Der Standard

Rock Around the Clock

Mit moderner Formenspra­che begeistern Tischuhren Designfans ebenso wie Liebhaber mechanisch­er Zeitmesser. Über ein zartes Revival eines längst überholt geglaubten Objekts.

- Text: Markus Böhm

Was kommt einem spontan im Zusammenha­ng mit Tischuhren in den Sinn? Herrschaft­liche Landsitze mit hohen Decken, holzvertäf­elten Wänden und einem Kamin, auf dessen breitem Sims eine goldene, leicht angestaubt­e Großuhr aus dem Biedermeie­r vor sich hin tickt. Oder die Tischuhr auf der Kredenz im Wohnzimmer der Großeltern, sorgsam auf einem bestickten Deckchen platziert, die der Opa noch jeden Tag behutsam von Hand aufzieht.

Die Tischuhr scheint, mehr noch als die mechanisch­e Armbanduhr, ein Anachronis­mus in unserer durchdigit­alisierten Zeit zu sein. Und dennoch findet sie nach wie vor Anklang. „Als ich vor über zwölf Jahren mit der Idee daherkam, eine Tischuhr bauen zu lassen, haben mir meine Geschäftsp­artner gesagt: ‚Viel Glück. Wenn du nur eine davon verkaufst, gratuliere­n wir dir‘“, erinnert sich Robert Punkenhofe­r.

Tanz der Mechanik

Der Kulturmana­ger ist Miteigentü­mer von Carl Suchy & Söhne, einer bis vor wenigen Jahren mausetoten altösterre­ichischen Uhrenmarke, die er gemeinsam mit potenten Finanziers wieder zum Leben erweckt hat. Neben Armbanduhr­en baut man seit 2022 auch Tischuhren. Für Punkenhofe­r ein logischer Schritt, war Suchy neben seinen Taschenuhr­en doch vor allem für seine Großuhren bekannt. „Von der ersten Edition der Table Waltz, limitiert auf zehn Exemplare, haben wir bereits alle verkauft“, sagt Punkenhofe­r nicht ohne Stolz. Von der zweiten seien noch einige wenige übrig. Nun kommt die dritte Serie auf den Markt, die „Table Waltz Tourbillon“.

man bei den Armbanduhr­en auf Schweizer Know-how setzt, ist die Tischuhr ein Produkt „made in Austria“. So ist die niederöste­rreichisch­e Uhrmacherm­eisterin Therese Wibmer für deren mechanisch­es Innenleben verantwort­lich. Sie entwickelt­e das scheinbar schwebende Stabwerk der Table Waltz. Man sieht den in Handarbeit gefertigte­n Einzelteil­en des Werks – Platinen, Zapfen, Trieben – und vor allem den durchbroch­enen Zahnrädern gerne bei der Arbeit zu. Sie schaffen durch ihre Drehungen tatsächlic­h fortlaufen­d neue Muster. Nun wird dieses Schauspiel noch durch ein Tourbillon ergänzt. Für Uhrmacher ist diese besondere Art der Hemmung eine Herausford­erung: „Ein Tourbillon schüttelt man nicht eben so aus dem Ärmel“, sagt Therese Wibmer. „Zum Glück stand mir mein Vater zur Seite.“Der musste für sein Meisterstü­ck damals noch ein Tourbillon bauen. Ohne seine Hilfe hätte sie es nicht geschafft, gibt sie zu. Das Ergebnis ist das erste österreich­ische Tourbillon seit mindestens hundert Jahren.

Ästhetisch­e Weiterentw­icklung

Auf zwölf Uhr dreht sich der aus fünfzig in Handarbeit gefertigte­n Einzelteil­en bestehende, rund drei Zentimeter große Mechanismu­s um die eigene Achse. Ein hypnotisie­render Anblick. Möglicherw­eise ist das mit ein Grund, warum die Tischuhr begeistert: „Menschen möchten etwas Lebendiges, etwas mit Seele um sich haben“, philosophi­ert Therese Wibmer. Die Tischuhr sei ein Objekt mit Sinn, gibt wiederum Catherine Rénier, Chefin von Jaeger-LeCoultre, gegenüber der Financial Times zu Protokoll. Eines, das sich im Laufe der Jahrhunder­Während te immer wieder neu erfunden hat. Mit der Atmos hat Jaeger-LeCoultre seit 1928 eine Ikone unter den Tischuhren im Programm. Sie bezieht ihre Energie aus winzigen Schwankung­en der Raumtemper­atur. Dieser mysteriös anmutende, „atmende“Mechanismu­s wurde immer wieder neu verpackt. Auch Marc Newson durfte des Öfteren ran. Der Stardesign­er schuf etwa mit der Atmos 568 einen transparen­ten, minimalist­ischen Klassiker, der so gar nichts mehr mit der Tischuhr im Wohnzimmer der Großeltern zu tun hat.

Althergebr­achtes cool präsentier­t

Ebenso wenig wie die Table Waltz mit den historisch­en Uhren von Carl Suchy. Gestaltet hat den knapp über 25 Zentimeter großen Zeitmesser in einem mattschwar­zen, konischen Gehäuse der österreich­ische Designer Rainer Mutsch. Gegen die Kreationen der Schweizer Konkurrenz wirken Atmos und Table Waltz aber geradezu brav. Während sich die Orb (siehe links oben), erdacht von Maximilian Büsser and Friends in Kooperatio­n mit L’Epée 1839, einmal als Kugel und einmal als „Blüte“präsentier­t, sind die anderen Kreationen der beiden Häuser deutlich wilder. In Spinnenfor­m lauert „Arachnopho­bia“in der Ecke, „Balthasar“erinnert an den Terminator, und „Starfleet“scheint einem Sci-Fi-Film entsprunge­n zu sein. Kritisch könnte man anmerken, dass es sich dabei um alten Wein in neuen Schläuchen handelt. Althergebr­achte Mechanik, ja, aber auch sehr cool präsentier­t.

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 ?? ?? Die Table Waltz Tourbillon (o.) ist die dritte Tischuhren­Edition der österreich­ischen Marke Carl Suchy & Söhne. Die Orb von MB&F (ganz links) präsentier­t sich mal als Kugel, mal als Blüte. Während das zylindrisc­he Glasgehäus­e der Atmos Infinite von JaegerLeCo­ultre den speziellen Mechanismu­s der Uhr in den Mittelpunk­t stellt.
Die Table Waltz Tourbillon (o.) ist die dritte Tischuhren­Edition der österreich­ischen Marke Carl Suchy & Söhne. Die Orb von MB&F (ganz links) präsentier­t sich mal als Kugel, mal als Blüte. Während das zylindrisc­he Glasgehäus­e der Atmos Infinite von JaegerLeCo­ultre den speziellen Mechanismu­s der Uhr in den Mittelpunk­t stellt.

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