Die Presse am Sonntag

Frauen, die als Männer leben

Sie wur©en weiãlich geãoren, leãen Żãer Żls M´nner: Die Schwurjung­frauen AlãŻniens sin© ein spŻnnen©es Beispiel für einen institutio­nŻlisierte­n Wechsel von Geschlecht­errollen.

- VON ELONA KAMBERI

Auf den ersten Blick wirkt Fatime Xhedia wie ein ganz normaler Mann. Er hat kurze Haare, trägt ein Hemd, eine breite Hose und raucht. Doch ein zweiter, genauerer Blick verrät Details, die er für immer versteckt halten wollte: die etwas zu zarten Hände, breite Hüften, schmale Schultern – und auch ein kleiner Busen zeichnet sich unter seinem Hemd ab. Fatime ist eigentlich eine Frau. Sie wurde 1930 als solche im Dorf Zogaj in der Nähe von Tropoja geboren. Das liegt im abgeschott­eten Norden Albaniens, eine Region, wo Frauen jahrhunder­telang als Männer lebten. Fatime ist eine „Burrneshe“,¨ eine Mannfrau.

Nach dem Tod ihres Vaters beschloss sie, die Aufgaben des Haushaltsv­orstands zu übernehmen, erzählt sie einem albanische­n Fernsehsen­der, der eine Dokumentat­ion über sie dreht. Doch dafür musste sie ein Mann werden. In Zogaj bedeutet das: Die Frau muss einen Schwur ablegen, nämlich keusch zu bleiben und nicht zu heiraten.

Die junge Frau schnitt ihre langen schwarzen Locken ab, tauschte ihr Kleid gegen die ausgebeult­en Hosen des Vaters und nahm ein Jagdgewehr. Vor ihrer Familie und vor den zwölf wichtigste­n Männern des Dorfes schwor sie Ehe, Muttersein und Sex für immer ab.

Die Tradition der Mannfrauen ist in Europa einzigarti­g, sie gilt als das einzig bekannte Beispiel für einen institutio­nalisierte­n Geschlecht­srollenwec­hsel in Europa. Mit Transsexua­lität oder Homosexual­ität hat diese kulturelle Praxis nichts zu tun. Es ist lediglich die männliche Kleidung, die Übernahme von Tätigkeite­n, die man traditione­ll Männern zuschreibe­n würde, die männlichen Vornamen und vor allem der Verzicht auf sexuelle Kontakte, die diese Frauen zu Männern macht. Lange Tradition. Das Phänomen selbst hat eine lange Geschichte. Sie besteht mindestens seit dem 15. Jahrhunder­t, erklärt Arbnora Dushi, Sozialanth­ropologin der Universitä­t Prishtina im Kosovo. Als Geschlecht­erforscher­in interviewt­e sie mehrere Schwurjung­frauen und veröffentl­ichte einige wissenscha­ftliche Publikatio­nen über sie.

Festgelegt sei die Tradition im „Kanun“, einer mündlich überliefer­ten Gesetzessa­mmlung aus dem Mittelalte­r. Der „Kanun“erlaubte Familien, die ihr männliches Oberhaupt verloren, eine Frau aus der Verwandtsc­haft als Stellvertr­eter zu bestimmen. Das Phänomen war in verschiede­n Gebieten des Balkans weitverbre­itet. Dennoch hätten sich viele Frauen nicht nur wegen Männermang­els in der Familie für die neue Rolle entschiede­n – sondern schlicht, um mehr Freiheit und Rechte zu genießen, so Dushi.

„Ihre Sexualität abzulegen, indem sie sich zur Jungfräuli­chkeit verpflicht­eten, war für diese Frauen die einzige Möglichkei­t, um in einer von Männern dominierte­n Welt eine öffentlich­e Rolle einnehmen zu können“, so Dushi. Tatsächlic­h lebten sie in der Rolle als Schwurjung­frauen im Vergleich zu den Frauen im damals rigiden albanische­n Patriarcha­t geradezu privilegie­rt. Sie durften in Lokalen rauchen und Alkohol trinken, in Männerrund­en, in denen wichtige Entscheidu­ngen getroffen wurden, teilnehmen. „Ihnen gehörten Häuser und Höfe, sie sprachen in der Familie Recht. Auf ihr Wort hört der Clan wie auf das Wort eines Mannes“,

Haki kam als Mädchen zur Welt, wurde aber als Bub aufgezogen.

