Schwimmende Vielfalt
Um faszinierende Biodiversität zu finden, muss man nicht in die Tropen reisen. Den Beweis dafür liefert die Elritze, ein heimischer Fisch, der zu Recht eine beachtliche Fangemeinde hat und unter Fachleuten immer wieder für Staunen sorgt.
Die meisten Fische sehen für Laienaugen ziemlich ähnlich aus. Nichtsdestoweniger können sie sich in ihrem Erbgut deutlich voneinander unterscheiden, was es schwierig macht, sie eindeutig einer Art zuzuordnen. Am Naturhistorischen Museum (NHM) Wien haben Forscherinnen mithilfe der Öffentlichkeit Ordnung in die komplizierten Verhältnisse bei den Elritzen gebracht.
Eigentlich sollte der wissenschaftliche Name eines Lebewesens eindeutig sein: Der erste Teil gibt die Gattung an, der zweite die Art und damit die genauere Zuordnung. Die Bestimmung, wer wohin gehört, erfolgte lange Zeit aufgrund des Aussehens. Mit dem Aufkommen molekulargenetischer Methoden stellte sich jedoch heraus, dass auch Tiere, die sich sehr ähnlich sehen, genetisch verschieden sein können. Manchmal so sehr, dass das, was bisher als einzige Art galt, sich plötzlich als mehrere Arten herausstellen kann.
An den heimischen Fischen wurde diesbezüglich bis vor ein paar Jahren nicht allzu heftig geforscht, weil man eigentlich dachte, man wüsste schon viel, erklärt Anja Palandačić von der Fischsammlung des NHM. Sie leitet das seit 2022 laufende und vom Wissenschaftsministerium finanzierte Projekt „Kleine Fische ganz groß – Biodiversität der Elritze in Österreich“. Elritzen sind maximal 14 Zentimeter große Fische, die in kühlen, sauerstoffreichen Gewässern leben. Um auf dem Teller zu landen, sind sie zu klein, aber sie werden gerne als lebende Köder oder als Futter für andere Fische verwendet.
Nach dem Angeln wurden die noch übrigen Exemplare meist im jeweiligen Fluss oder See in die Freiheit entlassen, wobei sie teils sogar die Landesgrenzen überschritten. Das hat dazu geführt, dass Elritzen verschiedenster Herkunft kreuz und quer in Europa verbreitet sind. Da sie sich aber alle relativ ähnlich sehen, nahm man bis vor kurzem an, es handle sich überall um dieselbe Art mit lokal variierendem Aussehen, nämlich Phoxinus phoxinus, die Gewöhnliche Elritze.
Aufregung in Fachkreisen
Als sich 2015 mittels genetischer Untersuchungen am NHM herausstellte, dass es innerhalb dieser vermeintlichen Art massive Unterschiede im Erbgut gibt, war die Aufregung in Fachkreisen groß. Wie sich zeigte, bilden Elritzen einen Artenkomplex, also eine Ansammlung nahe verwandter, rein optisch nicht zuverlässig unterscheidbarer Arten. Nach heutigem Stand umfasst dieser Komplex 14 gültige Arten und mehrere genetische Linien, das heißt Gruppen, die deutliche genetische Unterschiede aufweisen, von denen aber noch nicht geklärt ist, ob sie als eigene Art eingestuft werden oder nicht.
Nach den vielen vom Menschen eingebrachten Exemplaren der Elritze stellte sich für die Forschenden die Frage, welche dieser Arten die ursprünglichen Bewohner der jeweiligen Gewässer sind. Die Beantwortung erfolgte mithilfe von Museumsstücken: Der Großteil der fremden Elritzen wurde nämlich erst nach 1950 ausgesetzt, und das Museum verfügt über Proben, die bis zu 200 Jahre alt sind. Palandačić und ihre Mitarbeiter verglichen daher DNA-Proben von alten und neueren Fischen aus ganz Österreich und fanden heraus, dass es hier insgesamt vier Elritzen-Arten gibt, nämlich neben Phoxinus phoxinus auch noch P. csikii, P. lumaireul und P. marsilii. Interessanterweise erwies sich, dass ausgerechnet P. phoxinus, die bisher als die einzige Elritzen-Art hierzulande galt, ein Neuzugang ist. Die anderen drei sind ursprünglich hier heimisch. Das ist auch für zukünftige Schutzprojekte wichtig zu wissen.
Schülerinnen mit Kescher
Die Proben der heutigen Fische erhielten die Wissenschafterinnen mithilfe von Citizen Science: Im Rahmen eines Sparkling-Science-Projekts rückten Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit Angehörigen der Landesfischereiverbände aus, um mit Keschern und Netzen Elritzen zu fangen. Die Mitarbeit der Fischer war dabei unerlässlich, denn nur sie verfügen über die nötigen Genehmigungen für den Fang. Mit Test-Kits, die so aussehen wie Corona-Tests und auch so ähnlich funktionieren, machten die Jugendlichen dann Abstriche von der Haut der Fische, ehe sie sie wieder ins Wasser entließen. Die Proben gingen ans NHM, wo die Artzugehörigkeit des jeweiligen Individuums bestimmt wurde.
Neben der „harten“Wissenschaft, die dadurch unterstützt wird, geht es Palandačić auch darum, bei den Jugendlichen ein Bewusstsein für die heimische Biodiversität zu schaffen. Deshalb widmet sich auch das neu geschaffene Deck 50 ganz oben im Museum den Elritzen: Hier können die kleineren Besucher Fische zeichnen und bemalen, während die älteren sich das angefärbte Skelett der Tiere im Binokular ansehen oder versuchen können, DNA-Sequenzen richtig zu ordnen. „Uns ist wichtig, zu zeigen, dass man nicht in die Tropen fahren muss, um Artenvielfalt zu erleben“, erklärt Palandačić: „Die gibt es auch in unseren Gewässern, und wir sollten darauf aufpassen.“