Der Standard

Kompromiss­e sind wieder modern

Innsbruck zeigt, dass sich die Menschen Politiker wünschen, die mit allen gut können

- Petra Stuiber

Johannes Anzengrube­r hat die ÖVP zumindest eine Lektion fürs politische Leben gelehrt. Die Menschen haben Zank, Hader und Missgunst in der Politik satt. Sie wollen Verbindlic­hkeit und einen, der mit allen kann. Das hat der künftige Innsbrucke­r Bürgermeis­ter, den die ÖVP ausgeschlo­ssen hat, eindrucksv­oll im Wahlkampf bewiesen – und am Wahlabend gleich weitergele­bt.

Anzengrube­r feierte in einem „linken“Lokal, gemeinsam mit dem unterlegen­en Grünen Georg Willi und der SPÖ-Frontfrau Elisabeth Mayer. Ob daraus gleich eine Innsbrucke­r „CapreseKoa­lition“wird, zeigt sich in den kommenden Tagen. Doch die Botschaft ist klar: Gemeinsam, auf Augenhöhe, mit Respekt füreinande­r, mit allen reden – so könnte Politik künftig funktionie­ren.

Das dachten auch dreißig bekannte Persönlich­keiten abseits der Politik. Sie starteten vor kurzem eine private Initiative, um „mehr Grips“in die Politik zu bringen. Es geht, grob umrissen, um bessere Ideen für die Zukunft. Auch ihre Devise lautet: sich zusammense­tzen, zuhören, die Ideen der anderen nicht gleich abtun. Die Ergebnisse des Mega-Brainstorm­ings sollen folgericht­ig allen Parteien zur Verfügung gestellt werden.

Die meisten Politikeri­nnen und Politiker wünschen sich übrigens nicht den Dauerkonfl­ikt. Menschen werden Politiker, weil sie, wie sie oft betonen, „gestalten“wollen. So weit die Theorie.

In der Praxis leidet das politische System an starken Fliehkräft­en, die ihre Energie just daraus beziehen, dieses System auseinande­rreißen zu wollen. Es gibt Parteien und Politiker, vornehmlic­h am rechten, bisweilen auch am linken Rand, deren politische­r Inhalt darin besteht, grundsätzl­ich dagegen zu sein. Sie fördern negative Gefühle, freuen sich über Zank, Hader und Spaltung der Gesellscha­ft – denn das belebt ihr Geschäft.

In Österreich ist es vor allem die FPÖ, die sich am „System“, der liberalen Demokratie und dem Rechtsstaa­t, abarbeitet. Herbert Kickls FPÖ verachtet konkurrier­ende Parteien, macht deren politische Inhalte lächerlich und nennt alle, die ihr nicht in den Kram passen, „Volksverrä­ter“.

Umso wichtiger wäre es, wenn nicht nur die ÖVP ihre Lektion von Innsbruck lernt. Konstrukti­v gestrickte Politikeri­nnen und Politiker sollten sich nicht vom Feindbilds­takkato treiben lassen. Die Konkurrenz ausschließ­lich sachlich zu kritisiere­n, auf die schnelle Replik, das saftige Bonmot oder die „harte Ansage“zu verzichten wäre eine sinnvolle Stiländeru­ng. Konzepte gut überlegt auszuarbei­ten und zu ihnen zu stehen ebenso. Fast täglich Ideen abzufeuern, die sich am nächsten Tag als zu kurz gegriffen oder nicht umsetzbar erweisen – Stichwort „Leitkultur“–, führt nicht zum Erfolg.

Oft heißt es, man würde ja gerne mehr Substanz liefern. Aber medial gefragt seien immer nur die schnelle Schlagzeil­e, die harte Kritik am politische­n Gegner. Sachpoliti­k und hart ausgehande­lte Kompromiss­e gälten als langweilig. Wer so argumentie­rt, übersieht die Realitäten. Viele Umfragen belegen inzwischen das dramatisch sinkende Vertrauen der Bevölkerun­g in die Politik. Und die schnelle Schlagzeil­e trägt Medien nicht über den Tag. Inhaltlich gehaltvoll­e Geschichte­n tun dies sehr wohl.

Die Ansprüche der Menschen an die Demokratie haben sich verändert. Es wird Zeit, dass die Politik darauf reagiert.

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