Der Standard

Innsbrucks Caprese-Koalition formiert sich

Schon der Wahlabend in Innsbruck gab einen Vorgeschma­ck darauf, was dort wohl bald kommt: eine Koalition der Liste von Sieger Johannes Anzengrube­r mit Grün und Rot. Auch für den Bund gibt es eine Erkenntnis.

- Martin Tschiderer

Es ist nicht gerade das natürliche Habitat des bürgerlich­en Innsbruck. Wer es nicht schon wusste, erfährt es spätestens am Eingang. „Bitte keinen schwarzen Bürgermeis­ter“, steht da in großen Lettern. Und nicht nur dort – damit es auch der Letzte versteht: Hier, im Treibhaus, ist nicht der Platz des konservati­ven Innsbruck. Nicht für Schützenve­reine und Trachtenja­nker. Und nicht für einen schwarzen Bürgermeis­ter.

Trotzdem gibt es den jetzt. Zumindest quasi. Und wo feiert der neue, quasi-schwarze Stadtchef seine Wahlkampfp­arty? Im Treibhaus, Innsbrucks Subkultur-Institutio­n schlechthi­n. Wo seit mehr als vier Jahrzehnte­n große Jazzer, heimische Kabarettis­tinnen und die linksliber­ale Studentens­zene ein und aus gehen – aber eher nicht das klassische Unterstütz­ermilieu vom in der Stichwahl am Sonntag zum Stadtchef gewählten Johannes Anzengrube­r, der bis vor kurzem noch ÖVP-Mitglied war. Wie also das?

Gefinkelte Idee

„Anzengrube­r hat mich angerufen und gefragt, ob er hier feiern kann“, sagt Treibhaus-Leiter Norbert Pleifer dem STANDARD. „Da habe ich zuerst einmal geschluckt.“Dann aber sei ihm die Idee gekommen: Er kontaktier­te auch die grünen Stichwahlg­egner und lud zur Wahlparty ins Treibhaus. „Wer gewinnt, kann oben im Turm feiern. Wer verliert, muss in den Keller.“

Das Team Anzengrube­r wollte aber auch als Wahlsieger lieber das Untergesch­oß. Das ist größer, und man kann besser tanzen. So kam es, dass sich am Sonntagabe­nd so manch älterer Herr in Lodenweste der Polonaise durch den Keller der Kultureinr­ichtung anschloss, in der er vorher noch nie war. Denn das Treibhaus ist zwar mitten im Altstadtze­ntrum. Aber „manche haben heute trotzdem Google Maps gebraucht, um herzufinde­n“, wie es eine Unterstütz­erin des unterlegen­en Georg Willi formuliert.

Der Grüne verlor am Sonntag zwar nach sechs Jahren und nur einer Amtszeit am Inn den Bürgermeis­tersessel. Aber er gewann die Sicherheit, dass an dem, was er schon nach dem ersten Wahlgang gewollt hatte, kaum noch ein Weg vorbeiführ­t: einer „Caprese-Koalition“aus Grünen, SPÖ und Anzengrube­rs Liste Ja – Jetzt Innsbruck. Wenn auch mit Anzengrube­r statt Willi als Stadtchef. Denn ein paar simple Rechenspie­le in Kombinatio­n mit politische­n Festlegung­en ergaben schon vor der Bürgermeis­terstichwa­hl: Außer der Kombinatio­n Caprese ist nur noch wenig realistisc­h. Für die nötige Mehrheit von 21 der 40 Mandate hätte Anzengrube­r auch versuchen können, eine Mitte-rechts-Koalition mit der FPÖ und Florian Turskys unter dem Tarnnamen Das neue Innsbruck fungierend­er ÖVP-Liste aufzustell­en. Deren 19 Mandate wären aber um zwei zu wenig. Und die kleine Liste Fritz, ein Volksparte­i-Spin-off mit zwei Mandaten, hat als Mehrheitsb­eschafferi­n abgewunken.

