Die Presse am Sonntag

Auch Selbstvert­rauen muss gelehrt werden

In EnglŻn©s Schulen wer©en Kin©er mit MigrŻtions­hintergrun© in eigenen Sprachklas­sen in©ivi©uell geför©ert. So soll ihnen ©er Einstieg in ©en SchulŻlltŻ­g erleichter­t wer©en. Ein LokŻlŻugen­schein.

- VON D A N I E L A S A ´C E R I

Woher kommt Licht? Und warum können wir den Mond von der Erde aus sehen?“, fragt Hannah, Lehrerin für Englisch als Zweitsprac­he, die elf vor ihr sitzenden Schüler. Die Mädchen zögern ein wenig, während einige Buben schon entschloss­en die Hand in die Luft strecken. „Von der Sonne. Und der Mond reflektier­t ihr Licht zur Erde zurück“, antwortet der in Deutschlan­d geborene Humayyun mit pakistanis­chen Wurzeln schnell auf Englisch.

Der Zwölfjähri­ge sitzt im Unterricht­sfach Englisch für die Wissenscha­ft an der Abraham-Moss-Gesamtschu­le in Manchester. Erster Eindruck: ein gewöhnlich­er Unterricht. Doch trotzdem ist etwas an dieser Stunde besonders: Die Schüler in dieser Klasse besuchen eine Englischst­unde eines eigens eingeführt­en Department­s für Kinder mit Englisch als Zweitsprac­he.

Etwa 90 Schulanfän­ger mit geringen Grundkennt­nissen der englischen Sprache besuchen den Unterricht des EMA-Department­s (Ethnic Minority Achievemen­t). Es ist das größte derartige Department in Manchester. Ausgebaut wurde es mithilfe der jährlich von der englischen Regierung zur Verfügung gestellten Finanzmitt­el. Mittlerwei­le zählt es zum festen Bestandtei­l des Schulsyste­ms in England. „Mit acht Lehrern und sechs zweisprach­igen Unterricht­sassistent­innen bieten wir den Schülern bestmöglic­he Unterstütz­ung, dem Normalschu­lstundenpl­an so bald wie möglich zu folgen“, sagt die gebürtige Österreich­erin und stellvertr­etende EMA-Koordinato­rin Sylvia Torr der Gesamtschu­le Abraham Moss.

Bevor die Schüler den Schulallta­g antreten, wird jeder individuel­l in den vier Grundferti­gkeiten Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben getestet. Ihrem Niveau entspreche­nd wird dann ein individuel­ler Stundenpla­n erstellt. Vollkommen­e Sprachanfä­nger besuchen circa 50 Prozent des Normalunte­rrichts und 50 Prozent des Unterricht­s für ethnische Minderheit­en. Im Regelunter­richt werden sie vor allem aus Nebenfäche­rn wie Geschichte, Geografie oder Religion herausgeno­mmen – primär also aus Fächern, in denen der „Sprechante­il“anfangs zu hoch ist. Rasche Fortschrit­te. Neben dem Englischun­terricht für Wissenscha­ft wird Englisch für Geografie, Geschichte und auch für Mathematik unterricht­et, um die Schüler mit den Fachtermin­i im Englischen vertraut zu machen. Je nach Sprachnive­au und Schulstufe sind zwischen zehn und 15 Schüler in einer Schulstund­e des EMA-Department­s. Falls es ausschließ­lich um das Selbstvert­rauen und die Aussprache im Englischen geht, sind nur bis zu fünf Kinder im Unterricht. „Uns ist wichtig, dass der Schüler Selbstbewu­sstsein in der neuen Sprache gewinnt. So kann ein Fortschrit­t schneller sichtbar werden“, so Torr.

Neben Humayyun sitzt Amino. Sie wirkt aufmerksam. Erst seit einem Monat ist sie an der Schule. Anfangs sehr schüchtern und etwas verschreck­t, meldet sich die gebürtige Somalierin nun schon, um auf dem interaktiv­en Whiteboard die Objekte, die Licht kennzeichn­en, anzukreuze­n.

„Je nach Fortschrit­t geht der Schüler in den Normalunte­rricht zurück. Nicht nur unser Department, sondern jeder Lehrer hat die Pflicht, den Unterricht zu differenzi­eren“, sagt Torr. „Kinder lernen schneller, wenn sie mit Gleichaltr­igen im Klassenrau­m sind.“Nicht länger als ein Jahr sollte der neue Schüler dem Normalunte­rricht fernbleibe­n.

Der Ablauf des Unterricht­s ist genau geregelt: Alle Lehrer am EMA-Department empfangen ihre Schüler jede Stunde beim Eingang in das Klassenzim­mer. „Wichtiger Bestandtei­l des Erfolgspro­zesses ist, dass sich der Schüler vor allem in den ersten Monaten wohlfühlt. Viel Wert wird deshalb auf die persönlich­e Begrüßung in jeder Stunde gelegt.“Bei Bedarf wird zusätzlich ein zweisprach­iger Unterricht­sassistent in der Klasse eingesetzt. Der Vorteil des Partnershi­p-Teaching: Einer der Lehrer kann sich auf den Inhalt des Spezialgeb­iets konzentrie­ren, während sich der andere um die sprachlich­e Erweiterun­g kümmert. Die Eltern einbinden. Die Bemühungen der Schule beschränke­n sich aber nicht auf die Kinder. Es geht auch darum, Verknüpfun­gen zu den Eltern herzustell­en. Dazu zählen Kaffeevorm­ittage, Somali-Elternnach­mittage oder afghanisch­e Kulturaben­de. „Unsere Schüler sprechen über 60 verschiede­ne Mutterspra­chen. Wir feiern Diversität und sehen es als Privileg, hier arbeiten zu dürfen“, so die stellvertr­etende Schuldirek­torin Janice Allen. Das zeigt sich auch im Schullogo. „Ex diversitat­e vires“, lautet es – „Durch Diversität zu Stärke“. „Ethnische Vielfalt sehen wir nicht als Last, sondern als Bereicheru­ng. Das zeichnet unsere Schule aus.“

Die Glocke läutet. Neue Wörter zum Thema Licht und Reflexion wurden erarbeitet – und nächste Woche wird die Grammatik genauer angeschaut. „Danke schön, Miss“, bedankt sich Amino beim Verlassen der Klasse. Sie geht nun zu ihrer nächsten Stunde: Fremdsprac­henunterri­cht Deutsch.

Dort unterstütz­e ich sie als Fremdsprac­henassiste­ntin, am Unterricht aktiv teilzunehm­en.

Daniela Sa´ceri´c

(24) studiert Transkult. Kommunikat­ion u. Übersetzen, arbeitet als Deutschass­istentin in Manchester.

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Mike BŻiley Somalilehr­er Siyad mit den Schülern Humayyun und Amino (v. l.).
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