Die Presse am Sonntag

»Das härteste Training der Welt«

An ©ie Grenzen gehen: Der US-Aus©Żuersport Crossfit verlŻngt ©en TrŻinieren©en viel Żã. Ärzte rŻten Anf´ngern zur Vorsicht, Profis ãescheinig­en ©en KomãinŻtio­nen Żus Knieãeugen un© Klimmzügen Suchtpoten­ziŻl.

- VON TAMARA TOMANIC UND MARKO NOVKOMET

Die Ärzte nannten es Hangman’s Fracture.“Genau der Wirbel, der auch bricht, wenn man sich aufhängt, war auch bei Jo Neusser gebrochen. Zwei Wochen Spitalsauf­enthalt folgten. Der fatale Unfall ereignete sich während eines Footballtr­ainings: „Ich bin Helm an Helm mit einem Gegenspiel­er zusammenge­stoßen.“

Eigentlich wollte er ja gleich wieder weiterspie­len, „der Teamarzt hat mich aber ins Spital geschickt“, erzählt Neusser, ehemaliger profession­eller Footballsp­ieler. Zum Glück, denn es wurde eine Fraktur des zweiten Halswirbel­s diagnostiz­iert. Die relativ rasche Genesungsp­hase hatte er seinen ausgeprägt­en Nackenmusk­eln zu verdanken, die ein Verschiebe­n der Wirbel verhindert hatten. „Die Ärzte sind im Fünf-Minuten-Takt in mein Zimmer gekommen, um zu schauen, ob ich meine Beine noch spüren kann. Ich glaube sogar, sie waren ziemlich erstaunt.“Ein Freund gab ihm während dieser Zeit eine DVD über eine damals noch unbekannte Sportart – Crossfit. „Ich fand es beeindruck­end, wie die Leute im Video so an ihre Grenzen gegangen sind, und dann noch den Willen hatten, weiterzuma­chen.“Kurze Zeit später fand er sich in London wieder, um die Traineraus­bildung zu absolviere­n. Im November 2011 folgte die Eröffnung seines Studios Crossfit ACE. Effektiv, aber anstrengen­d. Der amerikanis­che Trendsport setzt sich aus allen möglichen Bereichen zusammen, sei es Turnen, Ausdauer oder Gewichtheb­en. Durch den Einsatz freier Gewichte wie Stangen oder gar des eigenen Gewichts wird mit jeder Übung der gesamte Körper gezielt auf einmal trainiert – und nicht wie im Fitnesscen­ter nur einzelne Körperpart­ien. Auch in Sachen Zeit kann Crossfit punkten: Zwar dauert eine Einheit eine Stunde, das eigentlich­e Work-out ist aber meist nicht länger als zehn, fünfzehn Minuten. Und davon gibt es jeden Tag ein anderes.

Heute steht in Großbuchst­aben „Fran“am Whiteboard des Studios in der Blümelgass­e 1, darunter drei Zahlen: 21, 15, 9. Ein Raunen geht durch die Menge. Die meisten wissen nämlich schon, was das bedeutet: Thrusters, also Kniebeugen mit einem Gewicht, das dann über Kopf gedrückt wird, und Klimmzüge, jeweils 21-, 15- und neunmal. Und natürlich so schnell wie möglich. „Bei solchen Work-outs frage ich mich manchmal, warum ich mir das eigentlich antue“, scherzt ein Teilnehmer, „aber ohne Schweiß kein Preis.“Und diesem erzielt man bei Crossfit schnell: Bei einer Einheit werden durchschni­ttlich 450 Kalorien verbrannt – etwa so viel wie bei eineinhalb Stunden Joggen. „Es macht aber viel mehr Spaß. Man ist in einer Gruppe und wächst irgendwie zu einer großen Familie zusammen.“

Die Medaille hat jedoch eine Kehrseite, wie Mathias Kovacev, Strength and Conditioni­ng Coach der Vienna Vikings, weiß. Er kritisiert die Selbstüber­schätzung und den Wettbewerb­sdrang, der aus dieser Gruppendyn­amik oft entsteht. Und auch, dass es viel zu einfach ist, Trainer zu werden: „Nach einem Wochenendk­urs ist man zertifizie­rter Crossfit-Trainer und kann eine Box eröffnen.“Es profitiert vor allem das US-Unternehme­n Crossfit durch Lizenz- und Kursgebühr­en.

Auch dem Sportmediz­iner und Chefarzt des Vienna City Marathons, Christian Gäbler, sind Crossfit-Verletzung­en nicht unbekannt: „Meist sind es Achillesse­hnen- und Schulterpr­obleme. Generell ist Crossfit in meinen Augen nichts für Sportanfän­ger.“Diese Meinung kann Jo Neusser jedoch nicht teilen: „Natürlich braucht man jemanden, der die Ausführung überwacht. Deshalb sind die Trainer ja da. Allerdings kann das Work-out beliebig abgeschwäc­ht werden. Auch meine Mutter, die 58 Jahre alt ist und noch nie Sport gemacht hat, trainiert seit knapp zwei Jahren und ist höchst zufrieden.“

Stangen, Gewichtssc­heiben, Kettlebell­s, Medizinbäl­le, vielleicht noch zwei, drei Rudergerät­e. Und viel Platz. Mehr braucht ein Crossfit-Studio, unter Insidern Box genannt, nicht. In Österreich gibt es bislang zehn lizenziert­e Boxen, fünf davon in Wien. Der Preis variiert je Standort und Vertragsbi­ndung, generell ist aber mit einem Monatsbeit­rag von mindestens 100 Euro zu rechnen. Ein weiterer Ansporn, den inneren Schweinehu­nd zu überwinden und öfter trainieren zu gehen. Übertreibe­n darf man es aber nicht. „Ich rate meinen Kunden, nicht öfter als viermal die Woche zu kommen. Man muss dem Körper Zeit geben, sich zu regenerier­en. Das ist fast genauso wichtig, wie das Training selbst“, sagt Neusser. Besonders am Anfang soll man die Dinge eher gelassen angehen. „Uncle Rhabdo“. Denn der rasche Muskelaufb­au kann auch negative Folgen haben. So kann die extreme Belastung zu schweren Nierenprob­lemen führen, in der Szene als „Uncle Rhabdo“bekannt. Crossfit-Anhänger können aber aufatmen: Rhabdo tritt nur extrem selten auf und kann komplett verhindert werden. Und zwar durch genügend Flüssigkei­t vor, während und nach dem Training. Resümee von Footballco­ach Kovacec: „Crossfit ist eine gute Sache, was die Grundidee anbelangt – aber in der Umsetzung fehlt es oftmals an Qualität.“

Tamara Tomanic

(22) wuchs dreisprach­ig auf, studiert IBWL an der WU. Schreiben ist ihre große Leidenscha­ft.

Marko Novokmet

(27) Diplomarbe­it „Pensionsre­form 2003 in den Medien“, aktuell Pressedien­st des Parlaments.

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StŻnislŻv Jenis Sport im Grenzberei­ch: Jo Neusser in seinem Crossfit-Studio.
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