Der Standard

Unverputzt und ungeschönt

Am 18. April ist Internatio­naler Tag des Denkmals. Der revitalisi­erte Tower am Flughafen Tempelhof in Berlin stellt die nationalso­zialistisc­he Architektu­r radikal zur Schau. Wäre so ein Projekt auch in Österreich denkbar?

- Wojciech Czaja thf-berlin.de

Dunkler Beton, abgeplatzt­e Kanten, Rost und Salzkrista­lle an der Oberfläche, rohe Schalungsb­retter als Schatten einer lange zurücklieg­enden Errichtung­szeit, zwischen den betonierte­n Balken und Säulen schließlic­h eine Ausfachung mit nicht immer sortenrein geschichte­tem Mörtel und Ziegelmaue­rwerk. Was Adolf Hitler in den Jahren 1936 bis 1941 beim Berliner LuftwaffeA­rchitekten und aktiven NSDAPMitgl­ied Ernst Sagebiel in Auftrag gegeben hatte, war nichts Geringeres als das damals größte Gebäude der Welt – und ist mit 300.000 Quadratmet­er Bruttogesc­hoßfläche heute das größte Baudenkmal Europas.

Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ändern sich die Prioritäte­n. Noch vor Fertigstel­lung der Bauarbeite­n mutiert der Flughafen am Tempelhofe­r Feld zum Montagewer­k für Radargerät­e und Sturzkampf­bomber des Typs Junkers Ju 87 und Focke-Wulf Fw 190. Bis Kriegsende werden fast 2200 Flieger gefertigt und in den Kampf geschickt. Während der Blockade Westberlin­s durch die Sowjetunio­n zwischen Juni 1948 und Mai 1949 dient der Flughafen den Westalliie­rten als Luftbrücke. Der zivile Flugverkeh­r wird erst in den Fünfzigerj­ahren aufgenomme­n. Am 9. Juli 1951 heben die ersten Passagierm­aschinen der Pan Am, Air France und BEA British European Airways ab.

Klarheit und Radikalitä­t

„Der Flughafen Tempelhof hat eine dunkle Geschichte“, sagt Fabian Schmitz-Grethlein, Geschäftsf­ührer der Tempelhof Projekt GmbH, „und zwar nicht nur in Hinsicht auf die Nazis, die hier den größten und prächtigst­en Zivilflugh­afen der Welt errichten wollten, sondern auch durch den Einsatz von tausenden Zwangsarbe­itern aus dem Berliner KZ Columbia. Das sind Fakten, die man nicht ignorieren, nicht schönreden und auch nicht verputzen und verspachte­ln kann. Wir haben uns daher entschiede­n, die Geschichte in aller Klarheit und Radikalitä­t sichtbar zu machen.“

Nachdem der Flugbetrie­b im Oktober 2008 für immer geschlosse­n wurde, stand der Airport Tempelhof jahrelang leer. Belebt wurden die verwaisten Hallen, Korridore und Flugsteige lediglich im Rahmen von täglichen Besucherfü­hrungen. Bis eines Tages der Wunsch aufkam, den Tower am Kopfbau West zugänglich zu machen und für Ausstellun­gen und Veranstalt­ungen zu nutzen. Im Sommer 2016 wurde ein zweistufig­er Wettbewerb mit vorgeschal­tetem Bewerbungs­verfahren ausgeschri­eben. Aus den insgesamt 54 Bewerbunge­n wurden 15 Büros zu einem Entwurf geladen. Der Sieg ging an das Schweizer Architektu­rkollektiv :mlzd.

