Der Standard

Hopp, hopp, hopp, hopp

- Franziska Zoidl

Beim Wien-Marathon am Sonntag werden wieder tausende Menschen den schnellen und den weniger schnellen Läuferinne­n und Läufern an der Strecke zujubeln. Das motiviert nicht nur die Marathonis – das macht auch die, die anfeuern, glücklich. Die Tipps der Profi-Jubler.

Geht schon, Hannes“, wird Sabine Jaroschka wohl auch diesen Sonntag beim Wien-Marathon wieder rufen. Und „Fast geschafft, Martina!“oder „Weiter so, Karin!“. Hannes, Martina, Karin und all die anderen, die sie mit ihren Rufen motivieren wird, kennt Sabine Jaroschka gar nicht persönlich, aber ihre Namen stehen auf den Startnumme­rn. Sie ist so etwas wie eine Profi-Jublerin am Streckenra­nd, die beim Anfeuern ihre regenbogen­farbene Rassel wie wild schwingt. Jaroschka ist selbst Läuferin: „Daher weiß ich, wie wichtig die Menschen an der Strecke sind.“Und dass es einen Unterschie­d macht, wenn auch zu fortgeschr­ittener Stunde noch jemand am Streckenra­nd steht und einem ganz kurz das Gefühl gibt, eine Gewinnerin zu sein.

Im Brotberuf ist Jaroschka Werbetexte­rin. „Aber wenn ein Anfeuern ein Beruf wäre, das würde ich machen wollen.“Man glaubt es der schwungvol­len 52-Jährigen mit Sonnenbril­le, Kurzhaarsc­hnitt und sportliche­m Käppi. Darum wird sie auch heuer wieder irgendwo nach Kilometer 39 am Rand der Strecke ihren Klappsesse­l aufstellen, Regenschir­m, Getränke und Snacks für sich selbst sowie Pflaster für die Sportler in Griffweite haben und eine Lautsprech­erbox mit Musik aufstellen.

Dadurch wird die bei vielen jetzt lauter werdende Stimme im Kopf, die immer eindringli­cher sagt, dass man ja eigentlich auch aufgeben könnte, zumindest kurz von Freddie Mercury in Dauerschle­ife übertönt: „Don’t stop me now, I’m having such a good time“, singt er. Und auch wenn zu diesem Zeitpunkt nicht mehr alle eine gute Zeit haben, beginnen einige doch wieder zu laufen. Manche würden mitsingen, bei manchen gingen sich sogar noch ein paar Tanzschrit­te aus, wieder andere würden einfach nur „Danke“sagen: „Mich rührt das immer zu Tränen“, sagt Jaroschka.

Die Hände tun weh

Eva Tomeczek ist eine Veteranin der Wiener Marathon-Jubler: Sie steht seit 40 Jahren an der Strecke, um ihren Mann Gerhard Tomeczek, der bisher bei jedem Wien-Marathon am Start war, zuzujubeln – nur einmal musste sie, eine Woche nach der Geburt ihrer Tochter, passen. Tomeczek weiß nach all den Jahren ganz genau, wo sie ihren Mann am besten abpassen kann – beim Start, beim Naschmarkt, an der Mariahilfe­r Straße und im Prater, wo es für viele besonders hart wird. Hier musste die Familie auch schon einmal die ganz schweren Geschütze auffahren und Gerhard Tomeczek mit dem Rocky-Soundtrack vom Handy beschallen, um ihn zum Weiterlauf­en zu bewegen. Mit Erfolg, natürlich. Was nur Profi-Jublerinne­n wissen: Die Hände tun einem irgendwann vom vielen Klatschen weh. Übergroße Klatschhän­de, mit denen man ordentlich Lärm machen kann, gehören bei den Tomeczeks daher zur Standardau­srüstung.

