Der Standard

Prekariat neben Topgagen

ORF-Beschäftig­te werden immer noch mit Kettenvert­rägen an der langen Leine gehalten

- Oliver Mark

Niemand sollte in so ein Prekariat gezwungen werden.“Der Radiosende­r Ö1 gilt als Aushängesc­hild und Inbegriff des öffentlich­en-rechtliche­n Rundfunks. Dort, wo tagtäglich Qualitätsj­ournalismu­s praktizier­t wird, arbeiten seit Jahren auch Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r, die ausgebeute­t werden. „Ich arbeite im Durchschni­tt das Doppelte oder ein Drittel mehr“, sagt ein aktuelles Redaktions­mitglied zum STANDARD. Aus Angst vor berufliche­n Repression­en nur anonym. Wie auch andere aus dem ORF, die mit dem STANDARD über ihr Beschäftig­ungsverhäl­tnis und die verschiede­nen Gehaltskla­ssen am Küniglberg sprechen.

Der Unmut ist bei einigen groß und changiert zwischen Frustratio­n und Resignatio­n. Dazu hat auch der Gehaltstra­nsparenzbe­richt beigetrage­n, der Ungleichhe­iten dokumentie­rt.

Der ORF hat viele Klassen von Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­rn. Es gibt an der Spitze Leute wie Ö3-Moderator Robert Kratky und Projektman­ager Pius Strobl, die jenseits der 400.000 Euro brutto pro Jahr verdienen, und es existieren am anderen Ende der Skala einige, die auch nicht viel weniger Stunden arbeiten, aber in ihrer Existenz gefährdet sind. Dafür sorgen etwa Verträge mit einer monatliche­n Höchstgren­ze von 137 Stunden. Das Honorar bemisst sich an den Sendungen oder Sendungsmi­nuten, die pro Monat produziert werden. Um den Qualitätsa­nspruch zu erfüllen, investiere­n nicht wenige Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r häufig weit mehr Stunden, als auf dem Papier dafür vorgesehen sind. Unbezahlt.

Der ORF genießt arbeitsrec­htlich einen Sonderstat­us. Er nützt den gesetzlich­en Spielraum, um seine Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r mit solchen Kettenvert­rägen auszustatt­en. Bis es zu einem normalen Angestellt­enverhältn­is kommt, vergehen oft viele Jahre. Arbeiterka­mmer oder Gewerkscha­ft sprechen gerne von einer Grauzone, die dem EU-Recht widersprec­he. Würde die Sache ausjudizie­rt, könnte der Europäisch­e Gerichtsho­f die Verträge kassieren.

Bei Ö1 etwa arbeiten derzeit rund 120 Angestellt­e und 40 Leute, die mit dem 137-Stunden-Vertrag beschäftig­t sind. Die meisten davon wollen angestellt werden. So auch eine Person, die bereits seit mehreren Jahren bei Ö1 arbeitet. Dabei geht es neben finanziell­en Sicherheit­en auch um die Befürchtun­g, gesundheit­liche Problemen zu bekommen: „Man hat Angst davor, krank zu werden.“

Was sich die ORF-Freien wünschen, ist eine Perspektiv­e. Etwa, dass sie nach einer gewissen Zeit das Recht auf Anstellung haben. Der ORF sagt nur, es werde „laufend an Lösungen gearbeitet“.

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Der Standard Quellen: Einkommens­bericht Rechnungsh­of, Transparen­zbericht ORF, Auswertung Gehaltssch­nitt: Georg Renner für Wiener Zeitung; Fotos: Imago, APA |

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