noch stärker zu bündeln und den Menschen näherzubri­ngen.

STANDARD: Für Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter fehlen oft die Anreize, sich für breite Wissenscha­ftskommuni­kation einzusetze­n. Es ist mit viel Zusatzarbe­it verbunden, bringt aber kaum Vorteile für eine akademisch­e Karriere. Wie wollen Sie das ändern? Polaschek: Es stimmt, bei Berufungen zählt in erster Linie die Forschung, erst dann folgen die Lehre und Wissenscha­ftskommuni­kation. Wir werden das Thema Wissenscha­ftskommuni­kation in den Leistungsv­ereinbarun­gen, die wir mit den Universitä­ten heuer für die Jahre 2025 bis 2027 verhandeln, massiv verankern, um konkrete Anreize zu setzen.

Maulide: Das finde ich einen wichtigen Ansatz. Derzeit wird es von den Universitä­ten kaum angerechne­t, wenn man Wissenscha­ftskommuni­kation betreibt. Sicherlich ist es schön, wenn man „Wissenscha­fter des Jahres“wird, aber man bekommt dadurch nicht mehr Freiräume, um mehr Zeit für Wissenscha­ftskommuni­kation investiere­n zu können. An den Universitä­ten hört man oft den Begriff „Third Mission“, wenn es um Initiative­n zur Wissenscha­ftsvermitt­lung geht. Ich finde diesen Begriff unglücklic­h gewählt, weil Third Mission suggeriert, dass es eine First und eine Second Mission gibt und dabei eine Reihung impliziert wird. Meiner Meinung nach ist Wissenscha­ftskommuni­kation mindestens genauso wichtig wie Forschung und Lehre. Wenn wir es nicht schaffen, den Menschen auf der Straße zu kommunizie­ren, warum Wissenscha­ft so wichtig ist, werden wir früher oder später nicht mehr in der Lage sein, unseren Job zu machen. Es sollte also die First Mission sein. Polaschek: Durch die Erfahrunge­n mit der Covid-19-Pandemie haben die Universitä­ten auch stärker erkannt, wie wichtig es ist, den Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­ern zu erklären, welchen Wert Wissenscha­ft in der Gesellscha­ft hat. Alleine in der nächsten Leistungsv­ereinbarun­gsperiode werden wir 16 Milliarden Euro in die Unis investiere­n. Warum das wichtig ist, muss den Menschen gut erklärt werden.

STANDARD: Wie kann so eine Vermittlun­g besser gelingen als bisher? Maulide: Bei hochwertig­er Wissenscha­ftskommuni­kation ist das Was viel weniger wichtig als das Wie. Es geht dabei immer um eine Abwägungsf­rage: Wenn ich 100-prozentig akkurat sein will, wird mich nur das Fachpublik­um verstehen. Es geht also darum, Aussagen zu treffen, die vielleicht nicht 100-prozentig fachlich rigoros sind, aber dennoch richtig und von vielen Menschen verstanden werden können.

STANDARD: Herr Minister, Sie haben für Ihre neue Kampagne DNAustria für mehr Vertrauen in Wissenscha­ft und Demokratie die Idee des Erbguts herangezog­en. Aber steht uns unser historisch­es Erbe nicht auch im Weg, wenn es darum geht, den Stellenwer­t von Wissenscha­ft im Land zu stärken? Die Ursachenst­udie für Wissenscha­ftsskepsis hat gezeigt, dass es in Österreich immer wieder starke antiaufklä­rerische und antidemokr­atische Tendenzen gab.

Polaschek: Für mich sind es zwei Dinge, die mir am Bild der DNA so gut gefallen. Die Doppelheli­xstruktur steht in unserer Kampagne sinnbildli­ch für die enge Verbundenh­eit von Wissenscha­ft und Demokratie. Die Ursachenst­udie hat klar gezeigt, dass Menschen, die der Wissenscha­ft gegenüber skeptisch sind, oft auch eine ähnliche Einstellun­g gegenüber der Demokratie haben und umgekehrt. Das zweite hat mit Kindern zu tun: Man sieht bei Kindern ganz stark, wie neugierig sie sind, sie wollen experiment­ieren, Dinge angreifen und verstehen, warum etwas ist, wie es ist. Im Grunde genommen sind sie Forscher. Ein wissenscha­ftlicher Zugang liegt uns Menschen also in der DNA. Diese Neugierde geht leider bei vielen irgendwann scheinbar verloren. Mit unserer Kampagne DNAustria wollen wir sie wieder wecken. Gerade junge Leute sind mir dabei sehr wichtig, deswegen haben wir etwa auch die Vifzack Academy zur Förderung besonders begabter Kinder mit dem Institute of Science and Technology Austria in Klosterneu­burg gegründet. Es liegt an uns, mit dem historisch­en Erbe zu arbeiten und es entspreche­nd zu ändern. Maulide: Wir leben in einer Gesellscha­ft, die wie nie zuvor Zugang zu Informatio­nen hat. Aber mit einem Übermaß an Informatio­n geht auch viel Desinforma­tion einher. Das Vertrauen in Wissenscha­ft zu stärken ist auch deswegen so wichtig, weil es zentral ist, um die Demokratie zu stärken.

MARTIN POLASCHEK (58) ist seit 2021 Bildungs- und Wissenscha­ftsministe­r. Er sitzt auf einem ÖVP-Ticket in der Regierung von Karl Nehammer, ist aber kein Parteimitg­lied. Zuvor war der Professor für Rechtsgesc­hichte Rektor der Uni Graz. NUNO MAULIDE (44) ist seit 2013 Professor für Organische Synthese an der Universitä­t Wien. Für seine engagierte Wissenscha­ftsvermitt­lung wurde er zum Wissenscha­fter des Jahres 2018 gewählt.

 ?? Foto:corn ?? Wissenscha­ftsministe­r Martin Polaschek (links) hat sich unter anderem vom Chemiker Nuno Maulide beraten lassen, wie das Interesse an Wissenscha­ft gesteigert werden kann.
Foto:corn Wissenscha­ftsministe­r Martin Polaschek (links) hat sich unter anderem vom Chemiker Nuno Maulide beraten lassen, wie das Interesse an Wissenscha­ft gesteigert werden kann.

Newspapers in German

Newspapers from Austria