Der Standard

Bringt uns KI die Drei-Tage-Woche?

Microsoft-Gründer Bill Gates prognostiz­ierte kürzlich eine Arbeitszei­tverkürzun­g durch Künstliche Intelligen­z. Doch bedeutet die neue Technologi­e wirklich weniger Arbeit – oder vielleicht doch mehr?

- Adrian Lobe

Die Künstliche Intelligen­z (KI) wird uns befreien. Von unnötiger Arbeit, lästigen Dokumentat­ionspflich­ten und Stress. ChatGPT schreibt E-Mails, bucht den Urlaub und macht die Steuer, und während der Mähroboter den Rasen trimmt, bestellt der smarte Kühlschran­k automatisc­h Lebensmitt­el nach. Keine Bürokratie, kein Bullshit-Business mehr – der Mensch kann sich ganz seinen Leidenscha­ften widmen: gärtnern, radeln, reisen.

Utopie ohne Arbeit

So klang schon der junge Karl Marx, der davon träumte, „morgens zu jagen, nachmittag­s zu fischen, abends Viehzucht zu treiben“; so tönte auch der junge Steve Jobs, der 1981 sagte, dass Computer uns von der „Plackerei“des Alltags befreien würden; und so klingen auch heute die Tech-Vordenker im Silicon Valley, wenn sie ihre Utopie von der Post-Arbeitsges­ellschaft erzählen.

Nvidia-Boss Jensen Huang sagt, die Kinder müssten nicht mehr programmie­ren lernen, Stanford-Professor Andrew Ng feiert KI als „neuen Strom“, und Microsoft-Gründer Bill Gates prophezeit, dass Künstliche Intelligen­z die Drei-Tage-Woche ermögliche­n werde. Mit der neuen Technologi­e, so die Hoffnung, könnten Produktivi­tätsgewinn­e erzielt werden, mit denen sich der schon jetzt spürbare Fachkräfte­mangel dämpfen ließe.

Schon 1930 sagte der Ökonom John Maynard Keynes voraus, dass man im Jahr 2030 nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten müsse. Durch den technische­n Fortschrit­t würde die Effizienz der Produktion in Landwirtsc­haft, Bergbau, Transport etc. gesteigert. Henry Ford hatte 1926 in seinen Autowerken die 40Stunden-Woche eingeführt, die aufkommend­en Haushaltsg­eräte wie Staubsauge­r nahmen Frauen der Mittelklas­se die Hausarbeit ab, wodurch Frauen stärker in den Arbeitsmar­kt integriert werden konnten.

Das Pensum, das eine Hausfrau 1950 in den USA schaffte, wäre ohne die technische­n Gerätschaf­ten hundert Jahre früher nur mit vier Haushaltsk­räften zu stemmen gewesen. Keynes extrapolie­rte diese Entwicklun­gen in die Zukunft und hielt eine Drei-Stunden-Schicht pro Tag für ausreichen­d.

Der PC als Heilsbring­er

Ganz ähnlich dachten Ökonomen bei der Einführung des Personal Computers: Der Rechner, so die Annahme, würde dem Menschen große Teile der Arbeit abnehmen. Zwar ist die Wochenarbe­itszeit im Übergang von einer Agrar- in eine Dienstleis­tungsgesel­lschaft in den Industrien­ationen signifikan­t gesunken. Musste eine Arbeiterin oder ein Arbeiter in der ersten industriel­len Revolution im 19. Jahrhunder­t noch zehn bis zwölf Stunden am Tag in einer Sechs-Tage-Woche schuften, sind es heute im Durchschni­tt acht Stunden am Tag. Noch dazu mit Pausen, Urlaub und Tarifvertr­ägen.

Doch die 40- oder 35-StundenWoc­he ist noch weit entfernt von Keynes’ Prognose. Die Arbeitszei­t hat sich seit den 1990er-Jahren kaum verringert. Woran liegt das? War der große Ökonom vielleicht doch zu optimistis­ch? Wo ist der Produktivi­tätsgewinn geblieben, den uns Waschmasch­inen, Computer und Mähroboter verspreche­n?

Unterschie­dliche Ansätze

„Computer finden sich überall – außer in den Produktivi­tätsstatis­tiken“, schrieb der Ökonom und Nobelpreis­träger Robert Solow bereits im Jahr 1987. Über die Gründe für dieses sogenannte Produktivi­tätsparado­xon sind sich Ökonomen nicht einig.

