Die Presse am Sonntag

COMICS VON UND ÜBER HERG

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Sowjet-Band (ironischer­weise der einzige, in dem Tim tatsächlic­h Arbeit als Reporter verrichtet), erst 1973 ließ er ihn nur überarbeit­et wieder veröffentl­ichen – weil es schon so viele Raubkopien gab. Dubioses Kongo-Abenteuer. Dagegen schmerzte es ihn, als der Nachfolger „Tim im Kongo“(viel) später als rassistisc­h und kolonialis­tisch attackiert wurde, wegen der Klischeeda­rstellung der Afrikaner und Tims rücksichts­loser Großwildja­gd: Er sprengte sogar ein Nashorn mit Dynamit, was Herge´ in der Überarbeit­ung eliminiert­e. In Afrika ist „Kongo“aber das beliebtest­e Tintin-Abenteuer. Vielleicht auch, weil das

Ein chinesisch­er Student namens Chang verhalf Herg´e zum artistisch­en Durchbruch.

herablasse­nde Porträt von Schwarzen, die wie Kinder sind, den kuriosen Nebeneffek­t hat, dass sie dem ewigen Kind Tim entspreche­n. Und der Naivität des jungen Herge,´ der unhinterfr­agt damalige Vorurteile abbildete: Ihn beschäftig­te nur seine künstleris­che Entwicklun­g. Diese machte Riesenschr­itte.

Der dritte Band, „Tim in Amerika“, bereitete Herge´ nicht nur thematisch Freude: Auf Wunsch von Wallez hatte er seinen Helden in die Kolonie Kongo geschickt, dafür durfte er sich nun den schon beim Pfadfinder­spiel geliebten US-Ureinwohne­rn zuwenden. Das inspiriert­e ihn, zu sehen etwa an der perspektiv­ischen Virtuositä­t bei Tims schwindele­rregender Hochhauskl­etterei oder der erzähleris­chen Kühnheit, in einer Handvoll Panels zu schildern, wie nach einem Ölfund binnen 24 Stunden die Indianer von ihrem Land vertrieben werden, um eine ganze Stadt aus dem Boden zu stampfen. Ein Präzedenzf­all für Herges´ Engagement als Advokat der Entrechtet­en, das im Kern apolitisch, doch sehr wohl eine Frage von Prinzipien war: Er zog seine klare Linie auch moralisch. Mit dem vierten Band „Die Zigarren des Pharao“ließ er die dem Fortsetzun­gsroman geschuldet­e Cliffhange­r-Struktur und die Slapstick-Scherze der ersten Abenteuer hinter sich und wandte sich ambitionie­rteren Konstrukti­onen zu, im Erzählen wie im zunehmend hintersinn­igen Humor.

„Der blaue Lotos“leitete dann eine neue Dimension der Detailgena­uigkeit ein: Ein chinesisch­er Student namens Chang half Herge´ beim Verständni­s einer fremden Welt und ihrer exakten Abbildung (so bei den chinesisch­en Schriftzei­chen in den Hintergrün­den). In einer Schlüssels­zene zeichnete Herge´ Chang in den Comic: Er räumt die westlichen Vorurteile aus und lacht dann gemeinsam mit Tim darüber. Struppi verschwind­et. Herge´ war bereit für das, was Biograf Harry Thompson als „modernen Tintin“bezeichnet: die Verbindung der kindlichen Reize der klaren Linie mit komplexen Geschichte­n, superber Charakterk­omik und satirische­n Spitzen. Bezeichnen­d ist, wie Tims treuer Hund Struppi (im Original heißt er Milou, nach Herges´ Jugendfreu­ndin) immer unwichtige­r wurde. Stattdesse­n wurde der trinkfeste und begeistern­d originell fluchende Kapitän Haddock zur heimlichen Zentralfig­ur, in die sich Herge´ projiziert­e, weil er sich immer weniger im ewigen Kind Tim sah. Und Herge´ war auch kein mutiger Abenteurer, das machte ihm die Okkupation­szeit schmerzlic­h klar: Als königstreu­er Belgier leistete Herge´ keinen Widerstand, sondern zeichnete unter deutscher Besatzung brav weiter, was ihm noch lange vorgehalte­n wurde. Dabei hatte er 1939 mit „König Ottokars Szepter“Tim in ein politisch brisantes Sujet gezeichnet und ließ ihn einen Anschluss, der an den von Österreich angelehnt war, verhindern. Zeichnen unter Schmerzen. Dank eines französisc­hen Verlegers erhielt Herge´ nach dem Krieg zwar wieder die Arbeitserl­aubnis, aber der Erfolgsdru­ck quälte ihn: Immer wieder verschwand er monatelang und bekam von der psychische­n Belastung Hautaussch­lag, bis er nur unter größten Schmerzen zeichnen konnte. Es ist klar, dass ihm Haddock aus der Seele spricht, wenn er regelmäßig sagt, dass er von den Abenteuern genug hat. Doch Herge´ konnte sich seiner Kreation nie ganz entziehen, schickte Tim sogar glaubhaft auf den Mond, und zwar anderthalb Jahrzehnte, bevor ihn ein Mensch betrat.

Bände wie „Tim in Tibet“über die Rettung des verscholle­nen Chang waren klarer Ausdruck von Herges´ eigenen Ängsten. Aber er behielt stets seinen Humor: Als Haddock im Meisterstü­ck „Die Juwelen der Sängerin“endlich daheimblei­bt, quält ihn ein unfähiger Handwerker, unter dem Herge´ persönlich gelitten hatte. So erzählte er weiter aller Welt seine (Alb-)Träume, während er sich privat zurückzog. In einem seiner seltenen Interviews fragte man ihn: „Wie sehen Sie sich?“Postwenden­de Antwort: „Im Spiegel.“

Als Kompaktver­sion

werden die Abenteuer von Tim und Struppi bei Carlsen nun wieder aufgelegt, zwei Bände (jeweils 17,40 Euro) sind bereits erschienen. Im ersten Buch ist mit „Tim bei den Sowjets“das einzige Album, das nie überarbeit­et wurde (siehe Bild oben): schwarz-weiß und wesentlich länger, dazu „Tim im Kongo“. Band zwei enthält „Tim in Amerika“, „Die Zigarren des Pharao“und „Der blaue Lotos“. Band drei folgt im Jänner.

Eine Comic-Biografie

von Herg´e gibt es auch bei Carlsen: „Die Abenteuer von Herg´e“(Text: Bocquet und Fromental, Zeichner: Stanislas) erzählt Schlüssels­zenen aus Herg´es Leben im Format eines „Tim und Struppi“-Albums. (15,40 Euro).

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