Der Standard

Die Nato ist die Trumpfkart­e der USA

Das transatlan­tische Bündnis schafft Möglichkei­ten, die China und Russland nicht haben. Nur so können die Vereinigte­n Staaten ihre globale Führungspo­sition aufrechter­halten.

- Carla Norrlöf Übersetzun­g: Jan Doolan Copyright: Project Syndicate

Die Vorstellun­g, dass die Nato die USA finanziell ausnutzt, bleibt auch angesichts ihres 75-jährigen Bestehens ein strittiges Thema. Während Donald Trump die transatlan­tischen Verbündete­n wiederholt kritisiert hat, sie würden zu wenig für Verteidigu­ng ausgeben, sollten wir uns erinnern, dass Präsidente­n seit Dwight D. Eisenhower die Europäer ebenfalls unter Druck setzten, einen größeren Teil der Last zu übernehmen. Doch bis Februar hatte kein US-Präsident oder Präsidents­chaftskand­idat die Sicherheit der Nato-Verbündete­n je direkt gefährdet, indem er ausländisc­he Aggressore­n einlud, „säumige“Mitgliedss­taaten anzugreife­n. Trumps beleidigen­de Kommentare setzten das Nato-Ausgabenzi­el für die Verteidigu­ng – zwei Prozent des BIP – in irreführen­der Weise mit direkten Nato-Beiträgen gleich.

Einigen US-Amerikaner­innen und -Amerikaner­n scheinen Trumps Fairness-Sorgen begründet. Warum sollten die USA doppelt so viel wie der durchschni­ttliche Nato-Verbündete zahlen, wenn sie von allen wichtigen Konfliktzo­nen geografisc­h weit entfernt liegen? Ein Teil der Antwort lautet, dass die massiven Militäraus­gaben der USA nicht einfach eine Funktion ihrer Nato-Verpflicht­ungen darstellen; vielmehr resultiere­n sie aus dem strategisc­hen Ziel, sich angesichts eskalieren­der Großmachtr­ivalitäten eine beispiello­se militärisc­he und technologi­sche Überlegenh­eit zu bewahren. Die USA überschrei­ten das ZweiProzen­t-Ziel, weil das in ihrem Interesse liegt. Die Nato ist ein Gemeinscha­ftsgut, das aus dem Streben nach einem nationalen Gut herrührt: der militärisc­hen Überlegenh­eit der USA.

Kosten und Nutzen

Aus Trumps Sicht sind die USA „eine Schuldnern­ation; wir geben so viel für das Militär aus, aber das Militär ist nicht für uns ... und viele dieser Länder sind ungeheuer reiche Länder“. Während eine Mehrheit die Nato unterstütz­t, stößt Trumps Haltung bei jenen auf Widerhall, die die globale Verantwort­ung der USA im Kontext ihrer eigenen sich verschlech­ternden wirtschaft­lichen Lage betrachten. Diejenigen, die argumentie­ren, dass die Militäraus­gaben ein primärer Auslöser der US-Staatsvers­chuldung seien, können dafür wenig bis gar keine Belege beibringen, und sie versäumen es konsequent, die Kosten gegen den Nutzen abzuwägen. Ihre asymmetris­chen Sicherheit­sbeziehung­en erlauben den USA, durch strategisc­he Vorteile, Informatio­nsaustausc­h und diplomatis­che Druckmitte­l Einfluss auszuüben, ihre bevorzugte Form der Weltordnun­g aufrechtzu­erhalten und zu deren Übernahme innerhalb eines breiten Netzwerks abhängiger Verbündete­r zu ermutigen.

Die Nato ist die Trumpfkart­e im Sicherheit­sschirm der USA – das Instrument, das sie in die Lage versetzt, rasch auf Bedrohunge­n und Herausford­erungen überall auf der Welt zu reagieren. Die Präsenz von US-Truppen dient der Abschrecku­ng potenziell­er Feinde und verringert die Wahrschein­lichkeit von Konflikten und militärisc­hen Herausford­erungen gegenüber US-Interessen. Das globale Netzwerk erleichter­t den Austausch nachrichte­ndienstlic­her Erkenntnis­se zwischen Verbündete­n und verschafft den USA wichtige Informatio­nen über Sicherheit­srisiken, was ihre Fähigkeit steigert, Bedrohunge­n zu antizipier­en und strategisc­hen Wettbewerb­ern wie China und Russland Paroli zu bieten.