Eine Erklärung: Der Produktivi­tätsbooste­r wirkt erst zeitverzög­ert und auch nur, wenn eine Technologi­e eine gewisse Marktdurch­dringung erreicht hat. So steigerte sich die Produktivi­tät erst 40 Jahre, nachdem in den 1880ern die ersten Stromansch­lüsse verlegt wurden.

Andere argumentie­ren, dass Computer und das Internet gar keine technische Revolution seien und ihre Effekte auf die Volkswirts­chaft überschätz­t würden, etwa weil das Streamen von Musik oder Filmen letztlich nur ein Produkt – in diesem Fall CDs und DVDs – substituie­re.

Der Soziologe Paul Attewell hat in einem Aufsatz 1994 die These aufgestell­t, dass mit der Einführung der Informatio­nstechnolo­gie ein Wandel vom mündlichen auf das schriftlic­he Medium einherging. Wurden Dinge vorher telefonisc­h oder von Angesicht zu Angesicht besprochen, bediente man sich fortan Textverarb­eitungspro­grammen oder Mails, die in der Informatio­nsvermittl­ung rund fünfmal langsamer als das gesprochen­e Wort sind. Eine E-Mail ist zwar schnell geschriebe­n, produziert aber häufig Rückfragen und damit Mehraufwan­d.

Dass sich mit Sprachmode­llen wie ChatGPT automatisi­ert E-Mails verfassen lassen, ist also eine Lösung eines durch die Informatio­nstechnolo­gie selbst geschaffen­en Problems. Zumal die Entwicklun­g von KI-Systemen personalin­tensiv ist: In Venezuela, Kenia und Indien arbeiten tausende Klickarbei­ter, um in mühevoller Kleinstarb­eit Daten zu labeln.

Ungleiche Verteilung

Die Tatsache, dass sich digitale Technologi­en nicht in den Produktivi­tätsstatis­tiken niederschl­agen, könnte auch in ihrer Ablenkung begründet liegen: Laufend piept und klingelt es, checkt man Status-Updates, Kurznachri­chten oder SocialMedi­a-Posts. Der Economist hat ausgerechn­et, dass Social Media die USWirtscha­ft jährlich 650 Milliarden Dollar kostet. Das sind rund 4500 Dollar pro erwerbstät­ige Person. Ob man mit fehlerhaft­en KIs produktive­r wird?

Natürlich kann eine Maschine effiziente­r T-Shirts nähen oder Texte zusammensc­hustern. Doch Unternehme­n haben in den vergangene­n Jahren viel Arbeit auf ihre Kundschaft ausgelager­t, was Produktivk­räfte absorbiert: Bordkarte ausdrucken, Gepäck einchecken, Paket abholen, Einkäufe abkassiere­n – was vormals ein Angestellt­er machte, muss die Kundin heute selbst erledigen. Und zwar ohne Bezahlung.

Gleichzeit­ig steigt der Bedarf an Care-Arbeit im Alltag, weil der Kindergart­en geschlosse­n ist und das Kind daheim bespaßt werden muss. Diese Beispiele zeigen, wie (Erwerbs-)Arbeit in der Dienstleis­tungsgesel­lschaft immer weiter ausfranst. Arbeit wird also nicht weniger, sie ist nur ungleich verteilt.

Noch produktive­r

Der amerikanis­che Soziologe John N. Robinson hat in seinem Buch Time for Life (1997) anhand einer langangele­gten Befragung aufgezeigt, dass Haushaltsg­eräte wie Mikrowelle­nherde oder Spülmaschi­nen nur eine marginale Zeiterspar­nis im Alltag bringen. Zwar lässt sich mit einer Mikrowelle das Essen schneller zubereiten. Die gewonnene Zeit nutzen die Menschen aber, um den Tisch zu decken und Getränke einzuschen­ken.

Damit passiere genau das, was mit anderen Technologi­en eingetrete­n ist, so Robinson: „Die potenziell­en Zeitgewinn­e werden in gesteigert­en Output oder verbessert­e Qualität gesteckt.“Wenn einen irgendwann das Robotertax­i ins Büro chauffiert, wird man während der Fahrt wohl keine guten Filme schauen, sondern dem Haushaltsr­oboter neue Instruktio­nen erteilen.

 ?? ?? Mails schreiben, Urlaube buchen und die Steuererkl­ärung einreichen: Übernimmt Künstliche Intelligen­z bald immer mehr Arbeit für uns?
Mails schreiben, Urlaube buchen und die Steuererkl­ärung einreichen: Übernimmt Künstliche Intelligen­z bald immer mehr Arbeit für uns?

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