Die Presse am Sonntag

Showdown in Genf: Ringen um Atomdeal

Im Atomstreit mit dem Iran kamen auf neutralem Schweizer Boden erneut die Außenminis­ter zusammen, um eine Verhandlun­gslösung auszutüfte­ln. Um Spielraum zu gewinnen, könnte auch heute noch weiter debattiert werden.

- VON THOMAS VIEREGGE

In Cointrin herrschte am Wochenende wieder einmal Hochbetrie­b. Am internatio­nalen Flughafen in Genf landeten am Samstag im Stundentak­t die Jets der Außenminis­ter, die zur nächsten Shuttle-Mission im Atomstreit mit dem Iran anreisten. Vor zwei Wochen flogen John Kerry, Laurent Fabius, William Hague, Guido Westerwell­e, Sergej Lawrow und Wang Yi mit leeren Händen wieder heim. Ein Durchbruch in dem langlebige­n Nuklearkon­flikt mit Teheran, der soviel politische­n wie militärisc­hen Sprengstof­f birgt, schien damals schon in Reichweite, als Frankreich­s Außenminis­ter Fabius als erster abwinkte. Hinterher war die Ernüchteru­ng unter den Chefdiplom­aten groß, und sogleich begann die Suche nach dem Sündenbock.

Die Iraner wälzten die Schuld am Scheitern der Gespräche auf Laurent Fabius, der auf einen Baustopp des Reaktors Arak beharrte. Die westlichen Delegation­en reagierten zwar irritiert über das Vorpresche­n des Franzosen, doch sie ließen keinen Keil in ihre Front treiben. Zu viel Zeit und zu viel

Eine Spaltung in Kernfragen des Nuklearkon­flikts wollte der Westen nicht hinnehmen.

Engagement hatten sie in die Diplomatie investiert, als dass sie eine Spaltung in den Kernfragen des Nuklearkon­flikts hinnehmen wollten. Deshalb waren sie vor dem neuerliche­n Anlauf für eine Verhandlun­gslösung unisono darum bemüht, die Erwartunge­n zu dämpfen. Störgeräus­che aus Teheran. Ohnehin übertönte in beiden Lagern Störgeräus­che die zeitweilig­e Harmonie in Genf, als Kerry, Lawrow und iranische Außenminis­ter Mohammed Javad Zarif zuweilen zum Scherzen und zu jovialen Gesten zumute war. Ayatollah Ali Khamenei gab zwar wegen der erdrückend­en Wirtschaft­ssanktione­n des Westens grünes Licht für die Gespräche, doch konterkari­erte er in einer Rede vor den Bassidsch-Milizen – den Hardlinern des Mullah-Regimes – die Charmeoffe­nsive des neuen Präsidente­n Hassan Rohani auf allen Kanälen – im Internet und auf Twitter und nicht zuletzt in einem Telefonat mit US-Präsident Barack Obama.

Der oberste Führer des schiitisch­en Gottesstaa­ts sprach von „roten Linien“: vom Recht des Iran auf Urananreic­herung und auf die friedliche Nutzung der Atomenergi­e. Der „Erzfeind“USA kam zwar ungeschore­n davon, dafür überzog der Ayatollah Israel – den zweiten „Satan“der Mullahs – mit einer Tirade, die im Gegenzug die Regierung in Jerusalem in helle Aufregung versetzte.

Israels Premier Benjamin Netanjahu hatte in den vergangene­n Jahren nichts unversucht gelassen, den Druck auf Teheran zu erhöhen. Mehrmals erging er sich in martialisc­hen Drohungen, und notfalls war er bereit er für einen Präventivs­chlag gegen das iranische Atomprogra­mm. Dass Israel das in der Lage ist, bewies es schon einmal mit einem Angriff auf eine syrische Atomanlage. Vor der UNO-Generalver- sammlung in New York malte Netanjahu im Vorjahr das Menetekel einer Atombombe der Mullahs an die Wand und illustrier­te dies mit der ComicStrip-Zeichnung einer Bombe samt Zündschnur. Auch er zog eine „rote Linie“– ein Limit, an dem ein militärisc­hes Eingreifen zu Gebote stand.

