Stadtplanung mit der Abrissbirne
Nach Jahrzehnten des Niedergangs greifen Amerikas marode Industriestädte immer öfter zu drastischen Methoden: Sie reißen zehntausende Häuser nieder. Auf den brachen Flächen sprießt Landwirtschaft – und Grundstücksspekulation.
Im Robinwood-Park spielen keine Kinder mehr. Niemand führt hier seinen Hund Gassi, liest auf einer der Parkbänke die Zeitung, tratscht mit den Nachbarn über Arbeit oder Urlaubspläne. Hier liegt das Herz von Detroit; zumindest im geografischen Sinne. Doch man hört keinen urbanen Pulsschlag mehr. Kaum ein Haus ist bewohnt. Vernagelte Türen, kaputte Scheiben, verfaulte Dächer.
Doch im Robinwood-Park, verwuchert und vor ein paar Jahren von der Stadtverwaltung aufgegeben, sprießt zarte Hoffnung auf eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Erholung Detroits. Denn zwischen verrosteten Kinderschaukeln und Rutschen haben die Mitzwanziger Ty und Donnie einen Garten angelegt. Die beiden jungen Männer ziehen hier Salat, Kräuter, Karotten und Paradeiser, sowohl für die eigene Küche als auch zum Verkauf auf den Wochenmärkten in den schickeren, reicheren Vierteln der Stadt.
„Detroit ist der beste Ort für mich. Wenn du dich selbst organisieren kannst, findest du hier so viel Land“, sagt Donnie zur „Presse am Sonntag“. Er ist gegenüber dem Robinwood-Park aufgewachsen und hat seinen Verfall jahrelang beobachtet. Als klar war, dass die Behörden dieses Stück Land nicht mehr pflegen wollen, holte er sich die Erlaubnis, einen Garten anzulegen. „Es hat doch keinen Sinn, Essen um teures Geld zu kaufen, wenn man es selbst anbauen kann“, sagt Donnie. Er ist schwarz, sein Freund und Geschäftspartner Ty weiß. Die Rassenfrage, die Detroit derart zerrüttet hat, spielt für sie keine Rolle. „Occupy Yourself“haben sie ihre kleine Farm getauft. „Besetze dich selbst“, mach etwas aus dir.
»Occupy Yourself« haben sie ihre kleine Farm getauft – mach etwas aus dir.
Die Bürger von Detroit können angesichts von 18 Milliarden Dollar (13,3 Milliarden Euro) Schulden der Stadt und einem laufenden Insolvenzverfahren nicht auf kommunale Hilfe hoffen.
Damit sind sie nicht allein. Von Cleveland bis Baltimore, von Philadelphia bis Cincinnati ringen Dutzende einstige Industriestädte mit dem Niedergang. Was mit dem Aufkommen der Konkurrenz aus Fernost (erst aus Japan, später aus China) begann, wurde durch die große Rezession von 2008 bis 2010 beschleunigt. Allein im Sektor der Lohnfertigung gingen 5,8 Millionen Arbeitsplätze seit dem Jahr 2000 verloren. Baltimore zum Beispiel hat allein seit dem Jahr 1990 rund 110.000 Stellen verloren: Das war fast jeder vierte Job. Geisterstädte. Wenn die Arbeit verschwindet, ziehen auch die Menschen weg: Ein Dutzend der im Jahr 1950 größten amerikanischen Städte hat seither mindestens jeden dritten Bewohner verloren. Youngstown in Ohio, eine Stahlstadt, die Bruce Springsteen in einem Song als jenen Ort pries, dessen Kanonen Lincolns Truppen den Bürgerkrieg gewinnen ließ und später zum Sieg der Alliierten über Hitler beitrug, ist ein besonders grelles Beispiel für dieses urbane Schrumpfen: 1930 wohnten rund 170.000 Menschen in Youngstown; heute sind es weniger als 65.000. Und sie sind arm: Keine amerikanische Stadt dieser Größe hat ein niedrigeres durchschnittliches Median-Einkommen.
Wenn die Menschen sich aus maroden Städten verabschieden, lassen sie ihre Häuser oft ohne neuen Besitzer zurück. In Detroit hat sich laut einer Erhebung des U.S. Census Bureau (das ist das US-Statistikamt) die Zahl der Grün ist die Hoffnung: In den Industrieruinen von Städten wie Detroit entstehen urbane Gärten, die den Bürgern Nahrung und Einkunft bringen. leer stehenden Wohneinheiten allein seit 2000 auf knapp 80.000 verdoppelt. In Cleveland kommt heute auf fünf bewohnte Häuser ein unbewohntes. In den meisten davon wird niemand je wieder wohnen. Einstige stolze Industriemetropolen werden mit der Zeit Straße für Straße, Block für Block, Viertel für Viertel zu Geisterstädten.
Diese Verwahrlosung wäre an sich schlimm genug. Die Eigenheit des amerikanischen Steuersystems beschleunigt den Niedergang von Detroit, Buffalo, Cincinnati und an-