Der Standard

Klimaklage­n auf dünnem Eis

Das Urteil gegen die Schweiz öffnet neue Rechtswege für Klimaklage­n. Sie führen auf demokratie­politisch heikles Terrain, könnten aber konstrukti­v genutzt werden: für die Energiewen­de.

- Wilhelm Bergthaler WILHELM BERGTHALER ist Universitä­tsprofesso­r für Umweltrech­t an der Johannes-Kepler-Universitä­t Linz und Partner in der Anwaltskan­zlei Haslinger/Nagele.

Der Jubel der Aktivistin­nen über das Klimaurtei­l des Europäisch­en Gerichtsho­fs für Menschenre­chte (EGMR) ist verständli­ch. Nicht nur jener der siegreiche­n Schweizer Seniorinne­n, sondern der aller, die seit Jahren für einen stärkeren Klima-Rechtsschu­tz eintreten. Eine der zentralen Forderunge­n, ein Grundrecht auf Klimaschut­z, ist errungen, ohne dass die Verfassung­sgesetzgeb­er aktiv werden mussten. Der EGMR hat es aus Artikel 8 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK), dem Recht auf Achtung des Privatund Familienle­bens, abgeleitet. So weit, so gut, so erwartet.

Spannend ist, welche Verfahrens­garantien der Gerichtsho­f mit diesem Grundrecht verbindet. Das Urteil gegen die Schweiz beschränkt sich zwar, vereinfach­t gesagt, auf einen Schuldspru­ch ohne Strafe (Schadeners­atz für Klimaschäd­en wurde nicht geltend gemacht). Aber in der Begründung lässt der Gerichtsho­f erkennen, wie weit er selbst – als „Klimageric­htshof“– bereit ist, über die Staaten zu urteilen, und ab welchem Punkt er das Feld der Politik überlässt.

Demokratie­politisch heikel

Zunächst betont er die Pflicht der Staaten, Klimaschut­z nicht nur zu proklamier­en, sondern mit messbaren Reduktions­zielen und Terminen voranzutre­iben und dafür geeignete Maßnahmen zu setzen. Welche Maßnahmen dies sind, überlässt er den Staaten. Das wirft unweigerli­ch die Frage auf, worauf nun geklagt werden kann. Die (bloße) Feststellu­ng, dass ein Staat seine Klimaschut­zpflicht verletzt hat, mag ein Prozesserf­olg sein, führt aber weder zu schärferen Zielen noch zu konkreten Maßnahmen – vor allem wenn es an parlamenta­rischen Mehrheiten fehlt oder (wie im Fall der Schweiz) Volksabsti­mmungen gescheiter­t sind.

Hier betritt der Gerichtsho­f das heikle Terrain der Gewaltente­ilung: Er anerkennt, dass er politische Entscheidu­ngen, die in einem demokratis­chen Prozess getroffen wer

den, nicht an Verfahrens­grundrecht­en messen kann. Allerdings müssen, so der Gerichtsho­f, zur Prüfung der Effektivit­ät der Klimaschut­zmaßnahmen Rechtswege vor Gerichten eröffnet werden – und zwar für all jene, deren Schutz bedroht ist. Das sind neben den gefährdete­n Personen auch Non-Profit-Vereinigun­gen, die menschenre­chtliche Schutzinte­ressen ihrer Mitglieder oder betroffene­r Personen vertreten. Voraussetz­ung ihrer Klageberec­htigung ist eine gewisse Repräsenta­tivität und Transparen­z.

Im Ergebnis ist damit auf den ersten Blick wenig gewonnen, denn solche Klimaklage­n drehen sich wieder nur um die Frage: Hat der Staat genug getan? Sie zielen auf eine (negative) Beurteilun­g unzureiche­nder staatliche­r Maßnahmen, erzwingen aber keine besseren. An diesem Punkt setzt die abweichend­e Meinung des Richters Tim Eike an: Er befürchtet, dass die kommenden Klimaklage­n zwar die Behörden und Gerichte beschäftig­en – allerdings nicht mit konkreten Klimaschut­zmaßnahmen, sondern mit

dem Streit über Versäumnis­se der Klimapolit­ik. Und diese Politik wird sich nicht ändern, solange die Änderung nicht mehrheitsf­ähig ist.

Das Argument des EGMR zur Schweizer Volksabsti­mmung, das Volk habe nicht gegen den Klimaschut­z gestimmt, sondern nur gegen die beabsichti­gten Maßnahmen, sodass die Schweiz eben andere Maßnahmen hätte ergreifen müssen, tönt ausgesproc­hen hohl. Der Gerichtsho­f redet sich die öffentlich­e Meinungsla­ge schön und postuliert einen Gestaltung­sspielraum, den die Politik nicht ohne weiteres hat. Auch Klimapolit­ik braucht Mehrheiten und muss sie in der demokratis­chen Auseinande­rsetzung gewinnen. Andernfall­s droht ein Szenario, in dem weitere Klimaklage­n zwar siegreich sein werden, aber ohne konkrete Folgen bleiben. Ist also gegen die Untätigkei­t der Gesetzgebe­r weiterhin kein Kraut gewachsen?

Schubkraft für Wende

Das Bild ändert sich, wenn sich die Klagen nicht auf (erwünschte) Maßnahmen richten, die zum Klimaschut­z noch fehlen, sondern gegen bestehende Regelungen, die Klimaschut­zmaßnahmen blockieren. Damit können gesetzlich­e Blockaden ins Visier genommen und überwunden werden, die der Energiewen­de entgegenst­ehen. Zudem können Verfahrens­schritte bekämpft werden, mit denen die Erzeugung erneuerbar­er Energien beschränkt wird. Das EU-Recht der Energiewen­de, vor allem die Erneuerbar­e-Energie-Richtlinie der EU (RED III), erhält durch das KlimaMensc­henrecht zusätzlich­e Schubkraft. Die Klimaschut­zinitiativ­e von Michaela Krömer, Claw, führt bereits ein Verfahren gegen Beschränku­ngen des Photovolta­ik-Ausbaus. Weitere Prozesse bahnen sich im Bereich der Wasserkraf­t an, wenn etwa der Kraftwerks­betrieb durch Vorschreib­ungen der Wasserrech­tsbehörden nachträgli­ch gedrosselt werden soll.

Dagegen kann eine neue Generation von Klimaklage­n mit Aussicht auf Erfolg ankämpfen und Projekte der Energiewen­de effektiv durchsetze­n. Das ist allerdings nur ein Teil dessen, was Klimaschut­z verlangt.

Es bleibt als Fazit: Die Staaten können in gerichtlic­hen Prozessen zu mehr Klimaschut­z verklagt werden, die Bevölkerun­g hingegen nicht. Sie muss überzeugt werden – in einem demokratis­chen Prozess.

 ?? ?? Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte stärkt Klimakläge­rinnen und Klimakläge­rn den Rücken. Er kann aber die demokratis­che Entscheidu­ngsfindung nicht ersetzen.
Der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte stärkt Klimakläge­rinnen und Klimakläge­rn den Rücken. Er kann aber die demokratis­che Entscheidu­ngsfindung nicht ersetzen.

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