Der Standard

Weg mit den Chiang-Kai-shek-Statuen

Knapp vor der Angelobung macht die neue Regierung in Taiwan Ernst: Sie will alle Denkmäler zu Ehren des Diktators loswerden. Daran stoßen sich das Militär, die Opposition­spartei KMT – und nicht zuletzt Peking.

- Anna Sawerthal

Im Herzen von Taipeh steht eine riesige Halle, in der eine über sechs Meter große Bronzestat­ue untergebra­cht ist. Taiwanisch­e Soldaten bewachen die Statue rund um die Uhr, stündlich lösen sich die Wachen in einer elaboriert­en Choreograf­ie ab. Tausende Touristen geben sich das Spektakel jährlich. Der riesige Bronzekopf lächelt milde herab.

Doch die Person, die da dargestell­t ist, ist nicht unumstritt­en. Erst im Oktober protestier­ten wieder Hunderte vor der Nationalen Gedächtnis­halle: „Taiwan braucht keine Diktatoren-Gedenkhall­e“, stand auf den Schildern der Demonstrie­renden.

Der „Diktator“, das ist Chiang Kaishek – bekannt als historisch­er Gegenspiel­er Mao Tse-tungs: Im Chinesisch­en Bürgerkrie­g mussten sich die Nationalis­ten unter Chiang den Kommuniste­n geschlagen geben und nach Taiwan fliehen. Dort bauten sie ein Gegenkonze­pt zur Volksrepub­lik auf, nämlich die Republik China – heute weitgehend als Taiwan bekannt.

Während Chiang Kai-shek auf der Insel von manchen als Nationalhe­ld gefeiert wird, sehen das viele Bewohner und Bewohnerin­nen anders. Jahrzehnte­lang regierte er die Insel mit eiserner Hand. Unter Kriegsrech­t gab es nur seine Partei, die Kuomintang (KMT), Kritiker wurden brutal verfolgt: In den Jahrzehnte­n seiner Amtszeit wurden zehntausen­de Menschen ex

ekutiert, etliche mehr noch inhaftiert.

Erst nach seinem Tod begann man auf der Insel, sich mit der schwierige­n Vergangenh­eit der White-Terror-Jahre auseinande­rzusetzen. Mit dem Aufstieg der Demokratis­chen Fortschrit­tspartei (DPP) wuchs Taiwan auch zur Demokratie heran. 2000 stellte sie erstmals einen Präsidente­n. Diesen Jänner sicherte sie sich zum dritten Mal in Folge die Präsidents­chaft: Am 20. Mai soll ihr Kandidat William Lai angelobt werden. Erinnerung­skultur und „transition­al justice“, also Fragen der Übergangsj­ustiz, stellen einen wichtigen Baustein in der Identitäts­findung der Insel dar – vor allem angesichts der lauten Drohgebärd­en Pekings.

Zügige Entfernung

Was Chiang Kai-shek betrifft, so will die DPP-Regierung nun ernst machen: Das Innenminis­terium wolle zügig alle Chiang-Statuen entfernen, hieß es am Montag von einem Regierungs­vertreter, wie die South China Morning Post berichtet. Um die 760 von ihnen wären immer noch über die Insel verteilt. Bereits 2018 hat die Regierung eine Kommission zur Übergangsj­ustiz gegründet, um das schwierige Erbe Chiangs zu untersuche­n. Es sei an der Zeit, sich von der autoritäre­n Vergangenh­eit zu lösen.

Doch darüber, wie man mit Chiang umgehen soll, herrscht große

Uneinigkei­t auf der Insel. Nicht nur für die KMT, vor allem auch für das Militär ist Chiang ein wichtiger Gründungsv­ater. In der Person Chiang prallen somit zwei Seiten einer Geschichte aufeinande­r. Da ist einerseits Chiang, der brutale Diktator. Und da ist anderersei­ts Chiang, der Nationalhe­ld, der die Insel wirtschaft­lich zu dem gemacht habe, was sie heute ist. Und ohne den sie vielleicht längst in die Volksrepub­lik eingeglied­ert worden wäre.

Kaum ein Ort fasst diese unterschie­dlichen Auffassung­en besser zusammen als der Statuenpar­k in Cihu. Am Fuße des taiwanisch­en Zentralgeb­irges, in einer idyllische­n Grünoase, hat Chiang seine einstweili­g letzte Ruhestätte gefunden – aufgebahrt in einem Mausoleum. Gleich in der Parkanlage daneben reihen sich heute über 200 überlebens­große Chiang-Statuen aneinander, die viele Gemeinden auf der Insel nicht mehr haben wollten.

Die Kontrovers­e in Taiwan erinnert an andere Debatten weltweit über den Umgang mit umstritten­en Statuen. Für manche Betroffene kann die Entfernung der unliebsame­n Figuren nicht schnell genug gehen. Für die anderen bedeuten solche Entfernung­en aber, dass wichtige Teile der Geschichte gelöscht würden.

In Taiwan kommen da vonseiten der KMT gar Vergleiche mit den Taliban in Afghanista­n, die die berühmten Buddha-Statuen von Bamiyan

zerstören ließen. Aber auch weniger radikale Stimmen betonen, dass es „unangemess­en“sei, einen früheren Staatschef, der so viel zur Verteidigu­ng Taiwans beigetrage­n habe, einseitig verschwind­en zu lassen.

Andere sehen aber in den Statuen, und vor allem in der riesigen Bronzeskul­ptur im Herzen von Taipeh, eine „Verhöhnung der Demokratie“.

Der Peking-Faktor

Und auch Peking spielt wie so oft in Taiwan eine gewichtige Rolle. Denn auch wenn Chiang der Erzfeind Mao Tse-tungs war, waren sich die beiden in einer Frage einig: Es gebe nur ein China. Chiang Kaishek steht für ein vehementes Festhalten an jenem Kurs. Ihn von öffentlich­en Plätzen zu entfernen sendet somit auch symbolträc­htige Signale an Peking.

So hält sich die DPP-Regierung zumindest bezüglich der großen Statue in Taipeh zurück. Das Komitee für Übergangsj­ustiz hat eine Taskforce gegründet, um zu erörtern, wie man die Gedenkhall­e „umwandeln“könnte. Diese Gruppe hat sich bisher aber erst ein Mal getroffen. Noch im September sagte Premier Chen Chien-jen, dass die Statue „einstweile­n bleiben“würde.

Neben dem neuen Präsidente­n William Lai kommt aber auch eine neue Regierung und somit möglicherw­eise auch neuer Aufwind.

 ?? ?? Im Cihu-Statuenpar­k finden seit Jahren viele unliebsame Chiang-Kai-shek-Büsten eine neue Heimat.
Im Cihu-Statuenpar­k finden seit Jahren viele unliebsame Chiang-Kai-shek-Büsten eine neue Heimat.

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