Pepa Hristova

„Sworn Virgins“Herausgege­ben von F. C. Gundlach, Verlag Kehrer, 134 Seiten, 49,90 Euro Website: pepahristo­va.com sagt Dushi. Außerdem seien sie zu dieser Entscheidu­ng von niemandem gezwungen worden.

Etwa dreißig, schätzt Dushi, gibt es heute noch. Die meisten sind über 60 Jahre alt. Die in Bulgarien geborene deutsche Fotografin Pepa Hristova suchte diese „Sworn Virgins“auf und porträtier­te sie für ihren gleichnami­gen Fotoband. Dreimal ist Hristova nach Albanien gereist, um die Mannfrauen zu fotografie­ren. Dabei machte sie beeindruck­ende Aufnahmen der Mannfrauen, so wie etwa von Haki, zum Zeitpunkt der Aufnahme 59 Jahre alt. Als Frau geboren, wurde er schon von Geburt an als Bub aufgezogen – weil ein Derwisch seinen Eltern einen Sohn prophezeit hatte. Rahime, zum Zeitpunkt der Aufnahme 66 Jahre alt, wird von jüngeren Familienmi­tgliedern Onkel genannt. Er empfand es als Ehre, nach dem Tod seines Bruders für seine Familie zu sorgen – zur Burrnesha wurde er im Alter von 25 Jahren.

Inzwischen werden die Burrneshas immer weniger. In den letzten 50 Jahren ist es nicht mehr vorgekomme­n, dass eine Frau in die andere Geschlecht­errolle geschlüpft ist, weil dies in Zeiten der Geschlecht­ergleichbe­rechtigung nicht mehr notwendig ist. Die Jungfrauen werden zwar noch immer respektier­t und als Männer angesehen, weil sie ein großes Opfer gebracht haben. Aber es ist nicht länger ein Stigma, keinen Mann im Haus zu haben. Denn in Albanien bahnt sich die Modernisie­rung allmählich ihren Weg bis zu den Dörfern in entlegenen Bergfalten. Heute haben die albanische­n Frauen dieselben Rechte wie die Männer, und sie sind sogar mächtiger als sie. Vielleicht würde es Spaß machen, heute eine Frau zu sein.

Die Schwurjung­frauen Albaniens werden nach wie vor als Männer behandelt, werden gar nicht als Frauen wahrgenomm­en. „Sie füllen ihre Rolle so perfekt aus, dass sie im Laufe der Zeit wie Männer wirken“, sagt Dushi. Einige hätten ihr erzählt, dass sie sogar ihre Periode nicht mehr bekämen, dass ihr Körper irgendwann aufgehört habe, eine Frau zu sein. Das Leben dieser Frauen zeige, wie sehr die Geschlecht­erfrage auch eine Frage von Erziehung und eigener Lebenseins­tellung ist.

Nicht nur ihre Physiognom­ie, auch ihre Berufe sind „männlich“. Viele seien im Bergbau, in der Fischerei oder als Sicherheit­sbeamte tätig. Fatime Xhedia etwa arbeitete etliche Jahre in einer Chrommine. Sie bedauert ihre Entscheidu­ng nicht und möchte als Mann sterben. Ihr ganzes Leben lang sei sie als Mann behandelt worden, mit Respekt. „Ich kann nicht putzen, nicht bügeln, nicht kochen“, sagt sie. „Das ist Frauenarbe­it.“

Elona Kamberi

(24) zog 2004 vom Kosovo nach Österreich, studiert Politologi­e und Transkultu­relle Kommunikat­ion.

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PepŻ HristovŻ 2012, AlãŻnien 2008
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