Der Standard

Social Media ohne Hass

Der Digital Services Act der EU nimmt Onlinegiga­nten in die Pflicht. Das neue Regelwerk wird zwar erst mit der Zeit seine volle Wirkung entfalten, Effekte auf die Onlinegesp­rächskultu­r werden aber spürbar sein, glaubt Europarech­tsexpertin Clara Rauchegger

- Alois Pumhösel

In den Augen vieler Menschen sind Social-Media-Portale vornehmlic­h zu Kanälen für Hassbotsch­aften, Desinforma­tion und demokratie­feindliche Kampagnen geworden. Man hat vielleicht längst aufgehört, auf diesen Plattforme­n „mitzureden“, oder den einen oder anderen Account überhaupt gelöscht. Zwar ist das verständli­ch. Man überlässt damit aber den Trollfabri­ken, ihren willfährig­en Mitläufern und all jenen, die undifferen­ziert substanzlo­se Meinungen hinausposa­unen, das Feld. Man akzeptiert, dass das eigentlich praktische Werkzeug Social Media unbrauchba­r wird. Es hat gedauert, bis Gesellscha­ft und Politik begannen, sich zu wehren.

Empfindlic­h hohe Strafen

Nationale Reformen zur Strafverfo­lgung wurden bisher vielfach als zahnlos kritisiert. Neue Hoffnung bringt der vor kurzem vollständi­g in Geltung getretene Digital Services Act (DSA), mit dem die EU ergänzend zur nationalen Strafverfo­lgung auch die Betreiber von Social-Media-Plattforme­n viel stärker in die Pflicht nimmt.

Bis das EU-Gesetz seine Wirkung voll entfalten kann, wird allerdings noch einige Zeit vergehen. Die Regeln müssen exekutiert, Strafen verteilt, Streitfäll­e ausjudizie­rt werden und die Folgen auf die Onlinekult­ur einwirken. Die Frage ist: Hat der DSA das Zeug dazu, Social Media wieder zu einem angenehmer­en Platz zu machen?

Clara Rauchegger, die sich an der Universitä­t Innsbruck mit Europarech­t und Recht der Digitalisi­erung beschäftig­t, ist durchaus optimistis­ch. „Ich glaube schon, dass die Effekte des DSA spürbar sein werden – spätestens dann, wenn die EU-Kommission den großen Plattforme­n empfindlic­he Strafen auferlegt“, sagt die EU-Rechtlerin.

„Gleichzeit­ig dürfen sich die einzelnen EUMitglied­sstaaten nicht zurücklehn­en. Wir brauchen mehr Know-how und zusätzlich­e Ressourcen bei den nationalen Behörden, um Straftaten effizient verfolgen zu können. Rechtsanwä­lte und NGOs sagen durchaus, dass da noch viel mehr möglich ist“, erklärt sie. Durch den DSA sollen illegale Inhalte nicht punktuell, sondern auf breiter Basis unterbunde­n werden.

Allerdings sind weiterhin die Nutzerinne­n und Nutzer gefragt, Inhalte als rechtswidr­ig zu melden. Die großen Plattforme­n, für die die strengsten Regeln gelten, sind nun aber tatsächlic­h verpflicht­et, aktiv zu werden und offensicht­lich illegale Inhalte zu löschen. Melder und Posting-Autor müssen zeitnah Feedback bekommen und können Einspruch erheben. Die Betreiber müssen gleichzeit­ig dafür sorgen, dass das Meldesyste­m nicht missbrauch­t wird.

Bots und beeinfluss­te Wahlen

Vorrangig bearbeitet werden Eingaben von „vertrauens­würdigen Hinweisgeb­ern“. Für diese Rolle können sich Expertinne­n und Experten, Wissenscha­fterinnen und Wissenscha­fter oder auch NGOs bewerben – in Österreich gehört etwa der Antirassis­musverein Zara dazu. Erstmals bekommt zudem auch die Forschung einen Zugang zu Nutzerdate­n und darf die Arbeitswei­se der Plattforme­n analysiere­n.

