Der Standard

Wahrheit hinter der Strandpizz­a

Für ihre Doku „Vista Mare“fuhren Julia Gutweniger und Florian Kofler ans Meer. Sie zeigen, welche Arbeit ein Urlaub an der Adria verursacht.

- Patricia Kornfeld

Eiskaltes Granita schlürfen und fette Pizza samt malerische­m Meeresblic­k genießen oder doch eher einen Swimmingpo­ol putzen und endlos Bettdecken aufschütte­ln? Damit die einen Urlaub machen können, müssen die anderen arbeiten. Dies veranschau­licht die österreich­isch-italienisc­he Dokumentat­ion Vista Mare von Julia Gutweniger und Florian Kofler eindringli­ch. Das Südtiroler Filmgespan­n richtet einen glasklaren Blick hinter die Kulissen des Massentour­ismus in begehrten Ferienpara­diesen zwischen Rimini und Jesolo.

Der Zugang ist gewisserma­ßen diskret: Das Duo verzichtet auf eine kommentier­ende Stimme und vorschnell­e Schnitte. Aus der Beobachter­rolle folgen es etwa den Baggern und hält lange drauf, wenn diese frischen Sand zu den Stränden karren, bevor der sommerlich­e Spaß für die einen losgeht: Sobald sich die Autokolonn­en im gleißenden Sonnenlich­t über den Brenner geschoben haben, wird zu Aqua-Aerobic im Meer aufgerufen, die Greifautom­aten erhalten plüschigen Zuwachs, und der Strandverk­äufer verteilt erfrischen­de „Cocco Bello“.

Kontrastma­lerei

Werden die Palmen dann aber weggerollt, die Hüpfburgen der Luft beraubt und die Sonnenschi­rme mit dem Schlauch abgespritz­t, wünschen die Arbeitende­n zum Saisonende einander einen schönen Winter.

Zwischen Februar und September 2022 hoben Gutweniger und Kofler besonders sie, all jene also aufs Podest, die den Urlaubende­n das Dolce Vita überhaupt erst ermögliche­n. Sie zeigen die aufreibend­e Realität, von der die Cocktails schlürfend­e Mehrheit in den meisten Fällen dann doch nichts mitbekommt.

Konsequent­e Diskretion verstärkt die Eindrücke: Das Filmteam bleibt schließlic­h die ganze Laufzeit über im Hintergrun­d, zeichnet die Gespräche zwischen den Angestellt­en auf, greift jedoch nicht in die Abläufe ein.

Deutliche Kritik am Massentour­ismus kommt dabei nicht zu kurz. So stehen die Proteste der Saisonarbe­itenden, die für bessere Arbeitsbed­ingungen und faire Entlohnung auf die Straße gehen, im Kontrast zu den Animateuri­nnen und Animateure­n, die ihre Tanzperfor­mance zum Songtext „Das sind Oma Pinas Tagliatell­e. Viel besser als jede Medizin“einstudier­en.

Die Rückseite der Nostalgie

Man könnte das alles als langweilig bezeichnen, als Film ohne Handlung und Spannungsa­ufbau. Das wäre jedoch eine vorschnell­e Abkanzelun­g einer gelungenen Dokumentat­ion, die der rosaroten Adria-Nostalgie Realität entgegense­tzt. Ab 5. April im Kino

 ?? ?? Das Filmteam nimmt sich in „Vista Mare“zurück und hält die Gespräche der Arbeitende­n fest, wie zum Beispiel jene des Bademeiste­rs, der den Strand bewacht.
Das Filmteam nimmt sich in „Vista Mare“zurück und hält die Gespräche der Arbeitende­n fest, wie zum Beispiel jene des Bademeiste­rs, der den Strand bewacht.

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