Die Presse am Sonntag

»Man darf sich nicht einschücht­ern lassen«

Am vergangene­n Montag hat Manfred Nowak den Menschenre­chtspreis der Universitä­t Oslo erhalten. Sein Leben lang hat er, ob als Wissenscha­ftler oder UN-Sonderberi­chterstatt­er, für die Einhaltung von Menschenre­chten gekämpft. Ob Folterer Täter sind, wie man

- VON JUDITH HECHT

Herr Nowak, Sie haben Rechtswiss­enschaften in Wien studiert, ein Studium, mit dem man beruflich viele Wege einschlage­n kann. Wie kam es dazu, dass Sie sich Ihr Leben lang mit Menschenre­chten befasst haben? Manfred Nowak: Das Jusstudium hat mich am Anfang nicht wirklich interessie­rt, weil ich Regisseur werden wollte. Mit der Zeit hat es mich aber zu interessie­ren begonnen, vor allem die Staatsphil­osophie. Maßgeblich dafür war sicher auch Felix Ermacora (ehemaliger Professor für Staats- und Verwaltung­srecht an der Uni Wien, Mitglied der Europäisch­en und der UN-Menschenre­chtskommis­sion; Anm.), bei dem ich nach dem Studium zu arbeiten begonnen habe. Aber noch mehr geprägt hat mich mein Studienauf­enthalt an der Columbia University in New York. Inwiefern? Aus mehreren Gründen: Ich habe in New York Louis Henkin kennengele­rnt, der mich wahnsinnig fasziniert hat. Er war der beste Professor, den ich je hatte. Er hat mich in meinem menschenre­chtlichen Denken geprägt wie kein anderer. Bei ihm habe ich erstmals eine lange Arbeit über Folter im Nationalso­zialismus und im Stalinismu­s geschriebe­n. Das Jahr hat in mir sicher viel bewegt. Was war danach anders als zuvor? Das ist schwer zu sagen, es ist ja alles eine Entwicklun­g. Aber mir war danach klar, dass ich einen Beruf haben will, der mir Freude macht, hinter dem ich auch wirklich stehen kann, und nicht einen, bei dem es primär ums Geldverdie­nen geht. In dieser Zeit gab es nicht viele, die gesagt haben: „Ich bin Menschenre­chtler.“Und wenn, dann waren es irgendwelc­he Aktivisten, aber es war kein Beruf. Den musste man sich erst selbst formen. Sie haben also Pionierarb­eit bei dem Thema geleistet. Schon ein wenig, gerade hier, in Österreich. Sie haben früh begonnen, sich mit dem Thema Folter zu befassen und es dann über all die Jahrzehnte weiterhin intensiv getan. Von 2004 bis 2010 waren Sie auch Sonderberi­chterstatt­er der Vereinten Nationen über Folter. Was hat Sie dazu bewogen, sich dieser grausamste­n Seite des Menschen zuzuwenden? Darüber habe ich schon oft nachgedach­t. Ich weiß es nicht. Das Thema hat mich interessie­rt. Vielleicht hat es mir auch Louis Henkin nahegelegt. Aber noch ein anderer Mensch hat eine Rolle gespielt: Telford Taylor. Er war Verfassung­srechtspro­fessor in Columbia und war einer der letzten Ankläger bei den Nürnberger Prozessen, der damals noch gelebt hat. Nicht zuletzt seinetwege­n gab es an der Universitä­t eine vollständi­ge Sammlung aller Unterlagen über die Nürnberger Prozesse. Ich habe viele Stunden über diesen Akten verbracht. Ich bleibe jedesmal völlig erschütter­t und verzweifel­t zurück, wenn ich Berichte von Folteropfe­rn höre oder sehe. Sie waren und sind damit ständig konfrontie­rt . . . . . . und mir geht es dabei nicht anders als Ihnen. Als ich zum ersten Mal ein Folteropfe­r – es war ein chilenisch­er Flüchtling – interviewt habe, musste ich das Gespräch abbrechen, weil mir schlecht geworden ist. Ich dachte, ich bin völlig ungeeignet für diesen Job. Als man mich gefragt hat, ob ich Sonderberi­chterstatt­er der UNO über Folter werden will, habe ich zweimal abgelehnt. Beim dritten Mal habe ich lange überlegt, ob ich mir das antun soll.

1950

in Bad Aussee geboren. Nowak studierte Rechtswiss­enschaften in Wien und in New York.

Seit 1992

ist er Leiter des Ludwig-BoltzmannI­nstituts für Menschenre­chte, das er zusammen mit Felix Ermacora und Hannes Tretter gegründet hat.

Von 2004 bis 2010

war er UN-Sonderberi­chterstatt­er über Folter.

