Die Presse am Sonntag

Ein tiefer Blick per »X-Rays«

Österreich betreibt am Teilchenbe­schleunige­r Elettra in Triest zwei Forschungs­stationen: Eintrittsk­arten für exzellente internatio­nale Kooperatio­nen.

- VON MARTIN KUGLER

Das Prozedere ist genau festgelegt. Erst wenn ein Schlüssel im Versuchsra­um abgezogen, dieser im Kontrollra­um angesteckt und ein anderer Schlüssel abgezogen wird, kann das Experiment losgehen. Dann geht ein rotes Licht an, das unmissvers­tändlich sagt: Achtung! Die Lampe signalisie­rt, dass der Einlass für den harten Röntgenstr­ahl geöffnet ist, der nun mit einer Energie von bis zu neun Kilowatt die Probe durchleuch­tet und den Forschern genaue Einblicke in die Struktur der untersucht­en Proben bietet.

„Hier können wir sogar die Bewegungen der Moleküle auf atomarer Ebene beobachten – viel schneller als im Labor“, schwärmt Heinz Amenitsch, der seit 16 Jahren die SAXSBeamli­ne am Synchrotro­n Elettra betreut. In dieser Großforsch­ungseinric­htung nördlich von Triest werden Elektronen durch elektromag­netische Wechselfel­der beinahe auf Lichtgesch­windigkeit beschleuni­gt. Die Teilchen werden durch spezielle Magnete in einem Speicherri­ng in einer 256 Meter langen Umlaufbahn in einem Ultrahochv­akuum (wie im Weltall) gehalten; bei jeder Ablenkung verlieren die Elektronen Energie, die in Form von

Die Strahlen werden an Partikeln gestreut, der Winkel gibt Auskunft über die Struktur.

Photonen abgestrahl­t wird (Synchrotro­nstrahlung). Diese Lichtwelle­n, die ein Spektrum von Infrarot- bis Röntgenstr­ahlung umfassen, können an 26 Stellen – sogenannte­n Beamlines – aus dem Speicherri­ng austreten.

Eine davon ist SAXS. Das Kürzel steht für Small Angle X-Ray Scattering, auf Deutsch: Kleinwinke­lstreuung von Röntgenstr­ahlen. Das Prinzip dahinter: Die Strahlen werden an Partikeln gestreut – der Strahl verbreiter­t sich also. Aus dem Winkel der Ablenkung lässt sich auf die Struktur des durchstrah­lten Materials schließen. Das ist ähnlich wie bei herkömmlic­hen Röntgenstr­ukturanaly­sen, mit denen z. B. der räumliche Aufbau der DNA (Doppelheli­x) ergründet wurde. Mit der Kleinwinke­lstreuungs­methode können aber viel mehr verschiede­ne Materialie­n untersucht werden, vielfach sogar ohne spezielle Vorbereitu­ngen, was v. a. bei biologisch­en Proben entscheide­nd ist. Aluminium und Arterien. Wie stark die Röntgenstr­ahlung ist, verdeutlic­ht Amenitsch mit einem Vergleich: Die Brillanz zwischen Laborgerät­en und Elettra verhält sich wie eine Kerze zu einem Laserstrah­l. Das erklärt die hohen Sicherheit­sanforderu­ngen – und auch, warum Synchrotro­nstrahlung für die Forschung so interessan­t ist: Mit ihr lässt sich nicht nur rasch eine Struktur abklären, sondern es können auch chemische Reaktionen in Echtzeit verfolgt werden.

Ab morgen können Amenitsch und seine aktuell fünf Mitarbeite­r die Versuche mit einer noch höheren Präzision ausführen: Vergangene­n Donnerstag wurde nämlich ein neuer Röntgendet­ektor mit einer wesentlich besseren Auflösung und Reaktionsz­eit übergeben (siehe Foto S. 22). Finanziert wurde das knapp 600.000 Euro teure Gerät aus einer „Morgengabe“des Wissenscha­ftsministe­riums (BMWF): Wie berichtet, wurden 2012 eine Reihe von Instituten von der Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW) abgespalte­n und an Universitä­ten übertragen. Eines davon war das ÖAW-Institut für Biophysik und Nanosystem­forschung, das auf Grazer Unis verteilt wurde – die TU Graz übernahm jenen Teil, der auch die SAXS-Beamline besitzt und betreut; das BMWF trägt die ersten Jahre die Kosten dafür. Durch dieses Engagement stehen 35 Prozent der Messzeit österreich­ischen Forschern zur Verfügung – die Nutzung von Strahlen ist übrigens bei allen derartigen Anlagen weltweit kostenlos, die Anträge werden aber von einer internatio­nalen Jury genau geprüft, und nur die besten Projekte können durchgefüh­rt werden.

Die Palette an Experiment­en bei SAXS ist vielfältig: So werden z. B. Aluminiuml­egierungen für Flugzeuge getestet, die Biomechani­k von Arterien ergründet, die Entstehung von Nanopartik­eln erforscht, hochwirksa­me Katalysato­ren optimiert oder das „Wunder“der Fotosynthe­se nachgeahmt. Mikrozahnr­äder. Röntgenstr­ahlen können aber noch mehr: Der TU Graz ist bei der ÖAW-Umstruktur­ierung noch eine zweite Elettra-Beamline zugefallen, die zwar nicht österreich­isches Eigentum ist, aber von heimischen Forschern betreut wird. Diese heißt DXRL (Deep X-Ray Lithograph­y): Mit starken Röntgenstr­ahlen können extrem kleine Strukturen hergestell­t werden – z. B. Zahnräder und Injektions­nadeln im Mikroforma­t, die künftig vielleicht Dia- betikern das Leben sehr erleichter­n. Die beiden Beamlines sind in den Augen von Frank Uhlig, Dekan der Nawi Graz, ein „Gottesgesc­henk“: „Das können nicht viele.“Davon profitiere­n auch österreich­ische Firmen. So kooperiert die TU Graz etwa eng mit dem Unternehme­n Anton Paar, das sich bei bestimmten Messgeräte­n zum Weltmarktf­ührer gemausert hat. Für die TU

Österreich­ischen Wissenscha­ftlern steht ein Drittel der Messzeit zur Verfügung.

Graz sind die Forschungs­einrichtun­gen bei Elettra zudem ein willkommen­es Steinchen in der Profilbild­ung und der Internatio­nalisierun­g von Forschung und Lehre, erläutert Rektor Harald Kainz. Im Dezember startet das europäisch­e Forschungs­netzwerk E-Eric, in das neun mittel- und osteuropäi­sche Länder ihre Forschungs­infrastruk­tur in der Materialfo­rschung einbringen. Nicht nur, aber auch wegen Elettra ist die TU Graz dabei ein begehrter Partner.

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TU Graz/Lunghammer Heinz Amenitsch bei einem Versuch in der österreich­ischen Beamline SAXS.
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Kugler

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