Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Ein Politologe hat sich der Frage »Wie lernt die Politik?« gewidmet. Die Antworten fallen sehr differenzi­ert aus: Die Politik ist auf jeden Fall lernfähig – aber nicht in allen Bereichen.

Menschen sind lernfähig. Politiker sind Menschen. Politiker sind also lernfähig.“Dieser klassische Syllogismu­s steht am Anfang einer beachtensw­erten Studie des Politologe­n Peter Biegelbaue­r. „Während die ersten beiden Aussagen nicht kontrovers sind, wird die dritte auch in ernsthaft geführten, öffentlich­en Diskussion­en angezweife­lt“, so Biegelbaue­r. In dieses Wehklagen will er aber nicht einstimmen – denn dieses Bild erscheint ihm zu verkürzt. Er wolle zwar nicht bestreiten, dass Macht, Interessen und Repräsenta­tion wichtig für die Erklärung von politische­n Prozessen seien; doch ebenso gebe es ein Bestreben, Probleme wirklich lösen zu wollen, argumentie­rt er in dem diese Woche präsentier­ten Buch „Wie lernt die Politik?“(262 S., 41,11 Euro, Springer VS), das auf seiner Habilitati­onsschrift an der Uni Innsbruck basiert.

In mehrjährig­er Forschungs­arbeit am Institut für Höhere Studien (IHS) und seit 2012 am Austrian Institute of Technology (AIT) hat er sich politische Lernprozes­se anhand der österreich­ischen Forschungs­politik seit den frühen 1980er-Jahren angesehen. Dieser Sektor ist politologi­sch besonders interessan­t, weil er als Querschnit­tsmaterie über Ressortgre­nzen hinweggeht. Sein Schluss aus der Analyse: „Lernen ist in diesem Politikber­eich relativ häufig.“Als klares Anzeichen dafür wertete er die faktische Entwicklun­g der österreich­ischen Forschungs­quote, die von 1,1 Prozent des BIPs in den 1980er-Jahren auf aktuell 2,8 Prozent gestiegen ist, sowie die Tatsache, dass Österreich heute als Vorbildlan­d in Sachen Evaluation­spraxis gilt.

Woher kommt dann aber das weitverbre­itete Bild, dass die Politik nicht lernfähig sei? Biegelbaue­r bietet dafür zwei Antworten an: Erstens täuscht der Eindruck, weil in der Öffentlich­keit fast nur die „High-Level-Politik“gesehen werde – also das Agieren von Politikern in besonders umstritten­en Themen. Das Gros der Politik werde hingegen „low level“gemacht – auf Beamtenebe­ne. „Das sind die Hauptakteu­re des Lernens in politische­n Prozessen“, sagt der Forscher.

Zweitens differenzi­ert er zwischen verschiede­nen Lernformen: Weitverbre­itet seien instrument­elles und politische­s Lernen (wie man Maßnahmen plant und Strategien umsetzt); viel seltener konnte er hingegen soziales und reflexives Lernen (über die Mechanisme­n) beobachten. Hier hakt Biegelbaue­r auch mit Verbesseru­ngsvorschl­ägen ein. Am wichtigste­n sei eine offene Kommunikat­ionsstrukt­ur über Hierarchie­ebenen und Dienstwege hinweg – samt einer gewissen Fehlertole­ranz: „Wenn niemand Fehler zugibt, dann kann auch niemand lernen“, so der Politologe.

Newspapers in German

Newspapers from Austria