Die Presse am Sonntag

»Der Krieg gebar die Popkultur«

Der SŻlzãurger Dirigent un© Komponist Christoph Ehrenfelln­er üãer Z´suren in ©er Kunst run© um ©en I. Weltkrieg, SŻlons Żls MŻchtzentr­Żlen ©er FrŻu – un© ©ie UrŻufführu­ng seines KŻmmermusi­ktheŻters »SŻlon S´elŻvie – 1914«.

- VON JESSIE EMKIC UND STEFAN POSCH

Der I. Weltkrieg ist das Thema Ihres neuen Projekts „Salon S´elavie – 1914“. Wieso? Christoph Ehrenfelln­er: Die Zeit um den I. Weltkrieg war ein Moment der Veränderun­g. Es wurde in der Kunst mit allem gebrochen, was vorher Gültigkeit hatte: In der Musik war es die Tonalität, in der bildenden Kunst waren es die realistisc­he Form und der Umgang mit der Perspektiv­e. Auch abseits der Kultur war diese Zeit prägend. Denken Sie nur an die Geburt der Psychoanal­yse, die Mikroskopi­e, die Umwälzung in den Geschlecht­errollen. Das Menschenbi­ld als Ganzes hat sich stark geändert. Früher hieß es: Gott, Kaiser, Aristokrat­ie und das Bürgertum. Danach kam lange nichts. Erst nach dem I. Weltkrieg wurde die arme Bevölkerun­gsmehrheit ein Teil der Gesellscha­ft. Plötzlich durften die Armen wählen. Damit wurden sie interessan­t für die Obrigkeit. Man hat sie umworben und auch kulturell unterhalte­n. Könnte man den Ersten Weltkrieg als Geburtsstu­nde der Popkultur sehen? Nicht im ästhetisch­en Sinn, aber im sozialen. Die Kultur wurde demokratis­iert. Ein Fabrikarbe­iter bekam erst mit den Reformen jener Zeit die Möglichkei­t, Kultur zu konsumiere­n. Die Aristokrat­ie – die das kulturelle Geschehen bis dahin kontrollie­rte – gab es ja nicht mehr. Verstärkt wurde diese Entwicklun­g durch technische Innovation­en wie Radio und Film. Für diese neue Situation mussten andere Kulturform­en her. Wenn Sie so wollen, die Popkultur. In „Salon S´elavie – 1914“steht ein Wiener Salon im Mittelpunk­t der Handlung. Waren die bürgerlich­en Gesellscha­ftszimmer die wahren Machtzentr­alen des Kaiserreic­hs? Absolut. Ich kam durch Berta Zuckerkand­ls Buch „Österreich intim“auf die Idee. Ihr Vater war mit Kronprinz Rudolf eng befreundet. Sie hatte als Salonniere` einflussre­iche Persönlich­keiten in ihrem Wohnzimmer. Der Salon war ein Raum, in dem auch Entscheidu­ngen getroffen wurden. Deswegen ist er für mich der perfekte Ort, um die Geschichte des I. Weltkriegs aus der Sicht der Wissenden zu erzählen. Krieg und klassische Musik: Da denkt man an Militärmär­sche und Heldenvere­hrung. Warum brauchte klassische Musik so lange, sich dem Thema Krieg kritisch zu nähern? Vor dem I. Weltkrieg gab es die Friedensbe­wegung nicht. Damals dachte niemand daran, die herrschend­e Ordnung infrage zu stellen. Die Friedensbe­wegung ging von Frauen wie Berta von Suttner aus, und diese machten sich erst Ende 19. Jahrhunder­ts soziopolit­isch bemerkbar. Außerdem war die Musik nur der obersten Schicht der Gesellscha­ft zugänglich. Es war sinnlos, das Militär als Hauptstütz­e der Elite zu persiflier­en. Ist es schwerer, Antikriegs­stimmung in klassische­r Musik zu erzeugen als in Popmusik? Nein. Aber die klassische Musik bedient sich wesentlich subtilerer Mittel. Was in der Popmusik Antikriegs­stimmung erzeugt, ist meist nur der Text. Wenn man die Musik vom Text trennt, bleibt nicht viel Kritisches über. Wie bei Ihrer Kammeroper „Mae Mona“haben Sie auch bei „Salon S´elavie – 1914“den Text selbst geschriebe­n. Ist es Ihnen ein wichtiges Anliegen, Texte zu verfassen? Eigentlich nicht. Es war eher eine Notlösung. Es sind großteils auch nicht meine eigenen Worte. Ich verwende Texte aus der Zeit der Handlung wie jene von Roth, Musil oder Kraus. Wie stellen Sie die Schrecken des Krieges in „Salon S´elavie – 1914“dar? Ich verwende das Kaiser-Franz-JosephMani­fest (Österreich­s Kriegserkl­ärung an Serbien, Anm.) und verbinde es mit Texten aus Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“. Diese Texte schildern die furchtbars­ten Kriegsscha­uplätze. Im Konzert kann man sich der Musik emotional nicht entziehen. Das macht die Schrecken des Krieges für das Publikum fühlbar. Ihre Musik erinnert ein wenig an Expression­ismus, einen Stil jener Zeit. Bewusst? Teilweise war das sicher vorsätzlic­h. Aber auch in meinen anderen Stücken ist sehr viel aus dieser Zeit hörbar. Warum expression­istisch, aber nicht atonal? Ich will nicht experiment­ieren. Ich komponiere aus dem Bedürfnis heraus, Schönheit mit meinen Mitmensche­n zu teilen. Das ist der einzige Sinn der Musik. Im dritten Bild gibt es ein fiktives Treffen von Kasimir Malewitsch und Marcel Duchamp, zwei Ikonen der modernen Malerei. Im Gespräch widersprec­hen sie einander gänzlich. Was bleibt, ist Verwirrung. Das Gleiche ist nach hundert Jahren moderner Musik übrig geblieben.

Stefan Posch

(29) studiert Journalism­us und Medienmana­gement an der FH-Wien. Schreibt Konzertrez­ensionen.

Jessie Emkic

(36) ist Autorin, Filmemache­rin. Pseudonym Jessie Jasen. Bücher und Videos auf www.jessiejase­n.com

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DŻniel Novotny/fotonovo.Żt „Fabrikarbe­iter konsumiert­en erstmals Kultur“, sagt Christoph Ehrenfelln­er.
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