Der Standard

Schwimmend­e Vielfalt

Um fasziniere­nde Biodiversi­tät zu finden, muss man nicht in die Tropen reisen. Den Beweis dafür liefert die Elritze, ein heimischer Fisch, der zu Recht eine beachtlich­e Fangemeind­e hat und unter Fachleuten immer wieder für Staunen sorgt.

- Susanne Strnadl

Die meisten Fische sehen für Laienaugen ziemlich ähnlich aus. Nichtsdest­oweniger können sie sich in ihrem Erbgut deutlich voneinande­r unterschei­den, was es schwierig macht, sie eindeutig einer Art zuzuordnen. Am Naturhisto­rischen Museum (NHM) Wien haben Forscherin­nen mithilfe der Öffentlich­keit Ordnung in die komplizier­ten Verhältnis­se bei den Elritzen gebracht.

Eigentlich sollte der wissenscha­ftliche Name eines Lebewesens eindeutig sein: Der erste Teil gibt die Gattung an, der zweite die Art und damit die genauere Zuordnung. Die Bestimmung, wer wohin gehört, erfolgte lange Zeit aufgrund des Aussehens. Mit dem Aufkommen molekularg­enetischer Methoden stellte sich jedoch heraus, dass auch Tiere, die sich sehr ähnlich sehen, genetisch verschiede­n sein können. Manchmal so sehr, dass das, was bisher als einzige Art galt, sich plötzlich als mehrere Arten herausstel­len kann.

An den heimischen Fischen wurde diesbezügl­ich bis vor ein paar Jahren nicht allzu heftig geforscht, weil man eigentlich dachte, man wüsste schon viel, erklärt Anja Palandačić von der Fischsamml­ung des NHM. Sie leitet das seit 2022 laufende und vom Wissenscha­ftsministe­rium finanziert­e Projekt „Kleine Fische ganz groß – Biodiversi­tät der Elritze in Österreich“. Elritzen sind maximal 14 Zentimeter große Fische, die in kühlen, sauerstoff­reichen Gewässern leben. Um auf dem Teller zu landen, sind sie zu klein, aber sie werden gerne als lebende Köder oder als Futter für andere Fische verwendet.

Nach dem Angeln wurden die noch übrigen Exemplare meist im jeweiligen Fluss oder See in die Freiheit entlassen, wobei sie teils sogar die Landesgren­zen überschrit­ten. Das hat dazu geführt, dass Elritzen verschiede­nster Herkunft kreuz und quer in Europa verbreitet sind. Da sie sich aber alle relativ ähnlich sehen, nahm man bis vor kurzem an, es handle sich überall um dieselbe Art mit lokal variierend­em Aussehen, nämlich Phoxinus phoxinus, die Gewöhnlich­e Elritze.

Aufregung in Fachkreise­n

Als sich 2015 mittels genetische­r Untersuchu­ngen am NHM herausstel­lte, dass es innerhalb dieser vermeintli­chen Art massive Unterschie­de im Erbgut gibt, war die Aufregung in Fachkreise­n groß. Wie sich zeigte, bilden Elritzen einen Artenkompl­ex, also eine Ansammlung nahe verwandter, rein optisch nicht zuverlässi­g unterschei­dbarer Arten. Nach heutigem Stand umfasst dieser Komplex 14 gültige Arten und mehrere genetische Linien, das heißt Gruppen, die deutliche genetische Unterschie­de aufweisen, von denen aber noch nicht geklärt ist, ob sie als eigene Art eingestuft werden oder nicht.

Nach den vielen vom Menschen eingebrach­ten Exemplaren der Elritze stellte sich für die Forschende­n die Frage, welche dieser Arten die ursprüngli­chen Bewohner der jeweiligen Gewässer sind. Die Beantwortu­ng erfolgte mithilfe von Museumsstü­cken: Der Großteil der fremden Elritzen wurde nämlich erst nach 1950 ausgesetzt, und das Museum verfügt über Proben, die bis zu 200 Jahre alt sind. Palandačić und ihre Mitarbeite­r verglichen daher DNA-Proben von alten und neueren Fischen aus ganz Österreich und fanden heraus, dass es hier insgesamt vier Elritzen-Arten gibt, nämlich neben Phoxinus phoxinus auch noch P. csikii, P. lumaireul und P. marsilii. Interessan­terweise erwies sich, dass ausgerechn­et P. phoxinus, die bisher als die einzige Elritzen-Art hierzuland­e galt, ein Neuzugang ist. Die anderen drei sind ursprüngli­ch hier heimisch. Das ist auch für zukünftige Schutzproj­ekte wichtig zu wissen.

Schülerinn­en mit Kescher

Die Proben der heutigen Fische erhielten die Wissenscha­fterinnen mithilfe von Citizen Science: Im Rahmen eines Sparkling-Science-Projekts rückten Schülerinn­en und Schüler gemeinsam mit Angehörige­n der Landesfisc­hereiverbä­nde aus, um mit Keschern und Netzen Elritzen zu fangen. Die Mitarbeit der Fischer war dabei unerlässli­ch, denn nur sie verfügen über die nötigen Genehmigun­gen für den Fang. Mit Test-Kits, die so aussehen wie Corona-Tests und auch so ähnlich funktionie­ren, machten die Jugendlich­en dann Abstriche von der Haut der Fische, ehe sie sie wieder ins Wasser entließen. Die Proben gingen ans NHM, wo die Artzugehör­igkeit des jeweiligen Individuum­s bestimmt wurde.

Neben der „harten“Wissenscha­ft, die dadurch unterstütz­t wird, geht es Palandačić auch darum, bei den Jugendlich­en ein Bewusstsei­n für die heimische Biodiversi­tät zu schaffen. Deshalb widmet sich auch das neu geschaffen­e Deck 50 ganz oben im Museum den Elritzen: Hier können die kleineren Besucher Fische zeichnen und bemalen, während die älteren sich das angefärbte Skelett der Tiere im Binokular ansehen oder versuchen können, DNA-Sequenzen richtig zu ordnen. „Uns ist wichtig, zu zeigen, dass man nicht in die Tropen fahren muss, um Artenvielf­alt zu erleben“, erklärt Palandačić: „Die gibt es auch in unseren Gewässern, und wir sollten darauf aufpassen.“

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 ?? ?? Anja Palandačić von der Fischsamml­ung des Naturhisto­rischen Museums Wien leitet das Forschungs­projekt „Kleine Fische ganz groß – Biodiversi­tät der Elritze in Österreich“.
Anja Palandačić von der Fischsamml­ung des Naturhisto­rischen Museums Wien leitet das Forschungs­projekt „Kleine Fische ganz groß – Biodiversi­tät der Elritze in Österreich“.

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