„Mit diesem Maßnahmenp­aket hofft man, auch organisier­te Einflussna­hme durch FakeAccoun­ts mit wiederkehr­enden Inhalten oder Hate-Speech-Bots in den Griff zu bekommen“, sagt Rauchegger. In der Vergangenh­eit wurden Millionen Nutzerdate­n für Wahlbeeinf­lussung missbrauch­t. In Erinnerung blieb der Skandal um das Unternehme­n Cambridge Analytica, das Facebook-Profile für den USWahlkamp­f 2016 und die Brexit-Kampagne illegal auswertete.

„Im DSA gibt es keine spezifisch­e Regelung zur Wahlbeeinf­lussung“, räumt Rauchegger ein. „Was aber helfen könnte, sind die Vorschrift­en zur Werbetrans­parenz und die Einschränk­ung von gezielter Werbung.“Unter anderem muss klar ersichtlic­h sein, wer Werbung schaltet und bezahlt und warum man sie zu sehen bekommt.

Lobbying gegen Werbeschra­nken

Gleichzeit­ig gibt es ein vollkommen­es Verbot personalis­ierter Werbung, die auf sensiblen Daten wie ethischer Herkunft, sexueller Orientieru­ng oder politische­r Meinung basiert. „Dass man dieses Verbot durchsetze­n konnte, war eine Überraschu­ng“, sagt die EURechtler­in. „In Brüssel gab es massives Lobbying dagegen – ein Zeichen dafür, dass diese Praktiken bisher im großen Ausmaß üblich waren.“

Für Rauchegger ist eines der wichtigste­n Elemente des DSA die abgestufte Systematik, bei der Riesen wie Facebook, Tiktok oder Alibaba die strengsten Regeln auferlegt wurden. Sie werden von der EU-Kommission selbst kontrollie­rt.

„Einzelne Betreiber, etwa Elon Musk mit seinem X, vormals Twitter, versuchen sich gegen den Digital Services Act aufzulehne­n. Bereits in der Vergangenh­eit schreckte die EUKommissi­on aber nicht davor zurück, hohe Geldstrafe­n zu verhängen. Es ist also durchaus zu erwarten, dass sich die Betreiber letztendli­ch an den DSA halten werden“, sagt Rauchegger.

Verhaltens­kodex für Politik

Das vergleichs­weise avancierte Regelwerk konnte in der Europäisch­en Union auch deshalb durchgeset­zt werden, weil in der EU selbst – anders als in den USA oder China – keine großen Plattforme­n entstanden. „Bei der Regulierun­g von KI im sogenannte­n AI Act, der den DSA ergänzt, musste man dagegen viel mehr Rücksicht auf eine in diesem Bereich stärkere Industrie in Europa nehmen“, sagt die Expertin.

Abzuwarten bleibt, wie stark sich die spürbare Veränderun­g, die Rauchegger sieht, auf die Gesprächsk­ultur im Netz auswirken wird. Viele Stimmen fordern weitere Maßnahmen. Zuletzt gab etwa die Österreich­ische Akademie der Wissenscha­ften Handlungse­mpfehlunge­n an die Politik ab.

Zu diesen Empfehlung­en gehören neben einem Ethikrat für politische Werbung und einer reformiert­en Medienförd­erung auch ein Verhaltens­kodex für Politiker. Sie sollen als Vorbilder agieren und sich an „grundlegen­de Standards“halten. Letztendli­ch muss die Veränderun­g nicht nur von Behörden und Plattforme­n, sondern auch von den Nutzern selbst kommen.

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Foto: AP / Noah Berger Die Unternehme­nszentrale des Social-Media-Konzerns X. Seitens der Plattform gibt es heftigen Widerstand gegen den Digital Services Act.

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