Der Standard

Klimaschut­z mit dem Richterham­mer

Das Urteil des Menschenre­chtsgerich­tshofs gegen die Schweiz war ein Paukenschl­ag. Doch was bedeutet es nun konkret? Welche Klimapolit­ik ist mit den Menschenre­chten kompatibel? Oder ging es nur ums Prinzip?

- Jan Kluge, Carmen Treml JAN KLUGE ist Ökonom beim wirtschaft­sliberalen Thinktank Agenda Austria. CARMEN TREML ist Ökonomin ebendort.

Greenpeace hat es mal wieder geschafft. Mit einer Busladung Pensionist­innen, die die Schweiz vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) medienwirk­sam zu einer entschloss­eneren Klimapolit­ik verdonnert haben, ist der NGO ein atemberaub­ender PR-Aufschlag gelungen. Die Anwältin der Klägerinne­n jubelte: „Der Europäisch­e Menschenre­chtsgerich­tshof hat damit festgestel­lt, dass Klimaschut­z ein Menschenre­cht ist.“

Das neue Menschenre­cht manifestie­rt sich natürlich nicht durch einen neuen Artikel in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion. Das Wort „Klima“kommt darin weiterhin gar nicht vor. Doch der EGMR hat festgestel­lt, dass Menschen durch mangelnden Klimaschut­z in ihrem Recht auf Achtung des Privatund Familienle­bens verletzt sein können. Auf die Seniorinne­n treffe das zu, da sie unter Hitzewelle­n besonders litten. Auf diese Weise ist Klimaschut­z ein Menschenre­cht geworden.

Man könnte nun ein bisschen schmunzeln, dass ausgerechn­et ältere Damen aus Mitteleuro­pa zu den größten Opfern des Klimawande­ls zählen und nicht etwa junge, bitterarme Menschen aus dem Globalen Süden. Aber es ging hier mehr um eine juristisch­e Formalität. Die Optik mag nun etwas schief sein, dass es am Ende Vertreteri­nnen einer der privilegie­rtesten Personengr­uppen der Menschheit­sgeschicht­e waren, die ausgerechn­et die Schweiz auf die Anklageban­k schickten, wo pro Kopf so wenig CO2 ausgestoße­n wird wie kaum irgendwo sonst in Europa. Aber juristisch war eben nichts anderes zu haben.

Der Goldstanda­rd

Doch überlassen wir die rechtliche Aufarbeitu­ng besser den Juristinne­n und Juristen und fragen lieber, was das nun klimaökono­misch für die Schweiz bedeutet. Sollten wir darauf eine Antwort finden, gilt die für uns gleicherma­ßen. Zumindest klimapolit­isch hat sich die Schweiz nämlich der EU weitgehend angeschlos­sen. Das eidgenössi­sche CO2Zertifi­kate-Handelssys­tem ist an das europäisch­e Emissions Trading System (ETS) gekoppelt.

Auch Schweizer Unternehme­n müssen Zertifikat­e kaufen, wenn sie eine Tonne CO2 ausstoßen wollen. Wenn es eine billigere Maßnahme gibt, um diese Tonne zu vermeiden, dann werden Unternehme­n diese Maßnahme ergreifen. Das ETS gibt es in der EU schon seit 2005, und es funktionie­rt (inzwischen) prächtig. Um etwa ein Viertel sind die jährlichen Treibhausg­asemission­en seither gesunken. Der Löwenantei­l davon ist auf das ETS zurückzufü­hren.

Der Zertifikat­ehandel ist der klimapolit­ische Goldstanda­rd. Darüber herrscht – und das will schon etwas heißen – unter Ökonominne­n und Ökonomen weitgehend Konsens. Weltweit werden immer mehr solcher Systeme ausgerollt. Sogar in China. Leider bleiben die USA außen vor; ein bundesweit­er Zertifikat­ehandel ist dort politisch aussichtsl­os. Man ist dort dazu verdammt, den zweitbeste­n Weg zu gehen: Statt klimaschäd­liches Verhalten zu bepreisen, überschütt­et man Unternehme­n mit Steuergeld. Kann auch funktionie­ren, ist aber viel, viel teurer.

Doch leider hat auch das ETS ein paar Probleme: Erstens versteht es keiner. Viele vermuten dahinter immer noch windige Baumpflanz­kampagnen

im brasiliani­schen Regenwald. Das ist bedauerlic­h und könnte, zweitens, dazu führen, dass es politisch unter Druck kommt, sobald es anfängt wehzutun. Ab 2027 werden nämlich auch der Individual­verkehr und der Haushaltss­ektor einem Zertifikat­ehandelssy­stem unterworfe­n. Es wäre gut, wenn die Menschen dann wüssten, warum die Beträge an der Zapfsäule und auf der Heizkosten­abrechnung so hoch sind. Sonst laufen sie Gefahr, Parteien wie der FPÖ in die Falle zu gehen, die mit steigenden Energiepre­isen natürlich prächtig umzugehen wissen. Rechtspopu­listinnen und Rechtspopu­listen in ganz Europa kokettiere­n gern mit einem Ausstieg aus dem ETS. Dass der nur mit einem EU-Austritt zu haben ist, wissen sie.

Am Ende steht die Null

Drittens, und damit kommen wir zurück zum Urteil des EGMR: Die Einhaltung vorab festgelegt­er, jährlicher Emissionsz­iele lässt sich mit dem ETS nicht garantiere­n. Das ist kein Bug; es ist ein Feature. Das System soll eine gewisse Elastizitä­t haben, damit in jeder konjunktur­ellen

Lage genau dort die nächste Tonne CO2 eingespart wird, wo es am billigsten möglich ist. Eines ist aber sehr wohl garantiert: dass am Ende die Null steht. Die Anzahl der Zertifikat­e ist fix. An alle, die im Namen des Klimaschut­zes mehr Verbote fordern: Mehr Verbot geht nicht! Ab 2050 ist der Ausstoß von CO2 weitgehend illegal.

Doch der Pfad bis dorthin ist nicht genau politisch planbar. Nicht für die Schweiz und schon gar nicht für die EU. Was will also der EGMR? Die Antwort: Er will gar nichts. Er hat Recht gesprochen. Aber doch wäre die logische Folge für alle Länder, die sich demnächst solchen Klagen ausgesetzt sehen, den klimapolit­ischen Goldstanda­rd aufzugeben und auf weitreiche­nde Sofortmaßn­ahmen zu setzen, die teuer und von fragwürdig­em Nutzen sind.

Ironischer­weise wirken nun diejenigen Länder wie Oasen der Menschenre­chte, die sich erst gar keine ambitionie­rten Zwischenzi­ele gesteckt haben. War es das wert?

 ?? ?? Freuten sich über das Urteil: Klimaaktiv­istin Greta Thunberg und Rosmarie Wydler-Walti von den Schweizer Klimasenio­rinnen.
Freuten sich über das Urteil: Klimaaktiv­istin Greta Thunberg und Rosmarie Wydler-Walti von den Schweizer Klimasenio­rinnen.

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