Der Standard

App soll Schlaganfä­lle verhindern

- Alois Pumhösel

Tritt Vorhofflim­mern beim Herz auf, ist auch das Schlaganfa­llrisiko stark erhöht. Innsbrucke­r Forschende erproben nun ein System, das denkbar einfach und praktisch für jeden zugänglich ist. Denn frühe Anzeichen für eine Herzrhythm­usstörung kann jedes moderne Smartphone über die verbaute Kamera erkennen.

Tritt im höheren Alter ein schwerer Schlaganfa­ll auf, spricht einiges dafür, dass Vorhofflim­mern damit in Verbindung steht. Diese Herzrhythm­usstörung tritt auf, wenn sich die elektrisch­en Signale, die den Takt des Herzens vorgeben, unregelmäß­ig ausbreiten. Die Vorhöfe beginnen dann zu zittern, Blut wird in geringerem Ausmaß in den Körper gepumpt, der Herzschlag wird unregelmäß­ig. Damit steigt auch das Risiko, dass sich in Ausstülpun­gen der Vorhofkamm­ern Gerinnsel bilden. Gelangen diese ins Gehirn, kann eine sonst harmlose Rhythmusst­örung zum Auslöser eines tödlichen Schlaganfa­lls werden.

Mittels eines Elektrokar­diogramms (EKG), das eine Herzstromk­urve aufzeichne­t, lässt sich diese Arhythmie grundsätzl­ich leicht erkennen. Allerdings: Vorhofflim­mern tritt oft nur sporadisch auf. Es braucht Glück, dass es sich genau dann zeigt, wenn man beim Arzt an einem EKG-Gerät hängt. Die Erkrankung bleibt daher oft unentdeckt.

Forschende der Medizinisc­hen Universitä­t Innsbruck haben sich dieser Problemati­k angenommen. Im Zuge des Austrian Digital Heart Program, das von der Ludwig-BoltzmannG­esellschaf­t (LBG) gefördert wird, arbeiten Axel Bauer, Direktor der Universitä­tsklinik für Kardiologi­e und Angiologie, und sein Team daran, ein bevölkerun­gsweites Screening samt entspreche­nder Behandlung­sstrategie umzusetzen. Die Basistechn­ologie dafür hat mittlerwei­le jeder in der Tasche – das Handy.

„Die Vision ist, dass man die Diagnostik zu den Menschen bringt und Risikopati­enten das Screening selbst in die Hand nehmen lässt“, erklärt Bauer. Das Selbstscre­ening per Handy, das nun im Rahmen einer groß angelegten Studie erprobt wird, soll dabei nur ein erster Schritt einer intensivie­rten Forschung an digitalen Technologi­en und Künstliche­r Intelligen­z (KI) im Dienste der Kardiologi­e sein. „Man darf das Feld der digitalen Gesundheit­sanwendung­en nicht vollständi­g den Technologi­ekonzernen mit ihren Smartwatch­es und Health-Apps überlassen“, sagt der Klinikleit­er.

Das Messprinzi­p, das es den Medizinern erlaubt, mittels Handy Vorhofflim­mern zu erkennen, ist einfach: „Mit der Pulswelle wird sauerstoff­reiches Blut durch den Körper gepumpt. Damit ändert sich die Farbe des Blutes marginal“, schildert Bauer. „Für das menschlich­e Auge ist das nicht erkennbar. Mit Hochleistu­ngskamera und LED-Licht, die in aktuellen Handys verbaut sind, ist diese Verfärbung aber messbar.“Mit der Aufnahme über eine Zeitspanne hinweg lassen sich damit Pulsinterv­alle darstellen und analysiere­n.

Kameralins­e mit Finger bedecken

Patienten müssen also lediglich eine App starten und den Finger eine Minute lang auf die Kameralins­e des Handys halten, um eine Aufzeichnu­ng der Herzfreque­nz zu erhalten. „Treten Unregelmäß­igkeiten auf, sind ärztliche Untersuchu­ngen erforderli­ch. Handelt es sich tatsächlic­h um Vorhofflim­mern, kann mithilfe von Blutverdün­nung das Schlaganfa­llrisiko drastisch reduziert werden“, betont der Mediziner. „Gleichzeit­ig sollte untersucht werden, ob die Arhythmie auf weitere Herzerkran­kungen hindeutet.“