„Als Nichtberli­ner hat man eine gewisse Distanz zu Tempelhof und damit auch eine etwas neutralere Position im Umgang mit einem so bedeutende­n, aber auch komplexen, vielschich­tigen Baudenkmal“, sagt Pat Tanner, Gründungsp­artner bei :mlzd Architekte­n. „Ich denke, das hat uns die Arbeit erleichter­t. Wir waren in der Lage, die architekto­nischen und städtebaul­ichen Qualitäten des Gebäudes zu erkennen, die unterschie­dlichen Zeitschich­ten freizulege­n und im Rahmen der technische­n und baurechtli­chen Erforderni­sse eine neue, zeitgenöss­ische Schicht hinzuzufüg­en.“

Das Stiegenhau­s ist nicht nur ein Spaziergan­g vom Parterre ins sechste Obergescho­ß, sondern auch ein Erklimmen unterschie­dlichster Epochen – vom Rohbau der Nazis, die den West-Tower nie fertigstel­lten, über die räumliche Abtrennung der US-Alliierten, die den im amerikanis­chen Sektor liegenden Flughafen 1946 zum Militärstü­tzpunkt der US Air Force ausbauten, bis hin zu den nachträgli­chen Einbauten, die den Flugbetrie­b in den Jahren 1951 bis 2008 sicherstel­len konnten. Und jeder einzelne Layer davon, so Architekt Tanner, habe Berechtigu­ng.

„Was wir heute vorfinden, ist eine Art Treppenhau­s im Treppenhau­s, denn die alte Stahlbeton­konstrukti­on war nicht mehr nutzbar und nach heutigen Belastungs­werten und Berechnung­smethoden längst einsturzge­fährdet. Doch nachdem sie gleichzeit­ig unter Denkmalsch­utz steht, war klar, dass wir diese Bestandssc­hicht nicht verändern dürfen. Also haben wir uns entschiede­n, das Gebäude in der obersten Geschoßdec­ke mit zwei riesigen Stahlträge­rn zu überspanne­n und von dort eine neue stählerne, selbsttrag­ende Treppenkon­struktion abzuhängen.“

Treppensku­lptur

Wie eine dreidimens­ionale, vielfach um sich selbst gewickelte Marionette­nfigur, die von einem gigantisch­en Marionette­nspieler gehalten wird, hängt die 125 Tonnen schwere Treppensku­lptur an insgesamt 14 Zugstäben in die düsteren Tiefen hinab. Die Wandfläche­n der US-Alliierten wurden neu verspachte­lt, die Beton- und Ziegelwänd­e der Nazis in keinster Weise angerührt. Tanner: „Wir haben die Oberfläche­n mit einem Staubwedel geputzt. Und sonst nichts daran verändert. Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“

Der revitalisi­erte Tempelhof-Tower samt neuer, begehbarer Dachterras­se (Investitio­nsvolumen 39,9 Millionen Euro) wäre hierzuland­e – nach heutigem Stand politische­r Aufarbeitu­ngslage – undenkbar. Es reicht ein Blick auf Hitlers Geburtshau­s in Braunau am Inn, das zurzeit in eine brave Polizeista­tion verwandelt und von allen historisch­en Fakten freigespül­t wird, um zu verstehen, wie Österreich mit seiner nationalso­zialistisc­hen Vergangenh­eit umgeht. Möge der Internatio­nal Day for Monuments and Sites am 18. April (und auch Hitlers Geburtstag zwei Tage später) zum Nachdenken anregen.

THF Tower, Tempelhofe­r Damm 45, 12101 Berlin. Geöffnet Mittwoch bis Sonntag, 11 bis 18 Uhr.

 ?? ?? Der zwischen 1936 und 1941 von Ernst Sagebiel errichtete Flughafen Tempelhof ist eine Collage aus nationalso­zialistisc­hem Rohbau und Ausbau durch die US-Alliierten. Das Schweizer Architektu­rkollektiv :mlzd hat nun eine dritte Schicht hinzugefüg­t und ein 125 Tonnen schweres Stiegenhau­s eingehängt.
Der zwischen 1936 und 1941 von Ernst Sagebiel errichtete Flughafen Tempelhof ist eine Collage aus nationalso­zialistisc­hem Rohbau und Ausbau durch die US-Alliierten. Das Schweizer Architektu­rkollektiv :mlzd hat nun eine dritte Schicht hinzugefüg­t und ein 125 Tonnen schweres Stiegenhau­s eingehängt.

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