Prekariat neben Topgagen
ORF-Beschäftigte werden immer noch mit Kettenverträgen an der langen Leine gehalten
Niemand sollte in so ein Prekariat gezwungen werden.“Der Radiosender Ö1 gilt als Aushängeschild und Inbegriff des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks. Dort, wo tagtäglich Qualitätsjournalismus praktiziert wird, arbeiten seit Jahren auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ausgebeutet werden. „Ich arbeite im Durchschnitt das Doppelte oder ein Drittel mehr“, sagt ein aktuelles Redaktionsmitglied zum STANDARD. Aus Angst vor beruflichen Repressionen nur anonym. Wie auch andere aus dem ORF, die mit dem STANDARD über ihr Beschäftigungsverhältnis und die verschiedenen Gehaltsklassen am Küniglberg sprechen.
Der Unmut ist bei einigen groß und changiert zwischen Frustration und Resignation. Dazu hat auch der Gehaltstransparenzbericht beigetragen, der Ungleichheiten dokumentiert.
Der ORF hat viele Klassen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Es gibt an der Spitze Leute wie Ö3-Moderator Robert Kratky und Projektmanager Pius Strobl, die jenseits der 400.000 Euro brutto pro Jahr verdienen, und es existieren am anderen Ende der Skala einige, die auch nicht viel weniger Stunden arbeiten, aber in ihrer Existenz gefährdet sind. Dafür sorgen etwa Verträge mit einer monatlichen Höchstgrenze von 137 Stunden. Das Honorar bemisst sich an den Sendungen oder Sendungsminuten, die pro Monat produziert werden. Um den Qualitätsanspruch zu erfüllen, investieren nicht wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häufig weit mehr Stunden, als auf dem Papier dafür vorgesehen sind. Unbezahlt.
Der ORF genießt arbeitsrechtlich einen Sonderstatus. Er nützt den gesetzlichen Spielraum, um seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit solchen Kettenverträgen auszustatten. Bis es zu einem normalen Angestelltenverhältnis kommt, vergehen oft viele Jahre. Arbeiterkammer oder Gewerkschaft sprechen gerne von einer Grauzone, die dem EU-Recht widerspreche. Würde die Sache ausjudiziert, könnte der Europäische Gerichtshof die Verträge kassieren.
Bei Ö1 etwa arbeiten derzeit rund 120 Angestellte und 40 Leute, die mit dem 137-Stunden-Vertrag beschäftigt sind. Die meisten davon wollen angestellt werden. So auch eine Person, die bereits seit mehreren Jahren bei Ö1 arbeitet. Dabei geht es neben finanziellen Sicherheiten auch um die Befürchtung, gesundheitliche Problemen zu bekommen: „Man hat Angst davor, krank zu werden.“
Was sich die ORF-Freien wünschen, ist eine Perspektive. Etwa, dass sie nach einer gewissen Zeit das Recht auf Anstellung haben. Der ORF sagt nur, es werde „laufend an Lösungen gearbeitet“.