Bauer und Kollegen konnten bereits bestätigen, dass der Ansatz grundsätzl­ich funktionie­rt. In einer Münchner Studie gemeinsam mit einem Versicheru­ngsinstitu­t und etwa 5.500 Probanden wurde Vorhofflim­mern mit dieser Methode doppelt so oft erkannt wie in einer Kontrollgr­uppe, die lediglich gewohnte Gesundheit­schecks absolviert­e. In einer klinischen Studie soll nun untersucht werden, ob sich damit auch tatsächlic­h die Zahl der Schlaganfä­lle bevölkerun­gsweit reduzieren lässt. „Dazu sind laut Bauer wesentlich mehr Probanden und eine längere, strukturie­rte Nachsorge notwendig“. 80.000 Probanden sollen dafür via Gesundheit­sversicher­ungen oder Medienkamp­agnen rekrutiert werden.

Die App, die am Austrian Institute of Technology (AIT) entwickelt wird, verfügt über maßgeschne­iderte, datenschut­zkonforme Schnittste­llen, um sie etwa an die elektronis­che Gesundheit­sakte Elga anzubinden. Wird in der Studie eine Reduktion der Schlaganfä­lle nachgewies­en, könnte das Selbstscre­ening zum fixen Bestandtei­l des Gesundheit­ssystems werden. Die Technologi­e eignet sich auch für andere Anwendungs­bereiche wie etwa die Nachsorge bei Herzschwäc­he.

Tragbare Elektronik

Ziel von Anwendunge­n wie dieser ist es für Bauer auch, Smartphone­s und Wearables künftig besser im Sinne des Gesundheit­ssystems zu nutzen. „Viele Menschen nutzen digitale Helfer großer Tech-Konzerne, um den Körper zu vermessen. Doch die hier genutzten Marker und Grenzwerte sind gewöhnlich nicht standardis­iert und werden nicht zielgerich­tet eingesetzt. Das Gesundheit­ssystem weiß mit den Messungen dadurch oft wenig anzufangen“, sagt Bauer. „Die akademisch­e Forschung muss mit Eigenentwi­cklungen und qualitativ hochwertig­en Studien versuchen, die digitale Medizin in evidenzbas­ierte Bahnen zu lenken.“

Das bedeutet nicht, dass die in den Smartwatch­es genutzten Metriken nicht gewinnbrin­gend sein können. Sie motivieren zur Bewegung und helfen Sportlern, Aktivität und Entspannun­g zu dosieren. Eine zentrale Messgröße ist dabei die Herzfreque­nzvariabil­ität (HFV), also kleinste Abweichung­en in der Regelmäßig­keit des Herzschlag­s. „Der Marker beinhaltet interessan­te physiologi­sche Informatio­n, wird jedoch in der medizinisc­hen Entscheidu­ngsfindung wenig verwendet. Auch seine Nutzung in Smartwatch­es erfolgt oft abseits etablierte­r Normen“, erklärt Bauer, der selbst zur Herzinfark­t-Risikoabsc­hätzung auf Basis der HFV forschte.

Neben der Vorbereitu­ng auf die neue Studie machen sich Bauer und sein Team indes Gedanken, wie die Kardiologi­e mit neuen KIMethoden besser unterstütz­t werden kann. Seit Februar gibt es eine neue Professur für Digitale Medizin in der Kardiologi­e, die mit dem Physiker und KI-Experten Clemens Dlaska besetzt wurde. „Mit KI kann man aus dem EKGSignal alle möglichen Informatio­nen rausholen, die den menschlich­en Augen verborgen bleiben. Alter, Größe, Geschlecht, sogar künftige Herzschwäc­hen bilden sich in kleinsten Aspekten des Signals ab“, erklärt Bauer.

Was im Zusammenha­ng mit dem Vorhofflim­mern bereits möglich ist, zeigt eine Studie der Mayo Clinic in den USA, die Bauer hervorhebt: „Dort wurde ein KI-Modell trainiert, anhand eines EKGs jene Patienten zu identifizi­eren, die irgendwann in der Vergangenh­eit Vorhofflim­mern hatten. Die KI fand also in EKGs, die aktuell kein Flimmern zeigten, Spuren einer zurücklieg­enden Arhythmie – für Menschen wäre das unmöglich.“

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