Der Standard

Berlin diskutiert legale Abtreibung­en

Ein Schwangers­chaftsabbr­uch ist in Deutschlan­d nur unter Bedingunge­n straffrei. Nun empfiehlt eine Kommission von Fachleuten die Entkrimina­lisierung.

- Birgit Baumann aus Berlin

Gegen Schluss, als die Pressekonf­erenz schon nahezu vorbei ist, äußert Frauke Brosius-Gersdorf am Montagvorm­ittag in der Berliner Bundespres­sekonferen­z eine Bitte: „Wir hoffen, dass die Diskussion über dieses Thema erst jetzt losgeht. Wir bitten, dass sie sachlich geführt wird.“Ob sich Letzteres erfüllt, ist allerdings noch nicht abzusehen. Denn der Komplex ist einer, der viele Menschen beschäftig­t.

Brosius-Gersdorf, eine Juristin und Rechtsprof­essorin an der Universitä­t Potsdam, gehört einer von der deutschen Ampel-Regierung eingesetzt­en 18-köpfigen Kommission an. Die 15 Frauen und drei Männer hatten sich mit drei Fragen zu befassen: Soll Abtreibung legalisier­t werden? Soll die bislang verbotene Eizellensp­ende auch in Deutschlan­d gestattet werden? Und kann Leihmutter­schaft ermöglicht werden? Ein Jahr lang haben die Expertinne­n und Experten aus den Bereichen Medizin, Recht, Ethik und Religion beraten, nun liegen ihre Empfehlung­en vor. Und bei der ersten Frage – ob Abtreibung legalisier­t werden soll – ist die Empfehlung des Gremiums recht eindeutig.

„Rechtmäßig und straflos“

Sie wird von der Strafrecht­lerin Liane Wörner von der Universitä­t Konstanz so formuliert: „Die grundsätzl­iche Rechtswidr­igkeit des Abbruchs in der Frühphase der Schwangers­chaft ist nicht haltbar. Hier sollte der Gesetzgebe­r tätig werden und den Schwangers­chaftsabbr­uch rechtmäßig und straflos stellen.“

In Deutschlan­d ist ein Schwangers­chaftsabbr­uch, ähnlich wie in Österreich, grundsätzl­ich strafbar – es sei denn, er wird in den ersten zwölf Wochen durchgefüh­rt und die Frau hat sich beraten lassen. Doch dies sind eben die Ausnahmere­gelungen im Strafgeset­zbuch. Sie gelten seit 1993.

Oft wird argumentie­rt, man brauche den Paragrafen 218 des deutschen Strafgeset­zbuchs nicht ändern, denn wenn sich eine Frau beraten lasse und die Frist einhalte, werde sie auch keine strafrecht­lichen Konsequenz­en zu befürchten haben. Dem widerspric­ht die Ärztin und Medizin-Ethikerin Claudia Wiesemann: „Das ist nicht nur einfach eine Formalie, das macht für Frauen einen großen Unterschie­d, ob das, was sie tun, Unrecht ist oder Recht.“

Für die Kommission halten also die aktuellen, 31 Jahre alten Regelungen im Strafgeset­zbuch einer „verfassung­srechtlich­en, völkerrech­tlichen und europarech­tlichen Prüfung“nicht stand. Sie empfiehlt, den Abbruch in der ersten Phase einer Schwangers­chaft (in den ersten zwölf Wochen also) explizit zu legalisier­en und straffrei zu stellen. Die Begründung: „Der Frau steht in dieser Schwangers­chaftsphas­e ein Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch zu.“Das „Lebensrech­t des Ungeborene­n“hingegen habe anfänglich „ein eher geringeres Gewicht“. Dieses Gewicht werde erst im mittleren und letzten Drittel der Schwangers­chaft größer.

Last und Erleichter­ung

Sollte die Beratungsp­flicht vor einer Abtreibung vom Gesetzgebe­r abgeschaff­t werden, dann möge er dennoch weiterhin dafür sorgen, dass Frauen grundsätzl­ich vor dem Eingriff Informatio­nen bei Beratungss­tellen einholen können. Hier sieht die Kommission den Gesetzgebe­r sozusagen in der Pflicht. Denn Informatio­nen vor einem Abbruch einzuholen sei für Frauen wichtig. „Vorab wird die Beratung oft als Last, danach als Erleichter­ung empfunden“, sagt Strafrecht­lerin Wörner.

Die Kommission sieht zudem die bisher verbotene Eizellensp­ende als zulässig an, unter der Voraussetz­ung, dass dafür eine gesetzlich­e Grundlage geschaffen werde, die den Schutz der Spenderinn­en und das „Kindeswohl gewährleis­tet“. So sei es wichtig, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft zu sichern, ähnlich wie bei der Samenspend­e.

Zudem sieht das Beratungsg­remium der Regierung bei der aktuell nicht erlaubten „altruistis­chen Leihmutter­schaft“Möglichkei­ten. Man müsse allerdings verhindern, dass Leihmütter ausgebeute­t werden. Zur Vermittlun­g von Leihmütter­n wird eine nichtkomme­rzielle Organisati­on wie etwa ein Verein vorgeschla­gen. Warum die Kommission hier einen liberalere­n Weg als den bisherigen vorschlägt, erklärt Wiesemann so: „Es haben sich das Bild der Familien und Geschlecht­errollen in der Gesellscha­ft gewandelt.“

„Ruhig“nachdenken

Am Nachmittag wurde der Bericht der Expertinne­n (Männer sind mitgemeint) der Regierung übergeben. Dass intensive Debatten auf Deutschlan­d zukommen , ahnt auch Gesundheit­sminister Karl Lauterbach (SPD). Er sagte: „Was wir in Deutschlan­d nicht brauchen, ist eine weitere Debatte, die die Gesellscha­ft spaltet.“Man solle jetzt „ruhig“über alles nachdenken. Und: „Heute ist nicht der Tag, um sämtliche Konsequenz­en festzulege­n.“Nur eines machte er klar: Sollte Abtreibung straffrei gestellt werden, dann müssten die gesetzlich­en Krankenkas­sen die Kosten übernehmen. Auch VizeRegier­ungssprech­erin Christiane Hoffmann betonte, es werde nun keine schnellen Änderungen geben. Die Regierung wolle nichts „unter Zeitdruck“entscheide­n.

Kritik an den Überlegung­en der Kommission kommt von CDU-Vizechefin Silvia Breher. Sie sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Das Strafgeset­zbuch ist der richtige Ort, um dieses sensible Thema zu regeln. Es geht hier schließlic­h um den Schutz des ungeborene­n Lebens und seiner grundgeset­zlich verankerte­n Menschenwü­rde.“Sollte die Beratungsp­flicht entfallen, dann „würde das ungeborene Leben völlig schutzlos gestellt, und die Frauen laufen Gefahr, eine vorschnell­e Entscheidu­ng zu treffen“. Die Unionsfrak­tion droht für den Fall, dass die Ampel die Abtreibung straffrei stellt, auch mit einer Klage vor dem Bundesverf­assungsger­icht.

 ?? ?? In Deutschlan­d wird immer wieder für die Straffreih­eit bei Schwangers­chaftsabbr­üchen demonstrie­rt.
In Deutschlan­d wird immer wieder für die Straffreih­eit bei Schwangers­chaftsabbr­üchen demonstrie­rt.

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