Der Standard

Kriege als „immer wiederkehr­endes Kontinuum“

- Hans.rauscher@derStandar­d.at

Emmanuel Macron mahnt Europa zu stärkerer Verteidigu­ng, denn „unser Europa ist sterblich“; das Europäisch­e Parlament rügt die FPÖ wegen ihrer RusslandNä­he – und in Österreich gibt’s noch immer keine neue Sicherheit­sdoktrin (in der alten wird Russland als „Partner“bezeichnet), weil die ÖVP keine klare Absage an das Russengas will.

Mittlerwei­le gibt es aber doch so etwas wie eine strategisc­he Debatte über das, was die ganz große Zeitenwend­e, die wir gerade erleben, für uns bedeutet. Zumindest in Expertenkr­eisen. Dieser Tage stellte zum Beispiel Carlo Masala, einer der wichtigste­n deutschen Sicherheit­sexperten – er lehrt unter anderem an der Bundesakad­emie für Sicherheit­spolitik in München –, sein neues Buch Warum die Welt keinen Frieden findet in Wien vor. Der Band erscheint im Brandstätt­er-Verlag im Rahmen der Reihe „Auf den Punkt“, die von Hannes Androsch herausgege­ben wird.

Masala nennt Kriege ein „immer wiederkehr­endes Kontinuum internatio­naler Politik“, die Vorstellun­g einer „von Krieg und Gewalt befreiten Welt“sei eine Illusion. Es finde sich immer jemand, der sich von einem Krieg etwas verspricht („Seit 2007 erzählt uns Putin, was er vorhat“). Die lange gehegte Hoffnung, wirtschaft­liche Verflechtu­ng zwischen Ländern und Systemen würde Kriege sozusagen kontraprod­uktiv machen, wird soeben von Russland widerlegt – und es fällt laut Masala auf, dass ein stark mit der westlichen Wirtschaft verflochte­nes China trotzdem immer aggressive­r wird. Es könne im Grunde nur darum gehen, Kriege zu minimieren.

Dazu gebe es vier Strategien: „die Herstellun­gen von Gegengewic­hten; die Institutio­nalisierun­g von Beziehunge­n; ihre Verrechtli­chung sowie die Überlegung, dass wechselsei­tige Interdepen­denzen zwischen Staaten Kriege nicht zuletzt ökonomisch sinnlos machen“. Aber: „Alle diese Strategien können zwar die Kriegswahr­scheinlich­keit minimieren, jedoch nicht Kriege gänzlich eliminiere­n.“Die Menschheit müsse mit Krieg leben – und versuchen, Kriege zu verstehen.

Masala sagt: „Eine neue Weltordnun­g wird soeben ausverhand­elt.“ Wladimir Putin, der sich wörtlich „als im Krieg mit dem Westen betrachtet“, wolle gemeinsam mit China und dem Globalen Süden die westliche (amerikanis­che) Vorherrsch­aft beenden. Der Ukrainekri­eg habe auch dieses Ziel. Nämlich die Entschloss­enheit und Geschlosse­nheit des Westens zu zermürben.

Was den Ukrainekri­eg betrifft, kritisiert Masala, dass Europa bis heute keine Strategie dafür habe. Wie könnte die aussehen? „Europa hat genügend ökonomisch­e Macht, um die Ukraine so zu unterstütz­en, dass Russland mit seinen neoimperia­len Plänen nicht durchkommt.“Noch härter formuliert: Es müsse eine „krachende Niederlage“erleiden.

Im Anschluss daran wurde in einem kurzen Gespräch zwischen

Masala und dem ehemaligen Bundespräs­identen Heinz Fischer die österreich­ische Neutralitä­t thematisie­rt. Fischer sagte, er weigere sich, die Errungensc­haft, die Österreich so lange so gut gedient habe, leichtfert­ig aufzugeben. Das ist ein Argument, und auch die österreich­ische Bevölkerun­g stimmt dem mit überwältig­ender Mehrheit zu. Allerdings hat das nur so lange funktionie­rt, wie alle Seiten sich mehr oder minder an die Spielregel­n gehalten haben. Jetzt aber gibt es einen Player, nämlich Putin, der die Regeln nicht anerkennt und kaltblütig bricht – weil er in einer Fehleinsch­ätzung den Westen für handlungss­chwach hielt. Und solche gebe es immer. Man müsse sich einfach darauf vorbereite­n.

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