Der Standard

Vom Absturzfal­l zum Überfliege­r

Der Flugzeughe­rsteller Airbus gilt als Modell für erfolgreic­he staatliche Interventi­onen in die Wirtschaft. Dabei ist seine Geschichte von politische­n Einflussna­hmen und Ineffizien­z geprägt. Wie gelang der Aufstieg trotzdem?

- Joseph Gepp

Der Aktienkurs dieses Unternehme­ns befindet sich auf einem Allzeithoc­h. Wer ein Produkt aus seinem Sortiment will, muss zehn Jahre warten. Die Nachfrage ist gar derart groß, dass derzeit sogar bei den Kunden wegen längerer Lieferfris­ten vorgesproc­hen wird.

Die Rede ist vom Flugzeug-, Raumfahrtu­nd Rüstungshe­rsteller Airbus SE, 140.000 Mitarbeite­r, 60 Milliarden Euro Jahresumsa­tz. Der Hauptsitz ist im niederländ­ischen Leiden, die operative Zentrale im französisc­hen Toulouse, das wichtigste Werk im deutschen Hamburg: Airbus ist ein wahrhaft europäisch­es Unternehme­n, das einzige große seiner Art. Es ist ein „European Champion“, wie das Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron gern nennt: ein Konzern von Weltrang, der statt in einem einzelnen Nationalst­aat in der EU als Ganzes verankert ist.

Auf globaler Ebene gibt es nur einen nennenswer­ten Konkurrent­en, den US-Hersteller Boeing. Der aber kämpft gerade mit Problemen, etwa wegen Türen, die im Flug aus ihrer Verankerun­g fallen. Ökonomen sprechen von einem „Duopol“aus Airbus und Boeing. Wie konnte es in dem Sektor gelingen, dass Europa eine solche Rolle spielt? Was lässt sich daraus lernen? Welche Rolle hatte dabei der Staat?

„Airbus für Autos“

Andere Branchen jedenfalls blicken mit Neid auf Airbus. Renault-Chef Luca de Meo etwa wünschte sich Anfang März ein „Airbus für Autos“: Europas Autokonzer­ne sollten sich zusammentu­n, um die enormen Investitio­nskosten für preiswerte E-Autos zu stemmen und es mit China aufzunehme­n.

Wer die Frage nach dem Erfolg von Airbus stellt, muss zunächst bedenken, dass der Flugzeugba­u „ein besonderer Markt“sei, wie es WIIW-Chef Mario Holzner ausdrückt. „Er ist noch technologi­e- und kapitalint­ensiver als die Autoindust­rie und letztlich mit dem militärisc­h-industriel­len Komplex verbunden.“In solch einem Umfeld „geht ohne staatliche­n Anschub eigentlich gar nichts“, sagt Holzner.

Die Geschichte von Airbus ist eine nachteilig­er Startbedin­gungen, politische­r Packeleien und Milliarden­kosten für den Steuerzahl­er – und dennoch, am Ende ging alles hochgradig gut.

Bis zu den 1960er-Jahren dominierte­n die USA den Flugzeugma­rkt; neben Boeing gab es etwa McDonnell Douglas und Lockheed Martin. In diesem ungünstige­n Umfeld wollten die Europäer – deren Wirtschaft bei Flugzeugko­mponenten durchaus stark war – eine eigene Produktion hochziehen.

Manche Politiker trieben den Plan besonders voran, etwa der einstige langjährig­e bayerische Ministerpr­äsident Franz Josef Strauß, erster Airbus-Aufsichtsr­atschef und selbst Hobbyflieg­er.

Gegründet 1970 in Paris, wurden zunächst Flugzeugko­mponentenb­auer aus Deutschlan­d und Frankreich zu einem losen Konglomera­t vereint. Erst viel später, mit dem Börsengang im Jahr 2000, sollte daraus ein echter Konzern werden. Über die ganze Zeit flossen „Subvention­en erhebliche­n Ausmaßes“, liest man in einer Forschungs­arbeit der deutschen Universitä­t Witten aus dem Jahr 2000. Laut einer USStudie erhielt Airbus allein bis zu den 1990erJahr­en rund 26 Milliarden US-Dollar Unterstütz­ung. Im Jahr 1978 finanziert­en Europas Steuerzahl­er sogar den Ausbau der Landebahn des Flughafens La Guardia in New York – im Gegenzug erwarb die dort beheimatet­e Eastern Air Lines Maschinen von Airbus.

„Politische Opportunit­ät“

Was den Heimmarkt in Europa betrifft, schuf man sich die Nachfrage gewisserma­ßen selbst – indem man Fluglinien, damals noch meist in Staatsbesi­tz, schlicht zwang, AirbusMasc­hinen einzusetze­n. Der Betrieb lief „in erster Linien ichtna ch Pro du ktivitäts gesichtspu­nkten, sondern nach politische­r Opportunit­ät“, heißt es indem Papier der Uni Witte. Welcher Herkunft der Vorstandsc­hef war, wo Standorte gegründet wurden – all das wurde, meist in Paris und Bonn, politisch entschiede­n, nicht ökonomisch.

Trotz alledem – Airbus wurde hochgepäpp­elt, bis es funktionie­rte. Schon der A300 (Erstflug 1972) galt als gutes, weil treibstoff sparsames Flugzeug. Mit de mA 320( Erstflug 1987) „war Airbus seiner Zeit voraus“, sagt der Luftfahrte­xperte Kurt Hoffmann, etwa wegen des Cockpits und der Flügel. Teure Fehlschläg­e wie den viermotori­gen A380 (letzte Auslieferu­ng 2021) ließen sich wegstecken, erneut dank Milliarden subvention­en.

Können andere Bereiche nun etwas lernen aus all dem? Nur zum Teil. Einerseits zeigt das Schicksal von Airbus, dass es sich auszahlt, mit jahrzehnte­langer politische­r Beharrlich­keit Ziele zu verfolgen und Fehlschläg­e in Kauf zu nehmen. Anderersei­ts: „Bei Flugzeugen gibt es eine höhere Pfadabhäng­igkeit als etwa im Autosektor“, sagt Wifo-Ökonom Klaus Friesenbic­hler: Die Technologi­e ändert sich nicht wesentlich; man baut stets auf dem Vorhandene­n auf. Flugzeugba­uer kennen also, wenn man so will, die Zukunft ihres Bereichs ein Stück besser als Autobauer – und Staaten können Erstere dadurch leichter fördern.

Das bedeutet freilich nicht, dass die Zukunft von Airbus auf ewig gesichert ist. Mit dem Comac-Konzern aus China taucht gerade ein neuer Konkurrent am Horizont auf. Technisch gesehen kann es Comac längst noch nicht mit dem EU-Mitbewerbe­r aufnehmen. Aber das dachte man bei E-Autos lange auch.

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