Wer lauthals brüllt, hat unrecht
Viel ist heute von Machtmissbrauch die Rede, wenn auf die Kunst geblickt wird. Zuletzt ließ Mimin Dolores Schmidinger im Standard die Öffentlichkeit an Gewalterfahrungen teilhaben. Sie berichtete unter anderem von der Zunge eines Volksschauspielers, die sich in ihr Ohr vertiefte. Man spricht bei inspirierten Menschen zwar vom „Reden in Zungen“. Aber es ist verständlich, dass Frau Schmidinger ob solcher Zudringlichkeit keineswegs dachte, sie sei eines Pfingstwunders teilhaftig geworden.
Schmidingers Rechenschaftsbericht glich einer Rückschau auf sanktionierte Rüpeleien. Sie wies auf eine weitere Gewaltkomponente hin: Viele Regisseure und Spielvögte pflegen bis heute die Unart, ihre Schutzbefohlenen aus den geringfügigsten Anlässen in Grund und Boden zu brüllen. Jeder Zeitzeuge der Ära Kreisky wird diese Beobachtung bestätigen. Als kleiner, etwas weicher „Babyboomer“, der eine ganze Reihe von sportlichen Defiziten aufwies, bildete ich ein beliebtes Zielobjekt für Schreiattacken aller Art.
Sportlehrer gewährten Blickkontakt mit ihrem Rachenzäpfchen: Entweder hatte man den Kasten nicht geschwind erklommen, oder man war vom Seil gerutscht. Das Gebrüll fand im Klassenzimmer seine Fortsetzung. Man wurde angeschrien, weil man einfältig war, begriffsstutzig oder ungewaschen. Erst später wurde einem erklärt, dass dieser oder jener Professor im Krieg als Flakhelfer gedient habe. Weshalb der Bedauernswerte partiell ertaubt sei und daher genötigt, seine Stimme zu erheben.
Als ich Anfang der 1980er einem Konzert der Who in der Wiener Stadthalle beigewohnt hatte, nahm ich die Umwelt eine Woche lang wie durch Filter wahr. Nichts verirrte sich in mein Ohr. Das Gebrüll der Professoren glich Zephyrs Gesäusel. Jede Lehrerzunge, war sie auch noch so geschmeidig, blieb außen vor.