Innsbrucks Caprese-Koalition formiert sich
Schon der Wahlabend in Innsbruck gab einen Vorgeschmack darauf, was dort wohl bald kommt: eine Koalition der Liste von Sieger Johannes Anzengruber mit Grün und Rot. Auch für den Bund gibt es eine Erkenntnis.
Es ist nicht gerade das natürliche Habitat des bürgerlichen Innsbruck. Wer es nicht schon wusste, erfährt es spätestens am Eingang. „Bitte keinen schwarzen Bürgermeister“, steht da in großen Lettern. Und nicht nur dort – damit es auch der Letzte versteht: Hier, im Treibhaus, ist nicht der Platz des konservativen Innsbruck. Nicht für Schützenvereine und Trachtenjanker. Und nicht für einen schwarzen Bürgermeister.
Trotzdem gibt es den jetzt. Zumindest quasi. Und wo feiert der neue, quasi-schwarze Stadtchef seine Wahlkampfparty? Im Treibhaus, Innsbrucks Subkultur-Institution schlechthin. Wo seit mehr als vier Jahrzehnten große Jazzer, heimische Kabarettistinnen und die linksliberale Studentenszene ein und aus gehen – aber eher nicht das klassische Unterstützermilieu vom in der Stichwahl am Sonntag zum Stadtchef gewählten Johannes Anzengruber, der bis vor kurzem noch ÖVP-Mitglied war. Wie also das?
Gefinkelte Idee
„Anzengruber hat mich angerufen und gefragt, ob er hier feiern kann“, sagt Treibhaus-Leiter Norbert Pleifer dem STANDARD. „Da habe ich zuerst einmal geschluckt.“Dann aber sei ihm die Idee gekommen: Er kontaktierte auch die grünen Stichwahlgegner und lud zur Wahlparty ins Treibhaus. „Wer gewinnt, kann oben im Turm feiern. Wer verliert, muss in den Keller.“
Das Team Anzengruber wollte aber auch als Wahlsieger lieber das Untergeschoß. Das ist größer, und man kann besser tanzen. So kam es, dass sich am Sonntagabend so manch älterer Herr in Lodenweste der Polonaise durch den Keller der Kultureinrichtung anschloss, in der er vorher noch nie war. Denn das Treibhaus ist zwar mitten im Altstadtzentrum. Aber „manche haben heute trotzdem Google Maps gebraucht, um herzufinden“, wie es eine Unterstützerin des unterlegenen Georg Willi formuliert.
Der Grüne verlor am Sonntag zwar nach sechs Jahren und nur einer Amtszeit am Inn den Bürgermeistersessel. Aber er gewann die Sicherheit, dass an dem, was er schon nach dem ersten Wahlgang gewollt hatte, kaum noch ein Weg vorbeiführt: einer „Caprese-Koalition“aus Grünen, SPÖ und Anzengrubers Liste Ja – Jetzt Innsbruck. Wenn auch mit Anzengruber statt Willi als Stadtchef. Denn ein paar simple Rechenspiele in Kombination mit politischen Festlegungen ergaben schon vor der Bürgermeisterstichwahl: Außer der Kombination Caprese ist nur noch wenig realistisch. Für die nötige Mehrheit von 21 der 40 Mandate hätte Anzengruber auch versuchen können, eine Mitte-rechts-Koalition mit der FPÖ und Florian Turskys unter dem Tarnnamen Das neue Innsbruck fungierender ÖVP-Liste aufzustellen. Deren 19 Mandate wären aber um zwei zu wenig. Und die kleine Liste Fritz, ein Volkspartei-Spin-off mit zwei Mandaten, hat als Mehrheitsbeschafferin abgewunken.
Der Ende des Vorjahres aus der ÖVP ausgeschlossene Anzengruber hatte zwar stets gebetsmühlenartig betont, Gespräche mit allen zu führen. Aber den kombinierten Gesetzen von Mathematik und Realpolitik dürfte auch der einstige Hüttenwirt nur schwer entkommen können. Offiziell führt Anzengruber seit Montag Sondierungsgespräche mit allen Gemeinderatsfraktionen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Erst nach Abschluss der Sondierungen und wenn bis Ende der Woche eine Entscheidung über konkrete Koalitionsverhandlungen gefallen ist, werde man dazu kommunizieren, hieß es von der Liste Ja.
Grün-Weiß-Rot tanzt
Das, was sich am Sonntagabend scheinbar aus dem nichts im Treibhaus zutrug, dürfte ihm dabei nicht helfen: Anzengruber erklomm gerade die Bühne, um sich von seinen Anhängern als neuer Bürgermeister feiern zu lassen, als Willi frisch auf Kurzbesuch hineinschneite. Offenbar spontan bestieg auch der Grünen-Politiker die Bühne – und mit ihm SPÖ-Frontfrau Elisabeth Mayr.
Während Anzengruber und seine Unterstützer kaum wussten, wie ihnen geschah, folgten minutenlange Reden der politischen Kontrahenten. Dass die Partycrasher in Grün und Rot bald wieder gingen, spielte schon keine Rolle mehr: Die Bilder der möglichen Caprese-Koalitionäre auf der Bühne von Anzengrubers Party hatten sich da schon schneller verbreitet als das Coronavirus in einer Ischgler Après-Ski-Bar. Und später tanzten die drei im TreibhausTurm auch noch gemeinsam Sirtaki.
Watsche für Regierende
Und was sagt das alles über die Bundespolitik aus? Zunächst nicht rasend viel. Ließen sich aus dem ersten Durchgang der Kommunalwahl noch für ganz Österreich relevante Trends wie das neuerliche Scheitern der Neos oder die Etablierung der KPÖ herauslesen, ist die Stichwahl zwischen zwei sehr Inn-zentrierten Kandidaten vor allem eines: ein Innsbruck-Phänomen. Eine überregionale Erkenntnis bleibt aber doch: Das Ergebnis ist eine spürbare Watsche für beide Regierungsparteien.
Die Grünen, nach mäßig erfolgreicher Regierungsbeteiligung im Bund nicht gerade Umfragekaiser, verlieren ihren ersten und einzigen Bürgermeister einer Landeshauptstadt. Und das nach nur einer Amtszeit des einst großen Hoffnungsträgers Willi. Das hat in einem ohnehin schwierigen Superwahljahr mindestens Symbolkraft.
Die wahre Klatsche ist die Entscheidung aber für die ÖVP. Nach der verbreiteten Unzufriedenheit mit Willis turbulenter Amtszeit wäre die Rückeroberung des seit jeher konservativ geprägten Innsbruck fast eine „gmahde Wiesn“gewesen. Jetzt ist tatsächlich wieder ein Bürgerlicher Stadtchef am Inn. Aber nachdem die ÖVP ihn abgesägt hat, trägt der Bürgermeister nun weder ein türkises noch ein schwarzes Mascherl. Ein verheerendes Signal für die kriselnde Volkspartei, die ein Erfolgserlebnis dringend gebraucht hätte.