Auf Lärm hat sich auch Lorenzo Gangi spezialisi­ert. Er ist mit seiner Samba-Band Batala seit 13 Jahren offiziell an der Strecke vertreten und sorgt selbst bei Starkregen für brasiliani­sche Rhythmen im grauen Wien. „Wir sind nicht für die Schnellen da“, sagt der Musiker. Vielmehr möchte er jene motivieren, die sich schwertun und ans Aufhören denken. Das funktionie­re: „Manche beginnen bei unserer Musik wieder mit dem Laufen“, sagt Gangi.

Das liege an den Beats – es sind 120 bis 15o pro Minute –, mit denen die Menschen wieder in ihren Laufrhythm­us finden, vor allem aber an der Vibration der Trommeln, die man schon von weitem spürt. Heuer ist seine Band an zwei Standorten vertreten, um die Teilnehmer bis zum Ziel zu begleiten. 20 Trommlerin­nen und Trommler werden sich beim pausenlose­n Spielen abwechseln – das Ganze sei nämlich natürlich auch körperlich anstrengen­d. Die Menschen auf der Strecke wüssten das auch zu schätzen: „Wir feuern die Leute an, und sie feuern uns an.“

Dass die Stimmung an der Strecke einen großen Unterschie­d macht, weiß auch das Organisati­onsteam des Vienna City Marathon. Daher gibt es entlang der Strecke unzählige Musikeinla­gen und Showacts – neu ist heuer etwa eine „Embrace Diversity“-Anfeuerung­sstelle an der Linken Wienzeile.

„Die Stadt bebt am Marathonta­g“, sagt der Sportpsych­ologe Georg Hafner. Und diese

Energie übertrage sich auch auf die Läuferinne­n und Läufer. Aus sportpsych­ologischer Sicht könne man beim Anfeuern nicht viel falsch machen. Wobei: „Wenn man bei Kilometer drei jemandem ‚Fast geschafft‘ zuschreit, ist das natürlich eine Farce.“Letztendli­ch gehe es aber immer um die positive Intention. „Auch das banalste ‚hopp, hopp, hopp‘ ist ein Rhythmus, den man sich mitnehmen kann.“Und dass man in Wien die Menschen sogar mit ihrem Namen ansprechen kann – der Startnumme­r sei Dank – mache das Anfeuern noch einmal persönlich­er.

Doch Übung macht die Meisterin. Jaroschka weiß mittlerwei­le genau, was sie zu den Läuferinne­n und Läufern, die an ihr vorbeilauf­en, sagen kann – und was nicht. „Manche kann man schon ein bisschen häkerln und bei ihrem Stolz packen und sagen: Du hast dir das selber ausgesucht, also geht schon.“

Wir sind alle Gewinner

Das Beste am Schreien, Jubeln und Schwenken von Fahnen und Postern: Es macht beide Seiten glücklich. Das liegt an den Spiegelneu­ronen, erklärt Hafner, weshalb man sich beim Marathon als Teil des großen Ganzen fühlt – und irgendwie auch als Gewinnerin, selbst wenn man dabei auf einem Klappstuhl sitzt. „Wenn man sich auf das Anfeuern einlässt, ist das tatsächlic­h ein Stimmungsa­ufheller“, sagt Hafner.

Das bestätigen auch jene, die jedes Jahr an der Strecke stehen. „Das Zuschauen ist wahnsinnig anstrengen­d, weil man sich so konzentrie­ren muss“, sagt Eva Tomeczek. „Aber man wird total mitgerisse­n.“

Wenn dann die allerletzt­en Läuferinne­n und Läufer und das Besenwager­l vorbeigezo­gen sind, klappt Sabine Jaroschka ihren Sessel zusammen und stoppt Freddie Mercury dann doch. Nächstes Jahr wieder.

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 ?? ?? Klappstuhl, Proviant, Erste-Hilfe-Set und natürlich die Rassel, um die vom Klatschen schmerzend­en Hände zu schonen, hat Sabine Jaroschka beim Anfeuern immer dabei.
Klappstuhl, Proviant, Erste-Hilfe-Set und natürlich die Rassel, um die vom Klatschen schmerzend­en Hände zu schonen, hat Sabine Jaroschka beim Anfeuern immer dabei.

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