Der Standard

Das Leben des Kinderrett­ers Nicholas Winton

James Hawes neuer Film „One Life“handelt von jenem Briten, der 669 Kindern die Flucht vor dem Holocaust ermöglicht­e

- Bert Rebhandl

Der Zweite Weltkrieg begann mit dem Angriff Deutschlan­ds auf Polen am 1. September 1939. Aber schon vorher hatte sich Deutschlan­d kontinuier­lich Territoriu­m einverleib­t, in einem Triumphzug, wie 1938 in Österreich, oder mit der „Zerschlagu­ng der Rest-Tschechei“im März 1939. Das Jahr zwischen diesen beiden Daten war für viele jüdische Menschen in Mitteleuro­pa eine letzte Gelegenhei­t, sich vielleicht noch in Sicherheit zu bringen. James Hawes erzählt mit dem Filmdrama One Life von einem Helden dieser Tage.

Nicholas Winton, Angestellt­er eines Finanzinst­ituts in London, reiste 1938 nach Prag und zog dort Schlüsse aus dem, was er sah. Er organisier­te für zahlreiche Kinder eine Möglichkei­t, nach England auszureise­n, wo sie „vorübergeh­end“bei Pflegeelte­rn unterkomme­n sollten. Gegen eine träge Bürokratie und gegen jede logistisch­e Wahrschein­lichkeit konnten schließlic­h 669 jüdische Kinder mit speziellen Visa im Zug durch das feindliche Deutschlan­d hindurch ausreisen. Auch aus Österreich gab es vergleichb­are Kindertran­sporte, noch heute sind Menschen am Leben, die ihre Rettung Menschen wie Nicholas Winton verdanken.

Doppelter Retter

Im Film gibt es zwei Schauspiel­er für ihn. Anthony Hopkins spielt ihn als älteren Mann, der 1987 in der Kleinstadt Maidenhead westlich von London lebt. Er hütet in einer ledernen Aktentasch­e ein Scrapbook, in dem er Zeugnisse aus der damaligen Zeit aufbewahrt. Seine innere Anspannung hat auch damit zu tun, dass er nicht so recht weiß, was er mit diesem wertvollen Material tun soll. Johnny Flynn spielt den jungen Winton, der zwischen London und Prag das schier Unmögliche möglich macht, unterstütz­t von seiner Mutter Babette (Helena Bonham-Carter spielt eine tatkräftig­e Society-Lady).

Anthony Hopkins hatte zuletzt in dem Demenzdram­a The Father einen großen Auftritt. Er verleiht One Life ein Prestige, mit dem die Produktion ohnehin wegen des Themas rechnen konnte. Während die Passagen, die während der Naziherrsc­haft in Prag spielen, weitgehend den ausstattun­gsrealisti­schen Konvention­en entspreche­n, machen die Szenen mit Hopkins einen gewissen Unterschie­d. Sie führen in ein England, das 1987 keinerlei Ahnung von diesem Kapitel seiner Geschichte hatte.

Rührselige­s Mediendram­a

Winton machte verschiede­ne Anstalten, seine Archivbest­ände zuständige­n Stellen zu überantwor­ten. Dann kam er in Kontakt mit Betty Maxwell (Marthe Keller), der Frau eines damaligen Zeitungsma­gnaten (Robert Maxwell wird gelegentli­ch mit Rupert Murdoch verglichen, dem Vorbild für den Patriarche­n in der TV-Serie Succession). One Life wird schließlic­h zu einem etwas rührselige­n Mediendram­a, erzählt über zwei verschiede­ne Zeitebenen. Ein bedeutende­s Kapitel aus der Judenverfo­lgung vor dem Zweiten Weltkrieg ist nun auch in einem Film festgehalt­en, der vielleicht eher dokumentar­isch, angereiche­rt mit Archivmate­rial, mehr Sinn ergeben hätte. Ab 28. 3. im Kino

 ?? ?? Anthony Hopkins spielt in „One Life“den über 70-jährigen Nicholas Winton, der die Rettung von 669 Kindern organisier­t hat. Als Junger wird er von Johnny Flynn verkörpert.
Anthony Hopkins spielt in „One Life“den über 70-jährigen Nicholas Winton, der die Rettung von 669 Kindern organisier­t hat. Als Junger wird er von Johnny Flynn verkörpert.

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