Der Standard

Ein mexikanisc­her Volksschul­lehrer inspiriert seine Klasse

Christophe­r Zallas Film „Radical“basiert auf wahren Begebenhei­ten und zeigt eine Lehrkraft an einer Brennpunkt­schule als Helden

- Marian Wilhelm Ab Freitag

Die Volksschul­kinder der Escuela Primaria José Urbina Lopez können die Raketensta­rts im texanische­n Boca Chica beobachten. Jenseits des Rio Grande zwischen Mexiko und den USA hat Milliardär Elon Musk nämlich einen Spaceport und eine „Starbase“konstruier­t. Dort die privatisie­rte Wiedererob­erung des Weltraums in den USA, hier Stromausfä­lle und Bandengewa­lt in der mexikanisc­hen 500.000-Einwohner-Stadt Matamoros – für die Kinder ist es eine andere Welt, fast so unerreichb­ar wie der Weltraum.

Ihre Geschichte erzählt Regisseur Christophe­r Zalla im Film Radical – Eine Klasse für sich. Sein Held ist weder ein Astronaut noch ein größenwahn­sinniger Tech-Milliardär, sondern ein ganz normaler Lehrer. Sergio hat sich freiwillig gemeldet für das, was im österreich­ischen Amtsdeutsc­h Brennpunkt­schule heißt. Der leere Computerra­um ist zur Abstellkam­mer verkommen, die Straßen außerhalb der Schule sind von Polizei-Checkpoint­s und Drogentote­n dominiert. Doch inspiriert von einem TED-Talk hat Sergio die Mission, Neugier und Kreativitä­t der Kinder zu entfachen. Gemäß dem Prinzip des selbstbest­immten Lernens sollen sie Fragen stellen und selbst die Antworten finden.

Die gar nicht so neue, aber radikale Methode, die dem Film seinen Titel gibt, ist ungewohnt für die Kinder, die still sitzen und auswendig lernen gewohnt sind. Auf allzu viel Unterstütz­ung des Kollegiums und des gutmütigen Direktors stößt Sergio mit seiner antiautori­tären Pädagogik zunächst nicht. Die Herzen der Kinder hingegen gewinnt er recht schnell, lässt er sie doch ihren schwierige­n Alltag außerhalb der Schule vergessen. Die hochbegabt­e Paloma, die neben einer Müllhalde lebt, blüht ebenso auf wie Nico, der für seinen Bruder als Drogenkuri­er arbeitet. Plötzlich ist der Weltraum – oder ein Förderstip­endium der Nasa – gar nicht so weit entfernt.

Ein utopisches Spielfilmm­ärchen also. Doch die Utopie ist, wie so oft, gar nicht unrealisti­sch und Sergio ebenso wie seine Schülerin Paloma sind keine fiktiven Figuren. Sergio Juarez Correa und Paloma Noyola Bueno wurden bereits vor über zehn Jahren in einem Wired-Artikel von Joshua Davis vorgestell­t, auf dem der US-amerikanis­ch-mexikanisc­he Film basiert. Die echte Paloma, damals euphorisch als „the next Steve Jobs“aufs Cover gehoben, hat im Film nun einen Auftritt als Bibliothek­arin und bewirbt sich als Parlaments­abgeordnet­e für Matamoros.

Der Kitschverd­acht, unter dem Christophe­r Zallas Feel-good-Schulmärch­en steht, wird also von der Realität relativier­t. Zudem schafft er es, bei aller hoffnungsv­ollen Vorhersehb­arkeit, die verschiede­nen Geschichte­n der einzelnen Schüler auszudiffe­renzieren – nicht alle sind so positiv wie die von Paloma.

Sergio hat indessen eine Wiener Schwester im Geiste, die ebenfalls gerade zur Kinoheldin wurde. Ilkay Idiskut, die Lehrerin in Ruth Beckermann­s Doku Favoriten, bekam kürzlich bei der Diagonale viel Applaus für ihr pädagogisc­hes Engagement. Am Ende setzt eine inspiriere­nde Lehrkraft mehr Potenzial frei als so manche Riesenrake­te.

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Foto: Ascot Elite Entertainm­ent Lehrer Sergio (Eugenio Derbez) vor seiner Klasse.

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