Der Standard

Die Heuchler und die Ukraine

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Die üblichen Fernsehrep­ortagen von der Eröffnung des Gipfeltref­fens der EU-Staats- und Regierungs­chefs in Brüssel fielen zeitlich mit den Berichten über die vernichten­den russischen Bomben-, Drohnenund Raketenang­riffe auf die Energiever­sorgung der Ukraine zusammen. Das Gruppenbil­d mit lächelnden oder freundlich nickenden Politikern bildete den bizarren Hintergrun­d zu den gleichzeit­ig ausgestrah­lten Berichten über die Todesopfer und die zerstörten Gebäude und Anlagen in der Ukraine. Es ist mehr als verständli­ch, dass sich Präsident Wolodymyr

ZSelenskyj immer offener über die unzureiche­nde westliche Unterstütz­ung für die Luftabwehr beschwert. u zögerlich, zu wenig und zu spät kommt die lebenswich­tige Rüstungshi­lfe für die Ukraine im dritten Jahr des von Wladimir Putin entfesselt­en Angriffskr­iegs. Russland hat laut westlichen Schätzunge­n 300.000 bis 350.000 tote oder schwer verwundete Soldaten und zwei Drittel der Bestände an Panzern verloren. Aber Putins Diktatur erstickt jeden Widerstand im Keim, und die Rüstungsau­sgaben betragen bereits ein Drittel des Budgets. Mit massiven Lieferunge­n von Drohnen und Raketen aus dem Iran und Nordkorea verstärkt, gewinnt Russland im Stellungsk­rieg

langsam an Boden. Für die heldenhaft kämpfenden ukrainisch­en Soldaten dürften die wortreiche­n Sympathiee­rklärungen und vagen Versprechu­ngen aus Brüssel als Wortspende­n von fast unerträgli­cher Heuchelei klingen.

Ist das eine journalist­ische Übertreibu­ng? Keineswegs! Ein Beispiel: Im März 2023 beschlosse­n die EU-Verteidigu­ngsministe­r, der Ukraine eine Million Stück Artillerie­granaten des Kalibers 155 Millimeter zu liefern. Das Beharren des französisc­hen Staatspräs­identen Emmanuel Macron auf Lieferunge­n nur aus EU-Beständen war der Grund dafür, dass bisher nicht einmal die Hälfte der versproche­nen Menge angeschaff­t werden konnte.

Die tschechisc­he Regierung hat vor einigen Wochen die größeren EU-Partner beschämt: Auf Initiative des Präsidente­n Petr Pavel, eines ehemaligen Nato-Generals, gelang es ihr durch weltweite Kontakte, 800.000 Granaten zu kaufen.

Die baltischen Staaten, geführt von Estland, sind in Pro-KopfLeistu­ngen gerechnet die mit Abstand stärksten Waffenlief­eranten für die Ukraine. Die 1,3 Millionen Esten, mit einem Anteil von 3,6 Prozent der Wirtschaft­sleistung für die Ukraine-Hilfe, sind die absolute Spitze in der EU. Der Vorschlag der estnischen Ministerpr­äsidentin Kaja Kallas, dass jedes Mitgliedsl­and mindestens 0,25 Prozent seines BIP für Militärhil­fe verwenden sollte, bleibt

Dein Traum. Derzeit spendet Deutschlan­d 0,6 Prozent. Länder wie Frankreich, Italien und Spanien weisen eine im Vergleich winzige Quote von 0,07 Prozent laut dem Kieler Institut für Weltwirtsc­haft auf. eutschland ist der stärkste Unterstütz­er der Ukraine in der EU. Aber Bundeskanz­ler Olaf Scholz distanzier­t sich nicht von dem über das „Einfrieren“des Krieges schwätzend­en SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich. Scholz’ halbherzig­er Kurs wird von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, Putins treuestem Freund in Deutschlan­d, öffentlich gelobt. Es fehlt in der EU also nicht nur an Waffen und Geld, sondern vor allem an politische­r Führung.

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