Ein tiefer Blick per »X-Rays«
Österreich betreibt am Teilchenbeschleuniger Elettra in Triest zwei Forschungsstationen: Eintrittskarten für exzellente internationale Kooperationen.
Das Prozedere ist genau festgelegt. Erst wenn ein Schlüssel im Versuchsraum abgezogen, dieser im Kontrollraum angesteckt und ein anderer Schlüssel abgezogen wird, kann das Experiment losgehen. Dann geht ein rotes Licht an, das unmissverständlich sagt: Achtung! Die Lampe signalisiert, dass der Einlass für den harten Röntgenstrahl geöffnet ist, der nun mit einer Energie von bis zu neun Kilowatt die Probe durchleuchtet und den Forschern genaue Einblicke in die Struktur der untersuchten Proben bietet.
„Hier können wir sogar die Bewegungen der Moleküle auf atomarer Ebene beobachten – viel schneller als im Labor“, schwärmt Heinz Amenitsch, der seit 16 Jahren die SAXSBeamline am Synchrotron Elettra betreut. In dieser Großforschungseinrichtung nördlich von Triest werden Elektronen durch elektromagnetische Wechselfelder beinahe auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Die Teilchen werden durch spezielle Magnete in einem Speicherring in einer 256 Meter langen Umlaufbahn in einem Ultrahochvakuum (wie im Weltall) gehalten; bei jeder Ablenkung verlieren die Elektronen Energie, die in Form von
Die Strahlen werden an Partikeln gestreut, der Winkel gibt Auskunft über die Struktur.
Photonen abgestrahlt wird (Synchrotronstrahlung). Diese Lichtwellen, die ein Spektrum von Infrarot- bis Röntgenstrahlung umfassen, können an 26 Stellen – sogenannten Beamlines – aus dem Speicherring austreten.
Eine davon ist SAXS. Das Kürzel steht für Small Angle X-Ray Scattering, auf Deutsch: Kleinwinkelstreuung von Röntgenstrahlen. Das Prinzip dahinter: Die Strahlen werden an Partikeln gestreut – der Strahl verbreitert sich also. Aus dem Winkel der Ablenkung lässt sich auf die Struktur des durchstrahlten Materials schließen. Das ist ähnlich wie bei herkömmlichen Röntgenstrukturanalysen, mit denen z. B. der räumliche Aufbau der DNA (Doppelhelix) ergründet wurde. Mit der Kleinwinkelstreuungsmethode können aber viel mehr verschiedene Materialien untersucht werden, vielfach sogar ohne spezielle Vorbereitungen, was v. a. bei biologischen Proben entscheidend ist. Aluminium und Arterien. Wie stark die Röntgenstrahlung ist, verdeutlicht Amenitsch mit einem Vergleich: Die Brillanz zwischen Laborgeräten und Elettra verhält sich wie eine Kerze zu einem Laserstrahl. Das erklärt die hohen Sicherheitsanforderungen – und auch, warum Synchrotronstrahlung für die Forschung so interessant ist: Mit ihr lässt sich nicht nur rasch eine Struktur abklären, sondern es können auch chemische Reaktionen in Echtzeit verfolgt werden.
Ab morgen können Amenitsch und seine aktuell fünf Mitarbeiter die Versuche mit einer noch höheren Präzision ausführen: Vergangenen Donnerstag wurde nämlich ein neuer Röntgendetektor mit einer wesentlich besseren Auflösung und Reaktionszeit übergeben (siehe Foto S. 22). Finanziert wurde das knapp 600.000 Euro teure Gerät aus einer „Morgengabe“des Wissenschaftsministeriums (BMWF): Wie berichtet, wurden 2012 eine Reihe von Instituten von der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) abgespalten und an Universitäten übertragen. Eines davon war das ÖAW-Institut für Biophysik und Nanosystemforschung, das auf Grazer Unis verteilt wurde – die TU Graz übernahm jenen Teil, der auch die SAXS-Beamline besitzt und betreut; das BMWF trägt die ersten Jahre die Kosten dafür. Durch dieses Engagement stehen 35 Prozent der Messzeit österreichischen Forschern zur Verfügung – die Nutzung von Strahlen ist übrigens bei allen derartigen Anlagen weltweit kostenlos, die Anträge werden aber von einer internationalen Jury genau geprüft, und nur die besten Projekte können durchgeführt werden.
Die Palette an Experimenten bei SAXS ist vielfältig: So werden z. B. Aluminiumlegierungen für Flugzeuge getestet, die Biomechanik von Arterien ergründet, die Entstehung von Nanopartikeln erforscht, hochwirksame Katalysatoren optimiert oder das „Wunder“der Fotosynthese nachgeahmt. Mikrozahnräder. Röntgenstrahlen können aber noch mehr: Der TU Graz ist bei der ÖAW-Umstrukturierung noch eine zweite Elettra-Beamline zugefallen, die zwar nicht österreichisches Eigentum ist, aber von heimischen Forschern betreut wird. Diese heißt DXRL (Deep X-Ray Lithography): Mit starken Röntgenstrahlen können extrem kleine Strukturen hergestellt werden – z. B. Zahnräder und Injektionsnadeln im Mikroformat, die künftig vielleicht Dia- betikern das Leben sehr erleichtern. Die beiden Beamlines sind in den Augen von Frank Uhlig, Dekan der Nawi Graz, ein „Gottesgeschenk“: „Das können nicht viele.“Davon profitieren auch österreichische Firmen. So kooperiert die TU Graz etwa eng mit dem Unternehmen Anton Paar, das sich bei bestimmten Messgeräten zum Weltmarktführer gemausert hat. Für die TU
Österreichischen Wissenschaftlern steht ein Drittel der Messzeit zur Verfügung.
Graz sind die Forschungseinrichtungen bei Elettra zudem ein willkommenes Steinchen in der Profilbildung und der Internationalisierung von Forschung und Lehre, erläutert Rektor Harald Kainz. Im Dezember startet das europäische Forschungsnetzwerk E-Eric, in das neun mittel- und osteuropäische Länder ihre Forschungsinfrastruktur in der Materialforschung einbringen. Nicht nur, aber auch wegen Elettra ist die TU Graz dabei ein begehrter Partner.