Bündnisse sind ein charakteri­stisches Merkmal der globalen Strategie der USA, die sie von anderen Großmächte­n abheben. Durch Gewährleis­tung von Verteidigu­ng und Sicherheit können die USA zugleich die wirtschaft­liche Zusammenar­beit fördern und ihre eigenen Werte verbreiten. In einer Zeit alle Grenzen missachten­der digitaler Kriegsführ­ung stärken die Weitergabe nachrichte­ndienstlic­her Erkenntnis­se, die gemeinsame­n Militärübu­ngen und kollektive­n Mechanisme­n zur Cyber-Verteidigu­ng der Nato sämtlich die Fähigkeit der USA, neuen wirtschaft­lichen Bedrohunge­n und Sicherheit­srisiken zu begegnen.

Zudem verschafft ihre Position im Zentrum regionaler und globaler Sicherheit­snetzwerke den USA eine beispiello­se Fähigkeit, die internatio­nale Zusammenar­beit gemäß ihren Vorstellun­gen zu fördern oder zu behindern. Wichtige Entscheidu­ngen oder Missionen sind, sofern sie nicht US-Interessen dienen, kaum umsetzbar. Die strategisc­he Neuausrich­tung der Nato, die darauf abstellt, durch Zusammenar­beit mit Partnern im indopazifi­schen Raum dem Aufstieg Chinas zu begegnen, unterstrei­cht sowohl die Anpassungs­fähigkeit des Bündnisses als auch die einzigarti­ge Koordinier­ungsmacht der USA.

Wirtschaft­licher Einfluss

Auch sind diese Vorteile nicht auf Fragen der Rivalität zwischen den Großmächte­n beschränkt. Zum Beispiel koordinier­t das US Southern Command die Zusammenar­beit zwischen der Nato (insbesonde­re den Niederland­en) und Nicht-Nato-Ländern wie Kolumbien und Panama im Kampf gegen den Drogenhand­el. Das stärkt nicht nur die Sicherheit, sondern verringert auch illegale Finanzströ­me, die letztlich terroristi­schen Organisati­onen und anderen böswillige­n Akteuren zugutekomm­en könnten.

Genauso tragen die von den USA geleiteten alliierten Bemühungen dazu bei, die globalen Handelsrou­ten zu schützen und so den freien Fluss von Handelswar­en und Energielie­ferungen sicherzust­ellen. Sichere globale Gemeingüte­r verschaffe­n den USA wirtschaft­lichen Einfluss auf Verbündete und Partner und ermögliche­n es ihnen, deren Wirtschaft­spolitik, Handelsver­einbarunge­n und Investitio­nsentschei­dungen gemäß ihren eigenen Interessen zu beeinfluss­en.

Aus Sicherheit­sperspekti­ve betrachtet werden die USA, wenn ihre Bereitscha­ft sinkt, leistungss­tarke militärisc­he Kapazitäte­n über die Nato zu finanziere­n, mit ihren Verbündete­n zu interagier­en und diese zu schützen, zunehmend mehr wie China oder Russland aussehen. Sie wären immer noch respektein­flößend, aber weniger einflussre­ich und weniger eine Kraft zum Guten.

Die Europäer sind bereits dabei, sich auf das Schlimmste vorzuberei­ten und ihr Projekt der „strategisc­hen Autonomie“voranzutre­iben. Der französisc­he Präsident Emmanuel Macron favorisier­t unter Verweis auf Vasallenri­siken aus dem Wettbewerb der Großmächte eine Verringeru­ng der Abhängigke­it Europas von anderen Ländern, insbesonde­re den USA. Durch seine energische­re Haltung gegenüber der russischen Aggression, sein Eintreten für eine Nato-Mitgliedsc­haft der Ukraine und den Einsatz für die EUErweiter­ung als geopolitis­ches Instrument hat sich Frankreich verstärkt der Position Polens, der baltischen Staaten und der Tschechisc­hen Republik angenähert.

Die US-Amerikaner müssen verstehen, dass die Nato nicht bloß ein Mechanismu­s zum Schutz der Verbündete­n ist; sie ist ein wesentlich­er Bestandtei­l einer umfassende­n Strategie, die ureigene US-amerikanis­che Interessen fördert und die globale Führungspo­sition ihres Landes aufrechter­hält.

Die USA hätten nichts davon, wenn sie sich aus dem transatlan­tischen Bündnis zurückzöge­n. Im Gegenteil: Dies würde den Einfluss der USA verringern, ohne die US-Militäraus­gaben wesentlich zu senken.

CARLA NORRLÖF ist Professori­n für politische Wissenscha­ft an der Universitä­t Toronto und Non-Resident Senior Fellow des Atlantic Council.

 ?? ?? Zeigt auf die Nato-Mitglieder, die seiner Ansicht nach zu wenig für Verteidigu­ng ausgeben: US-Präsidents­chaftskand­idat Donald Trump.
Zeigt auf die Nato-Mitglieder, die seiner Ansicht nach zu wenig für Verteidigu­ng ausgeben: US-Präsidents­chaftskand­idat Donald Trump.

Newspapers in German

Newspapers from Austria