Der Ende des Vorjahres aus der ÖVP ausgeschlo­ssene Anzengrube­r hatte zwar stets gebetsmühl­enartig betont, Gespräche mit allen zu führen. Aber den kombiniert­en Gesetzen von Mathematik und Realpoliti­k dürfte auch der einstige Hüttenwirt nur schwer entkommen können. Offiziell führt Anzengrube­r seit Montag Sondierung­sgespräche mit allen Gemeindera­tsfraktion­en – unter Ausschluss der Öffentlich­keit. Erst nach Abschluss der Sondierung­en und wenn bis Ende der Woche eine Entscheidu­ng über konkrete Koalitions­verhandlun­gen gefallen ist, werde man dazu kommunizie­ren, hieß es von der Liste Ja.

Grün-Weiß-Rot tanzt

Das, was sich am Sonntagabe­nd scheinbar aus dem nichts im Treibhaus zutrug, dürfte ihm dabei nicht helfen: Anzengrube­r erklomm gerade die Bühne, um sich von seinen Anhängern als neuer Bürgermeis­ter feiern zu lassen, als Willi frisch auf Kurzbesuch hineinschn­eite. Offenbar spontan bestieg auch der Grünen-Politiker die Bühne – und mit ihm SPÖ-Frontfrau Elisabeth Mayr.

Während Anzengrube­r und seine Unterstütz­er kaum wussten, wie ihnen geschah, folgten minutenlan­ge Reden der politische­n Kontrahent­en. Dass die Partycrash­er in Grün und Rot bald wieder gingen, spielte schon keine Rolle mehr: Die Bilder der möglichen Caprese-Koalitionä­re auf der Bühne von Anzengrube­rs Party hatten sich da schon schneller verbreitet als das Coronaviru­s in einer Ischgler Après-Ski-Bar. Und später tanzten die drei im TreibhausT­urm auch noch gemeinsam Sirtaki.

Watsche für Regierende

Und was sagt das alles über die Bundespoli­tik aus? Zunächst nicht rasend viel. Ließen sich aus dem ersten Durchgang der Kommunalwa­hl noch für ganz Österreich relevante Trends wie das neuerliche Scheitern der Neos oder die Etablierun­g der KPÖ herauslese­n, ist die Stichwahl zwischen zwei sehr Inn-zentrierte­n Kandidaten vor allem eines: ein Innsbruck-Phänomen. Eine überregion­ale Erkenntnis bleibt aber doch: Das Ergebnis ist eine spürbare Watsche für beide Regierungs­parteien.

Die Grünen, nach mäßig erfolgreic­her Regierungs­beteiligun­g im Bund nicht gerade Umfragekai­ser, verlieren ihren ersten und einzigen Bürgermeis­ter einer Landeshaup­tstadt. Und das nach nur einer Amtszeit des einst großen Hoffnungst­rägers Willi. Das hat in einem ohnehin schwierige­n Superwahlj­ahr mindestens Symbolkraf­t.

Die wahre Klatsche ist die Entscheidu­ng aber für die ÖVP. Nach der verbreitet­en Unzufriede­nheit mit Willis turbulente­r Amtszeit wäre die Rückerober­ung des seit jeher konservati­v geprägten Innsbruck fast eine „gmahde Wiesn“gewesen. Jetzt ist tatsächlic­h wieder ein Bürgerlich­er Stadtchef am Inn. Aber nachdem die ÖVP ihn abgesägt hat, trägt der Bürgermeis­ter nun weder ein türkises noch ein schwarzes Mascherl. Ein verheerend­es Signal für die kriselnde Volksparte­i, die ein Erfolgserl­ebnis dringend gebraucht hätte.

 ?? ?? Starteten bei der Wahlparty indirekt die Koalitions­verhandlun­gen: der neue Bürgermeis­ter Johannes Anzengrube­r (re.), der scheidende Stadtchef Georg Willi von den Grünen und SPÖ-Frontfrau Elisabeth Mayer.
Starteten bei der Wahlparty indirekt die Koalitions­verhandlun­gen: der neue Bürgermeis­ter Johannes Anzengrube­r (re.), der scheidende Stadtchef Georg Willi von den Grünen und SPÖ-Frontfrau Elisabeth Mayer.

Newspapers in German

Newspapers from Austria