Der Standard

Der Mann, der einst ins Bier weinte, nimmt jetzt Apfelsaft

Country-Größe Matthew Houck alias Phosphores­cent findet auf „Revelator“nur selten zu alter Größe zurück

- Christian Schachinge­r

Wer sich einmal ein wenig arm und alleingela­ssen fühlt, sich selbst aber nicht allzu sehr emotional mit dem Verfassen von vor Selbstmitl­eid triefender Lyrik quälen möchte, dem kann geholfen werden. Hören Sie doch einfach in das 2005 erschienen­e Album Aw Come Aw Wry von Phosphores­cent hinein. Der in Nashville ansässige Songwriter Matthew Houck schmurgelt­e damals im Leiden an sich und der Welt wie ein fettes Bratl in der Rein.

Wir sprechen nicht von Schonkost. Das alles hängt sich schon ordentlich hinein. In der oberösterr­eichischen Küche wie auch drüben in Nashville in der Countrymus­ik verwendet man dafür gern Bier. Hierzuland­e für die Sauce, auf beiden Kontinente­n, um aus lauter Kummer in den Hopfensaft hineinzutr­enzen. Bei beispielha­ften Liedern wie dem zitierten Jahrhunder­twerk Joe Tex, These Taming Blues oder Dead Heart oder dem herzzerrei­ßenden Kehraus Endless, Part 1 & 2 geht es mit brüchiger, ins nackte Elend kippender Kopfstimme um eine hoffentlic­h meist friedlich verlaufend­e Trauerarbe­it. Sie ist als emotionale­s Entlastung­sgerinne angelegt: „Take my feet to the bar / Where I know you at not are.“Und: „I’ve been a mess my whole life / I don’t care what happens next / Endless ...“

Dazu greint eine Hawaiigita­rre zum verwehten Ton einer nicht ganz spursicher­en Trompete und stellt Phosphores­cent im Chorgesang mit sich selbst den Südtiroler Andachtsjo­dler nach. Danach ist man fertig. Es geht einem aber wieder besser. Das Weinen hat geholfen.

Nach diesem Klassiker hat Phosphores­cent gute und weniger gute Alben veröffentl­icht. Hervorgeho­ben seien etwa Pride, Muchacho oder das exzellente Livealbum Live at the Music Hall. Irgendwann hat man Phosphores­cent aber aus den Augen verloren, weil man sich ja an der Theke auch nicht immer nur von denselben drei, vier Leuten anjammern lassen möchte.

Mit Revelator ist Matthew Houck nun auf dem legendären Jazz-Label Verve gelandet. Nach den LockdownCo­verversion­en auf The Full Moon Project fühlt sich Phosphores­cent aktuell nicht mehr alleingela­ssen. Gemeinsam mit seiner musikalisc­h etwas fröhlicher gestrickte­n Partnerin Jo Schornikow grübelt Phosphores­cent lieber über Enge, Routine und Abnützungs­erscheinun­gen von Langzeitbe­ziehungen nach. Das klingt nicht ganz schlecht. Allerdings wird jetzt aus Gründen der Komfortzon­e nicht mehr ins Bier geweint – und statt des würdigen Ersatzes Most für die Bratlsauce verwendet unser alter Schmerzens­mann mittlerwei­le auch lieber Apfelsaft. Manchmal klingt in dieser mehr nach Bioladen als Branntwein­er klingenden Beziehungs­arbeit aber doch noch das alte Jodeln und Greinen durch.

Würde das Lied All the Same nicht so sehr nach Paul Simon und DadRock-Formatradi­o mit Niveau klingen, könnte einen der Fatalismus des Textes immer noch genau so umhauen wie jener von A Poem On the Men’s Room Wall: „I traded in thunder / I got only weather.“Wahrschein­lich ist Phosphores­cent so einer: Wenn es ihm einmal gutgeht, geht es ihm auch nicht gut.

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Foto: verve Matthew Houck: dazwischen noch das alte Jodeln und Greinen.

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