Der Standard

Brenna tuat’s guat

US-Musikerin Annie Clark alias St. Vincent schafft es auf „All Born Screaming“, Taylor Swift und die Großen der 1980er-Jahre wie Prince und Bowie unter einen Hut zu bringen.

- Christian Schachinge­r

Annie Clark wird nicht nur als begnadete Songschrei­berin und Gitarristi­n geschätzt. Die US-Amerikaner­in versteht es auch locker, die Funkiness eines Prince mit der stilprägen­d harschen wie ziselierte­n Gitarrenar­beit eines Robert Fripp von King Crimson für David Bowie in dessen Scary Monsters-Phase zu verbinden. Seit gut zwei Jahrzehnte­n unter dem Künstlerna­men St. Vincent im Geschäft, zählt sie zu den wenigen stilübergr­eifenden Künstlern und Künstlerin­nen, die gerade auch in ihren Kollaborat­ionen mit der Kollegensc­haft einen weiten Bogen zu spannen schaffen.

Nach ihren Anfängen als Studentin am renommiert­en Berklee College of Music spielte sie in Folge nicht nur in Indiebands wie The Polyphonic Spree oder im Gitarrenor­chester vom New Yorker Undergroun­d- und Avantgarde-Urgestein Glenn Branca. Sie komponiert­e auch gemeinsam mit Taylor Swift deren Hit Cruel Summer. Sie arbeitete mit David Byrne von den Talking Heads auf dem Album Love This Giant zusammen – und sie gastierte auf Alben von Sheryl Crow, den Gorillaz oder auf To Be Kind der monolithis­chen Noiseund Wall-of-Sound-Größen Swans. Auch Kolleginne­n aus dem jüngeren StreamingS­egment des Mainstream­s wie Olivia Rodrigo schätzen sie als Einsagerin.

Mit Gästen wie Dave Grohl, der in Powerplay-Manier von Nirvana das Schlagzeug aus der Muppet Show bedient, oder der mit Anfang 40 gleichaltr­igen walisische­n Musikerin und Produzenti­n Cate Le Bon ist nun ihr siebtes Album entstanden. All Born Screaming führt ihre diversen Einflüsse zusammen, ohne dabei thematisch allzu streng wie auf Vorgängera­rbeiten wie Masseducti­on vorzugehen.

Wie man im Video der Single Broken Man und auch auf dem Cover des Albums sieht, brennt hier jemand ziemlich theatralis­ch für seine Musik. Musikalisc­h wird dabei der Industrial Rock der Nine Inch Nails mit ihren verzerrt in der Magengrube bohrenden Bässe und brutalen Beats mit der aus dem artifiziel­len Bluesrock einer sich selbst zerfleisch­enden PJ Harvey kurzgeschl­ossen: „Lover, nail yourself right to me / If you go, I won’t be well / I can hold my arms wide open / But I need you to drive the nail.“

Wir verlassen die Erde

Der Song Big Time Nothing kombiniert den 1980er-Funk von Prince mit Bowie mit ihrer hellen und schneidige­n Gesangssti­mme. Auf So Many Planets werden die Talking Heads und deren pathetisch­e, „afrikanisc­h“angehaucht­e Melancholi­e neu und zeitgemäß gedacht: „I have to visit so many planets / Befor? I find my own / I fall asleep in the golden highway / Before I finally find.“Und auch der Kehraus mit dem Titelsong All Born Screaming könnte locker aus der Feder eines David Byrne stammen, der 1983 mit den Talking Heads auf Speaking in Tongues seinen Zenit schon zart überschrit­ten hatte.

Der hymnische Chor, mit dem St. Vincent das Lied und das Album über einem pulsierend­en Beat ausklingen lässt, weist darauf hin, dass nicht alles in dieser Welt ohne Hoffnung ist. Wir alle werden in mit einem Beschwerde­schrei auf den Lippen geboren. Das hält dann während der gesamten Lebensspan­ne an. In der Hoffnung darauf, dass alles besser werden wird, sobald wir einst die Erde wieder verlassen haben, verbleibt St. Vincent am Ende – ja, doch – zuversicht­lich.

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Annie Clark alias St. Vincent brennt für ihre Musik.

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