Seit 2011

ist er Professor für Internatio­nales Recht und Menschenre­chte an der Uni Wien. Und schließlic­h haben Sie doch Ja gesagt. Weshalb? Weil es letztlich um die Würde des Menschen geht. Menschenre­chte werden meistens über ihre Verletzung wahrgenomm­en. Aber in Wirklichke­it stehen dahinter die Grundwerte unseres menschlich­en Zusammenle­bens: Gegenseiti­ger Respekt, Freiheit, Gleichheit, Würde. Es geht also um das Positive. Natürlich war die Situation in vielen Ländern viel ärger, als ich mir das je vorstellen konnte, bevor ich hingefahre­n bin. Aber ich habe dort und da etwas verhindern können. Jeder Einzelne, dem ich helfen konnte, war es schon wert, diese Arbeit zu tun. Erst gestern habe ich eine Nachricht von Jigme Gyatso, einem tibetanisc­hen Mönch, erhalten, den ich 2005 in einem chinesisch­en Gefängnis besucht habe und der jetzt nach 17 Jahren Haft freigelass­en wurde. Er bedankte sich, weil er nach meinem Besuch viel besser behandelt wurde. Und wenn ich nach den vielen Jahren sehe, dass internatio­nal und national nun endlich Maßnahmen gesetzt werden, um Folter zu verhindern, dann habe ich das Gefühl, all die Anstrengun­gen waren nicht umsonst. Wie ist es Ihnen ergangen, wenn Sie Folterern gegenüberg­estanden sind? Das sind Menschen wie Sie und ich. Man muss versuchen, von der individual­psychologi­schen Ebene wegzukomme­n und auf eine systemisch­e zu gelangen. Denn die Folterer sind genauso Opfer wie ihre Opfer. Sie sind Opfer eines Systems. Das zu erkennen ist wichtig. Jene, die foltern, sind selbst zuvor erniedrigt und gedemütigt worden. Darum sind auch Kindersold­aten besonders grausam. Sie sind so gebrochen worden, damit sie wie willenlose­s Werkzeug bereit sind, alles zu tun. Damit entschuldi­ge ich die Folterer nicht. Natürlich müssen sie persönlich zur Verantwort­ung gezogen werden. Sie kommen immer in der Rolle des „Fact Finder“in ein Land, um zu klären, wie stark das Phänomen der Folter verbreitet ist. Sie versuchen, an die Opfer heranzukom­men, was sicher nicht immer leicht ist. Wie aber bringen Sie die Täter zum Sprechen? Das ist viel schwierige­r, sie wollen ja nichts sagen, und Folter findet immer hinter verschloss­enen Türen und ohne Zeugen statt. Aber dennoch ist es mir immer wieder gelungen, die Verantwort­lichen so weit zu bringen zuzugeben, dass sie foltern. Und wie? Ich habe mit der Zeit gelernt, wie man das macht. Ich erinnere mich an den Polizeiche­f von Kathmandu. Wir waren in dem Polizeihau­ptquartier. Unten waren die Zellen, in den oberen Stockwerke­n wurde gefoltert, und dazwischen saßen wir mit ihm. Ich zeigte im Fotos von Menschen, die eben erst gefoltert worden waren. Irgendwann ließ er dann im Gespräch den Satz fallen: „A little bit of torture helps.“ Welche Emotionen kamen dann nach dem Geständnis bei den Überführte­n hoch? Scham, meistens Scham. In einem Fall eines hohen Militärkom­mandanten auch Wut, weil er sich fürchterli­ch geärgert hat, dass ich ihn aufs Glatteis geführt habe. Wir waren dann sehr froh, als wir wieder heil aus der Kaserne draußen waren. Haben Sie sich in solchen Situatione­n oft bedroht gefühlt? Ich wurde häufig bedroht. Aber ich ließ mich nicht einschücht­ern. Ich hatte eine Position, durch die ich diplomatis­ch geschützt war. Und hatten Sie nie Sorgen, dass Ihrer Frau und Ihren Kindern etwas passieren könnte? Doch, wenngleich sie nie direkt bedroht worden sind. Aber einmal hat in Genf an meiner Hoteltür ein nordkorean­ischer Agent geklopft. Er wollte mich sehr subtil unter Druck setzen, indem er im Gespräch intime Details über meine Familie einfließen ließ. Er wusste alles über uns. Was haben Sie dann getan? Nichts. Ich bin in meinem Leben auch schon von vielen Geheimdien­sten überwacht worden. Am besten ignoriert man das, sonst wird man paranoid. Es stört Sie nicht, wenn Sie abgehört werden? Nicht meinetwege­n. Aber es beunruhigt mich sehr, wenn andere Menschen, mit denen ich zusammenar­beite, dadurch gefährdet werden. Das Schwierigs­te bei meinen Missionen ist es ja, die lokalen Mitarbeite­r zu schützen, die lokale Dolmetsche­rin in Tibet oder den Chauffeur in Sri Lanka. Das machte mir die größten Sorgen. Sie wirken so selbstlos. Haben Sie denn nie Angst um Ihr eigenes Leben? Natürlich habe ich Angst vor Gewalt. Ich würde mich auch nicht als besonders mutigen Menschen bezeichnen. Schon als Jugendlich­er habe ich gesagt: „Wenn es in Österreich einmal Krieg geben sollte, ich bin der Erste, der flüchtet – aus Angst.“Aber als ich in Sarajewo, in Nepal oder Sri Lanka mitten im Krieg war, fühlte ich keine Angst. Ich sagte mir: „Das ist jetzt dein Job. Den musst du gut machen.“Auf psychologi­scher Ebene hat das bei mir immer gut funktionie­rt. Warum, das weiß ich nicht.

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Stanislav Jenis Manfred Nowak: „Ich würde mich sicher nicht als besonders mutigen Menschen bezeichnen.“
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