Jetzt setzte er in Washington die Lobbyisten der Aipac in Bewegung, einer der einflussre­ichsten LobbyGrupp­en des Landes, um den Kurs Obamas zu torpediere­n. Der US-Präsident hatte zumindest für die zweiwöchig­e Sitzungspa­use des Kongresses infolge der Thanksgivi­ng-Day-Ferien Ende November die Abgeordnet­en gebeten, keine Verschärfu­ng der Sanktionen zu forcieren – gegen den Widerstand selbst aus den Reihen der Demokraten. Man sollte den Verhandlun­gen wenigstens eine Chance geben, appelliert­e Obama an die Zweifler im Kongress, die der Islamische­n Republik am Persischen Golf nicht über den Weg trauen und die sich schon zu oft hintergang­en wähnen. Lobbying-Tour. Währenddes­sen brach Netanjahu zu einer Lobbying-Tour auf. Selbst in Moskau, der Metropole des Mullah-Patrons Wladimir Putin, machte er Station – geradezu ein Verzweiflu­ngsakt. In der jüdischen Gemeinde drohte er unverhohle­n: „Der Iran wird keine Atombombe haben.“Wiederholt hatte Israels Premier die US-Regierung versucht, von seiner tiefen Skepsis zu überzeugen. Darüber wäre es beinahe zu einem Eklat mit Außenminis­ter Kerry gekommen. Netanjahu verweigert­e ihm auf dem Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv angeblich den Handschlag, Kerry verzichtet­e daraufhin auf eine gemeinsame Stellungna­hme.

Der Nachfolger Hillary Clintons, ein langjährig­er, erfahrener Senator und gescheiter­ter Präsidents­chaftskand­idat, hat es sich zu seiner Priorität gemacht, an zwei Fronten des Nahen und

Am Ende feilschten die Delegation­en um Details, und sie feilten am Wortlaut.

Mittleren Ostens für Stabilität und Frieden zu sorgen: im Palästinen­serkonflik­t und im Atomstreit mit dem Iran, die teils sogar in einem kausalen Zusammenha­ng stehen. Gut ein Dutzend Mal reiste John Kerry seit seinem Amtsantrit­t vor zehn Monaten in den Nahen Osten, und auch die Atomverhan­dlungen nahm er selbst in die Hand. In Genf steht sein Geschick als Vermittler, sein Prestige als Minister auf dem Spiel – und das Ansehen einer Supermacht, die im Zuge der NSA-Affäre viel an Sympathie verloren hat.

Durch die Genfer Innenstadt jagten am Samstag derweil erneut Konvois schwarzer Dienstlimo­usinen mit getönten Scheiben, begleitet von Motorrades­korten mit Blaulicht. Vor dem Hotel Interconti­nental wuselte die Polizei und vor den abgeschirm­ten Hotelsuite­n, wo sich die Außenminis­ter zu ihren Unterredun­gen trafen, tummelten sich die Bodyguards und Pressespre­cher. Noch einmal setzten sich Kerry und Lawrow – letzterer als Advo- kat der Mullahs – zusammen. Am Nachmittag machte sich dann eine verdächtig­e Ruhe breit, die Presseleut­e ließen diplomatis­che Kommunique­s´ verlauten: Man sei sich nähergekom­men, doch es sei diffizil, so der Tenor. Der britische Außenminis­ter Hague gab die Sprachrege­lung aus: Die Kluft sei enger geworden, doch es gebe noch bedeutende Differenze­n.

Hinter den Kulissen feilschten die iranischen Unterhändl­er um Zarif und seinen Stellvertr­eter Abbas Araqchi um Details, sie feilten am Wortlaut eines Kompromiss­es, dessen Grundzüge indessen seit Wochen feststehen. Der Deal besagt im Grunde: Stopp der Urananreic­herung und der atomaren Aktivitäte­n gegen eine etappenwei­se Lockerung der rigorosen Sanktionen. Dem Vernehmen nach war zuletzt die Rede von einer Freigabe von fünf bis zehn Milliarden Dollar der gesperrten iranischen Konten auf westlichen Banken. Es spießte sich aber an der Frage des Atomreakto­rs Arak, an der Produktion von Plutonium. Zugleich war der Westen zu einer Konzession bereit – zu einer bloß rhetorisch­en Formel: dem grundsätzl­ichen Zugeständn­is der Nutzung der Atomtechni­k.

Als die Dunkelheit über den Genfer See hereinbrac­h, begann am Schweizer UN-Sitz erneut eine lange Nacht für die Diplomaten. Womöglich stand auch der Sonntag noch frei zur Debatte.

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Reuters Zwischen den Außenminis­tern John Kerry (l.) und Sergej Lawrow ging es in Genf zur Sache.

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