Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Bilderverbot. Was wiegt stärker: das Menschenrecht, in einer VHS nackte Leiber sehen zu dürfen – oder das Zensurgebot im Auftrag interkultureller Annäherung?
Auch „Die Presse“berichtete über die Kulturposse an der Berliner Volkshochschule Marzahn: Die Schulleitung hatte sechs Aktbilder aus einer Ausstellung entfernt (ohne die Künstlerin davor zu fragen). Begründung: Muslimas – die Volkshochschule bietet Deutschkurse für Migrantinnen an – könnten dadurch peinlich berührt sein. Das sei „vorauseilender Gehorsam“, klagten die „Berliner Blätter“.
Ziemlich zur gleichen Zeit hielt der britische Ex-Premier Tony Blair in der UNO eine Rede, in der er Bildung als wichtigste Sicherheitsmaßnahme gegen den fundamentalistischen Terror nannte, und zwar nicht Bildung an sich, sondern „den Unterricht von Diversität und Unterschiedlichkeit, Toleranz und Respekt“.
Man kann sich nun natürlich fragen, ob Osama bin Laden wirklich ein friedlicher Unternehmer geworden wäre, wenn es im Lehrplan der Al-ThagerSchule in Dschidda das Fach „Interkulturalität“gegeben hätte. Sinnvoller wäre es vielleicht gewesen, den syrischen Turnlehrer zu entfernen, der dort den jungen bin Laden islamistisch indoktriniert haben soll. Und viele Terroristen sind einfach Narren, und Narrheit kann man nur sehr eingeschränkt durch Bildung neutralisieren. Die Einführung des Pflichtfachs „Ethik“wird auch nur wenige Amokläufe verhindern.
Aber Blair hat in einem Punkt recht: Wenn junge Hiesige behutsam an die Andersartigkeiten der Einwanderer herangeführt werden und die Migranten behutsam an die europäische Kultur, dann sinkt die Gefahr gegenseitiger Aggression. Da kommt eine Volkshochschule natürlich in die Zwickmühle, wenn sie die Muslimas gar nicht bilden kann, weil diese – durch Aktbilder verschreckt – gar nicht kommen. Oder sich so unbehaglich fühlen, dass sie verschlossen bleiben.
Ich sehe in der Sensibilität der Schulleitung (im Umgang mit den Kursteilnehmerinnen, nicht mit der Künstlerin) nicht vorauseilenden Gehorsam, sondern das Bemühen um eine gute Atmosphäre. Es ist für eine Schulleitung nicht ganz unvernünftig, nett zu den Studierenden sein zu wollen und ihre Befindlichkeiten zu respektieren. Man würde ja auch nicht jüdische Studenten mit einem Schweinebraten begrüßen oder Sikhs erklären, sie müssten zuerst einmal ihren Turban abnehmen, bevor wir mit ihnen über Toleranz reden.
Ich habe jedenfalls keine Angst um die europäische Kultur, wenn sie genügend Selbstbewusstsein hat. Und wer weiß, ob die Bilder die Muslimas wirklich so verstört hätten. Aber die in vielen Kommentaren antönende Meinung „Rücksichtnahme gebührt nur den Angepassten“klingt für mich eher spießbürgerlich als selbstbewusst. Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.