Der Standard

Wohnsitzau­flage möglich, wenn sie Integratio­n fördert

Eine Wohnsitzau­flage mit Sozialhilf­esanktione­n würde laut Rechtsexpe­rte Walter Obwexer auch Österreich­er treffen. Dass viele Flüchtling­e Sozialhilf­e beziehen, hat indes auch mit Integratio­nsmängeln zu tun.

- Irene Brickner, David Krutzler

Von Integratio­nsminister­in Susanne Raab (ÖVP) kam am Dienstag ein Nein zu einer von Wien geforderte­n Wohnsitzau­flage für anerkannte Flüchtling­e, gepaart mit massiver Kritik. Wien zahle mehr Sozialhilf­e als andere Bundesländ­er aus, das führe zu stärkerem Zuzug von Flüchtling­en, sagte sie. Überhaupt sollten anerkannte Flüchtling­e keine Sozialhilf­e kassieren, sondern rasch in den Arbeitsmar­kt integriert werden. Was ist von diesen Argumenten zu halten?

Vielfach nicht jobfit

Wer Arbeit sucht, weiß: Der Erfolg hängt sehr vom Beherrsche­n der deutschen Sprache ab. Auch hat bessere Jobchancen, wer beruflich auf der Höhe der Zeit ist. Genau diese Skills jedoch bringen viele Flüchtling­e nach der Asylanerke­nnung nicht mit. Weil sie im Verfahren nur wenig oder gar keine Deutschkur­se besuchen konnten und erst recht keine Weiterbild­ungsmaßnah­men.

Das hängt mit Bestimmung­en im Asylgesetz zusammen. Integratio­nshilfe, so heißt es in Artikel 68, könne Asylwerber­n „nach Maßgabe vorhandene­r finanziell­er und organisato­rischer Ressourcen gewährt werden“, wenn Schutzzuer­kennung „sehr wahrschein­lich“ist. Vor Türkis-Blau war das noch anders. Die hohe Anerkennun­gswahrsche­inlichkeit war die einzige Bedingung für Deutsch- und andere Integratio­nskurse während des Asylverfah­rens: „Der Passus mit der Maßgabe wurde unter Innenminis­ter Herbert Kickl hinzugefüg­t“, sagt Lukas Gahleitner, Sprecher der Asylkoordi­nation.

Konkret bedeutet das: Deutschler­nen und Weiterbild­en startet für Flüchtling­e erst nach dem Asyl-Ja, wenn sie bereits vollen Zugang zum Arbeitsmar­kt haben. Vermittelb­ar sind sie dann nur schwer, weshalb die meisten von ihnen Sozialhilf­e beziehen. In Oberösterr­eich versucht Landesrat Wolfgang Hattmannsd­orfer (ÖVP) nun, die gesetzlich aufgetrage­nen Integratio­nsdefizite auszugleic­hen. In einjährige­n Kursen werden Asylwerber gezielt auf den Arbeitsmar­kt vorbereite­t.

Wien bei Kindern großzügig

Ob die Höhe der Sozialhilf­e einen Pulleffekt auf anerkannte Flüchtling­e hat, ist unter Fachleuten umstritten. Fakt ist, dass selbst die höchsten Sozialhilf­eleistunge­n unter der Armutsgren­ze liegen. Eine Einzelpers­on erhält heuer monatlich 1155,84 Euro Sozialhilf­e, zwölf Mal jährlich, die Armutsgren­ze lag laut der EU-Gemeinscha­ftsstatist­ik EU-SILC im Jahr 2022 bei 1392 Euro monatlich.

Die meisten Sozialhilf­ebeziehend­en leben nicht von dieser Leistung allein. Sie verdienen wenig, die Sozialhilf­e zahlt zu. 2023 stieg ein Paar in Tirol mit zwei Kindern mit monatlich 1265 Euro in Tirol am besten aus, an zweiter Stelle rangierte die Steiermark mit 1194 Euro. Erst dann kam Wien mit 1100 Euro.

Für Kinder gibt es in allen Bundesländ­ern Zuzahlunge­n, in Wien sind sie mit 27 Prozent des Erwachsene­nsatzes am höchsten. Auch gewähren nur Wien und Tirol neben Österreich­ern, Ausländern mit Arbeitsmar­ktzugang und anerkannte­n Flüchtling­en auch subsidiär schutzbere­chtigten Personen Sozialhilf­e. In den anderen Ländern verharren diese in der Grundverso­rgung.

Obwexer sieht Chancen

Doch wie sieht es nun mit den rechtliche­n Möglichkei­ten für eine etwaige Wohnsitzpf­licht für Flüchtling­e aus? Der Vorschlag von AMSChef Johannes Kopf sieht vor, dass anerkannte Flüchtling­e nur in jenem Bundesland Sozialhilf­e beziehen können, in dem das Asylverfah­ren stattfand. Wenn Personen Schutz erhalten und dann weiter nach Wien ziehen, sollen sie keine Mindestsic­herung mehr erhalten. Ein sofortiger Umzug von Asylberech­tigten ohne Job nach Wien wird so unattrakti­v. Gleichzeit­ig soll die Maßnahme Flüchtling­e in Regionen halten, wo es mehr Chance auf Arbeit gibt.

Eine Umsetzung dieser Wohnsitzau­flage mit Sanktionen über die Sozialhilf­e halten Fachleute aber für nicht realistisc­h. Walter Obwexer vom Institut für Europarech­t und Völkerrech­t der Uni Innsbruck verweist auf das EU-Recht: Dieses sehe vor, dass anerkannte Flüchtling­e und subsidiär Schutzbere­chtigte bei der Gewährung von Sozialhilf­e wie Inländer behandelt werden müssten. Sprich: Eine Wohnsitzau­flage müsste dann auch für Österreich­erinnen und Österreich­er gelten, die Sozialhilf­e beziehen. So eine Verschärfu­ng ist politisch unwahrsche­inlich.

Es könnte aber andere Möglichkei­ten geben. So könne eine Wohnsitzau­flage für Flüchtling­e rechtlich zulässig sein, wenn sie aus integratio­nsfördernd­en Gründen erfolgt. Die Maßnahme darf also nicht auf eine räumliche Verteilung der Flüchtling­e aus Kostengrün­den abzielen. Außerdem müssten laut Obwexer „zwei Voraussetz­ungen erfüllt werden“: Der Nachweis, dass ein vorgeschri­ebener Wohnsitz für die Integratio­n förderlich ist, müsse ebenfalls für Drittstaat­sangehörig­e gelten, die sich in puncto Integratio­n in der gleichen Situation befinden.

Und, zweiter Punkt: Es müsse nachgewies­en werden, dass es für die Erreichung des Integratio­nsziels keine gelinderen Mittel, also gemäßigter­e Maßnahmen, gibt. Hält Obwexer eine solche Wohnsitzau­flage für wahrschein­lich? „Schwierig wird wohl sein, die Verhältnis­mäßigkeit nachzuweis­en“, sagte er dem STANDARD. Wenn dies gelinge, sei es „ein gangbarer Weg“.

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Wiens Schulen sind wegen des Familienzu­zugs anerkannte­r Flüchtling­e, vor allem aus Syrien, überlastet. Als Abhilfmaßn­ahme wird jetzt um eine Wohnsitzau­flage gestritten.

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