Vom ersten Schrei bis zum letzten Atemzug
Ob Agnes oder Paul: Der Schrei eines Säuglings liegt bei einer Frequenz von rund 440 Hertz. Das entspricht dem sogenannten Kammerton – dem eingestrichenen A, nach dem auch Stimmgabeln für das Stimmen von Musikinstrumenten eingestellt sind. Vom reflexartigen Schreien weg entwickelt und verändert sich die Stimme quasi ein Leben lang. Welche Faktoren für eine normale Stimmentwicklung wichtig sind und wie diese zusammen-
»Das aktive Mitsingen in einem Chor ist gut für die Stimmentwicklung.«
wirken, ist bei Weitem noch nicht umfassend bekannt. „Die Entwicklung des Stimmapparats ist kein kontinuierlicher Prozess. Besonders in den ersten zwei Lebensjahren und während des Stimmwechsels kommt es zu großen Veränderungen“, erklärte Doris-Maria Denk-Linnert, Vizechefin der Klinischen Abteilung Phoniatrie-Logopädie der Med-Uni Wien, bei den „Grazer Stimmtagen“in der Vorwoche. Länge der Stimmbänder. Bereits nach den ersten Lebensmonaten erkennen Säuglinge, dass sie die Menschen in ihrem Umfeld und deren Verhalten mittels Stimme beeinflussen können. Man kennt das aus Erfahrung: Harte Stimmeinsätze vermitteln Unbehagen, während weiche Stimmeinsätze Wohlbefinden ausdrücken. Schon allein daran wird deutlich, dass wir unsere Stimme, ob bewusst oder unbewusst, stets auch nutzen, um Emotionen auszudrücken.
Für eine normale Sprachentwicklung ist das Zusammenspiel von Gehirn, Augen, Ohren, Mund-Nase-Rachenraum, Kehlkopf und Lunge wichtig. Beim Säugling sind die Stimmbänder (Stimmlippen) noch sehr kurz. Mit dem Absinken des Kehlkopfs im Laufe der kindlichen Stimmentwicklung sinkt auch die Sprechstimmlage bei beiden Geschlechtern bis zum neunten Lebensjahr um rund eine Oktave ab. Die Frequenz liegt bei Neunjährigen zwischen 220 und 330 Hertz.
Im Kindesalter erweitert sich neben Klangfarbe und Tonstärke auch der Tonhöhenumfang. Das ist das Intervall zwischen den höchsten und tiefsten Tönen der menschlichen Stimme, der bei Erwachsenen rund zwei Oktaven umspannt. Wie umfassend er beim Einzelnen ausfällt, hängt zu einem gewissen Grad davon ab, ob die Stimme ihren Möglichkeiten entsprechend trainiert wird. Dafür ist keine professionelle Gesangsausbildung nötig: Schon das Mitsingen in einem Chor ist gut für die Stimmentwicklung, wirkt vorbeugend gegen Stimmstörungen und erweitert den Tonhöhenumfang. Dabei müsse laut Denk-Linnert aber darauf geachtet werden, dass die Kinder „richtig singen“lernen, ohne ihre Stimme zu überfordern.
Ab dem neunten Lebensjahr setzt dann die stimmliche Differenzierung zwischen Mädchen und Buben ein. Eine heikle Phase: Wird die Stimme hier massiv überfordert, können Stimmstörungen sowohl während als auch später im Erwachsenenalter die Folge sein.
Vielen ist der Stimmwechsel (Mutation) als Stimmbruch geläufig. Klini-