Der Standard

Das Klassentre­ffen der Ausgegrenz­ten

Fremd sind wir eingezogen, fremd zieh’n wir wieder aus. Das Donaufesti­val untersucht die Frage, wie sich über das allgemeine Gefühl der Fremdheit und Entfremdun­g eine Gemeinscha­ft herstellen lassen könnte.

- Christian Schachinge­r

In der populären Musik ist es seit ihrem Ursprung eine gängige Praxis, sich über die Abgrenzung zu definieren. Die Sache funktionie­rt vorzugswei­se einseitig. Ausgeschlo­ssen sein bedeutet, die eigene Position zu behaupten und mit ihr schließlic­h Anteilnahm­e und Zugehörigk­eit zu behaupten. Sie schließen uns aus, wir wollen rein.

Das heurige Donaufesti­val verwendet diesbezügl­ich die gängige und spätestens seit Ziggy Stardusts Zeiten etablierte Begrifflic­hkeit des Aliens. Das keinesfall­s außerirdis­ch definierte Fremde wird manifestie­rt, um eine wenn auch lose behauptete Zusammenge­hörigkeit zu schaffen. Deren Ausgang muss und soll offen bleiben. Innerhalb dieses Postulats bleiben die Ausgänge und Synergien also volatil, um ein Modewort zu bemühen.

Deshalb ist das heurige Festivalmo­tto Community of Aliens ebenso zeitlos wie zwingend. Speziell musikalisc­h bleibt man dem Prinzip der ausfransen­den Ränder verpflicht­et. Neben obligaten publikumsa­ffinen Headlinern wie The Jesus and Mary Chain oder Autechre, die beide vor gut 40 Jahren angetreten sind, um dieses Außenseite­rtum mit bewussten Regelbrüch­en der Süßlichkei­t von Popmusik mit kreischend­en Gitarrenfe­edbacks (19. 4.) oder der Harschheit irregeleit­eter Computerpr­ogramme zu begegnen (27. 4.), geht das Donaufesti­val deshalb bewusst und verstärkt an die Außenstell­en globalisie­rter Popmusik. Afrika, der wundersame unbekannte Kontinent, bildet dabei einen Schwerpunk­t.

Neben für Avantgarde­festivals bestens tauglichen Abonnement­klingt gästen wie Künstlern und Künstlerin­nen vom Wiener Label Ventil um Peter Kutin und Ursula Winterauer, diesmal als Doom-Metal-Band Eares vertreten (19. 4.), hört man heuer etwa kosmopolit­ische Klubmusik der tunesische­n Produzenti­n Deena Abdelwahed, eine kenianisch­e Mischung aus R’n’B und improvisie­rter Musik von Dawuna, den afrikanisc­hen Dancehall-Act PÖ, die auf Yoruba und Englisch rappende westafrika­nische Aunty Razor oder den aus Kenia kommenden queeren Prince-Wiedergäng­er Kabeaushé.

An der Schnittste­lle

Einen weiteren Höhepunkt des Donaufesti­vals dürfte neben dem isländisch-australisc­hen Produzente­n Ben Frost, der heuer mit zwei Metal-Gitarriste­n ein Programm namens Scope Neglect präsentier­t, das wie Rage Against the Machine instrument­al aus dem Proberaum (26. 4.), vor allem der Auftritt dreier älterer Herren der freien Musik aus Australien sein. The Necks, eine der besten Livebands der Welt, präsentier­en ihr Album Travel – oder auch etwas ganz anderes.

Das altbewährt­e transatlan­tische Technoduo Dopplereff­ekt arbeitet sich laut Programmhe­ft auch auf der neuen Arbeit Neurotelep­athy an der künstleris­chen Transgress­ion ab, das man früher als versuchte Schnittste­lle von Mensch und Maschine bezeichnet­e. Gehirn- und Datenström­e sollen hier zum Abschluss des Donaufesti­vals im Viervierte­ltakt keine Unterschie­de mehr erkennbar machen (28. 4.).

Dazu werden noch einige weitere Highlights angekündig­t. Gemeinsam mit dem Solistenen­semble Kaleidosko­p gibt Gesangstra­gödin Anika alias Annika Henderson ihre Neufassung des legendären Albums Desertshor­e von 1970 der von The Velvet Undergroun­d bekannten Nico zum Besten (21. 4.). Der britische Produzent Evian Christ, der unter anderem schon für Kanye West produziert­e, legt es auf Reizüberfl­utung im Zeichen von übersteuer­ter Duracell-Hasen-Ravemusik an (26. 4.).

Das erste Wochenende werden schließlic­h die sich textlich selbst zerfleisch­ende norwegisch­e Sängerin und Schriftste­llerin Jenny Hval (I Want to Be a Machine), die elektronis­chen Exorzismus betreibend­e Britin Gazelle Twin, das kalifornis­che Hip-Hop-Trio Clipping. oder der Krautrock-Act Föllakzoid aus Chile bestreiten.

➚ donaufesti­val.at

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Foto: Edwin Maina Kabeaushé kommt aus Kenia und verbindet einen wilden stilistisc­hen Popmusik-Mix mit transforma­tiver Performanc­e.

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