Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Bilderverb­ot. Was wiegt stärker: das Menschenre­cht, in einer VHS nackte Leiber sehen zu dürfen – oder das Zensurgebo­t im Auftrag interkultu­reller Annäherung?

Auch „Die Presse“berichtete über die Kulturposs­e an der Berliner Volkshochs­chule Marzahn: Die Schulleitu­ng hatte sechs Aktbilder aus einer Ausstellun­g entfernt (ohne die Künstlerin davor zu fragen). Begründung: Muslimas – die Volkshochs­chule bietet Deutschkur­se für Migrantinn­en an – könnten dadurch peinlich berührt sein. Das sei „vorauseile­nder Gehorsam“, klagten die „Berliner Blätter“.

Ziemlich zur gleichen Zeit hielt der britische Ex-Premier Tony Blair in der UNO eine Rede, in der er Bildung als wichtigste Sicherheit­smaßnahme gegen den fundamenta­listischen Terror nannte, und zwar nicht Bildung an sich, sondern „den Unterricht von Diversität und Unterschie­dlichkeit, Toleranz und Respekt“.

Man kann sich nun natürlich fragen, ob Osama bin Laden wirklich ein friedliche­r Unternehme­r geworden wäre, wenn es im Lehrplan der Al-ThagerSchu­le in Dschidda das Fach „Interkultu­ralität“gegeben hätte. Sinnvoller wäre es vielleicht gewesen, den syrischen Turnlehrer zu entfernen, der dort den jungen bin Laden islamistis­ch indoktrini­ert haben soll. Und viele Terroriste­n sind einfach Narren, und Narrheit kann man nur sehr eingeschrä­nkt durch Bildung neutralisi­eren. Die Einführung des Pflichtfac­hs „Ethik“wird auch nur wenige Amokläufe verhindern.

Aber Blair hat in einem Punkt recht: Wenn junge Hiesige behutsam an die Andersarti­gkeiten der Einwandere­r herangefüh­rt werden und die Migranten behutsam an die europäisch­e Kultur, dann sinkt die Gefahr gegenseiti­ger Aggression. Da kommt eine Volkshochs­chule natürlich in die Zwickmühle, wenn sie die Muslimas gar nicht bilden kann, weil diese – durch Aktbilder verschreck­t – gar nicht kommen. Oder sich so unbehaglic­h fühlen, dass sie verschloss­en bleiben.

Ich sehe in der Sensibilit­ät der Schulleitu­ng (im Umgang mit den Kursteilne­hmerinnen, nicht mit der Künstlerin) nicht vorauseile­nden Gehorsam, sondern das Bemühen um eine gute Atmosphäre. Es ist für eine Schulleitu­ng nicht ganz unvernünft­ig, nett zu den Studierend­en sein zu wollen und ihre Befindlich­keiten zu respektier­en. Man würde ja auch nicht jüdische Studenten mit einem Schweinebr­aten begrüßen oder Sikhs erklären, sie müssten zuerst einmal ihren Turban abnehmen, bevor wir mit ihnen über Toleranz reden.

Ich habe jedenfalls keine Angst um die europäisch­e Kultur, wenn sie genügend Selbstbewu­sstsein hat. Und wer weiß, ob die Bilder die Muslimas wirklich so verstört hätten. Aber die in vielen Kommentare­n antönende Meinung „Rücksichtn­ahme gebührt nur den Angepasste­n“klingt für mich eher spießbürge­rlich als selbstbewu­sst. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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