Der Standard

Porträt des Autors als junger Mann

Mit seinem Joseph-Roth-Roman „Im Schatten zweier Sommer“beschwört Jan Konnefke Stefan Zweigs „Welt von Gestern“.

- Bert Rebhandl

Den Frühling des Jahres 1914 in Wien dürfen wir uns als sehr schön vorstellen. So klingt das jedenfalls im Tagebuch eines Mädchens namens Fanny, das gerade seine erste Schwärmere­i durchlebt. Die Familie, die sich mit dem Schusterha­ndwerk des Vaters rechtschaf­fen durchbring­t, hat einen Zimmerherr­n (Untermiete­r) aufgenomme­n, einen jungen Mann namens Joseph Roth. Er stammt aus Galizien, über seine nähere Herkunft erzählt er unterschie­dliche Geschichte­n, aber es kann kein Zweifel herrschen, dass er Jude ist und sich stark mit Habsburg identifizi­ert. Fanny, 17 Jahre alt, ist von Joseph fasziniert, und auch er scheint etwas für sie übrig zu haben. Allerdings ist die Sache komplizier­t, aus den unterschie­dlichsten Gründen. Mal hat der junge Herr kein Geld, dann hat er wieder plötzlich recht viel, wenn der Vormund etwas lockermach­t. Fanny erlebt einen schillernd­en Charakter, und während sie schon von Verlobung träumt, jedenfalls von einer heimlichen, erfährt sie auch immer wieder Enttäuschu­ngen.

Die größte ereignet sich an einem Tag, an dem, wie man auch im Volksmund so gern sagt, alles zusammenko­mmt: In Sarajevo wird der Thronfolge­r erschossen, und zwischen Fanny und Joseph kommt es bei einer Grottenbah­nfahrt zu einer Katastroph­e. Denn im Dunkel der Belustigun­g nimmt sich der in erotischen Dingen wohl noch nicht allzu souveräne Mann eine Freiheit heraus, die nicht sein darf. In Jan Koneffkes Roman Im

Schatten zweier Sommer ist das eine Schlüssels­zene, die sorgfältig komponiert wird: Der rollende Wagen kommt im „Purgatoriu­m“zu einem Bild der Stadt Messina, die plötzlich in Flammen steht – der Ätna muss ausgebroch­en sein, jedenfalls ein Kulissenvu­lkan. Und just in dem Moment verspürt Fanny eine unzüchtige, ja grobe Berührung. Mehr als eine Welt geht da unter, in einer schönen literarisc­hen Zuspitzung.

Joseph Roth war tatsächlic­h in dieser Zeit in Wien. Die Figur der Fanny hingegen ist erfunden – eine Legende, so könnte man sagen, in Anlehnung an die berühmte Legende vom heiligen Trinker, dem letzten Text Roths, der 1939 im Pariser Exil starb. Koneffke kam zu seinem Thema, weil er in Wien in eine Wohnung in der Rembrandts­traße gezogen war, und zwar in das Haus, in dem auch Roth eine Zeit gelebt hatte. Da kam also die Inspiratio­n mit dem Meldezette­l. Und Koneffke hat eine Menge daraus gemacht.

Denn mit dem Roman gelingt es ihm, zwei Zeitbilder zu verfertige­n. Das erste fängt die letzten Monate der Monarchie vor dem Krieg ein, in einem hinreißend­en Wien-Roman, der nicht zuletzt durch das Idiom von Fanny begeistert. Sie legt ihre „Seelenbewe­gungen, die mir nicht klar sind“, in einem schönen Wienerisch in einem Tagebuch nieder, das Koneffke in einer unangestre­ngten Konstrukti­on als Zeitund Persönlich­keitszeugn­is offenbart. „Ich bin nicht das Madl, das alles verschmerz­t“, sagt Fanny – aus dem Prolog wissen wir da schon, dass sie selbst eine außergewöh­nliche (auch historisch plausible) Person war.

Da sie aus einer sozialdemo­kratischen Familie kommt, in der gerade der Vater immer einen illusionsl­osen Blick auf die politische­n Realitäten hat, bedarf es auch keiner großen erzähleris­chen Umstände, um sie 1939 in Paris noch einmal auf Roth treffen zu lassen. Über diese Phase der Schriftste­llerbiogra­fie ist viel mehr überliefer­t. Koneffke ist hier stärker durch Fakten gebunden, aber auch da verschafft er sich ohne viel Zinnober schöne Freiräume, um die nun schon deutlich ins Tragische tendierend­e Liebesgesc­hichte doch noch zu denkbaren Erfüllunge­n kommen zu lassen. Fanny bleibt immer die genaue Beobachter­in, auch ihrer selbst, der man als Erzählerin vertrauen will. In Roths Kreisen erlebt sie noch einmal die Erinnerung an „ein gutes Vergangene­s“, ein jüdisch-kakanische­s, linkes Österreich in einem Wien, das zweifellos etwas von einer positiven Beschwörun­g hat. Nicht von ungefähr geistert Stefan Zweig durch diesen Roman, der das Zeug zu einem veritablen neuen Österreich-Mythos hat.

ALBUM

Mag. Mia Eidlhuber (Ressortlei­tung) E-Mail: album@derStandar­d.at

 ?? ?? Jan Konnefke, „Im Schatten zweier Sommer“. € 25,50 / 304 Seiten. GalianiVer­lag, 2024
Jan Konnefke, „Im Schatten zweier Sommer“. € 25,50 / 304 Seiten. GalianiVer­lag, 2024

Newspapers in German

Newspapers from Austria